Becker-Udo-GfHKStrategiesDie Ausgangslage folgenschwerer Unternehmenskrisen zeigt sich in unterschiedlichen Formen: Unglücksfälle mit vielen Toten, Verletzten oder Vermissten, Umweltverschmutzungen unvorstellbaren Ausmaßes, eine Lebensmittelverunreinigung, harte Verstöße gegen gesetzliche Auflage oder ethische Prinzipien. Diese und zahlreiche andere Szenarien fordern Organisationen bis an ihre Grenzen – und häufig weit darüber hinaus. Gerade auf Kommunikationsabteilungen rollt bei Zwischenfällen, die ins Blickfeld einer großen Öffentlichkeit geraten, eine Flut von Anfragen zu. Neben der schieren Anzahl von Anrufen, E-Mails, Tweets oder Posts (über-)fordern die Komplexität der unterschiedlichen Perspektiven – etwa direkt Betroffene und deren Angehörige, Mitarbeiter, Kunden, Medien, Behörden oder Zulieferer, um hier eine Auswahl häufig involvierter Bezugsgruppen zu nennen – jedes noch so gut trainierte Team.

Richten wir den Fokus für den Moment auf einige der drastischsten Unglücksfälle der jüngeren Vergangenheit: Der Blowout auf der Plattform Deep Water Horizon im Macondo Ölfeld im Golf von Mexiko, die gekenterte Costa Concordia vor der Insel Giglio, der Untergang der Fähre Sewol im Gelben Meer auf dem Weg von Incheon nach Jejudo, das Verschwinden des Malaysia Airlines Flugs MH 370 auf dem Weg von Kuala Lumpur nach Peking. Diese dramatischen Unglücke haben eines gemeinsam: Die Beteiligten durchlitten eine schwere Zeit, denn mitunter vergingen Tage und Wochen der Ungewissheit, bis sich eine Lösung des Problems gefunden hatte oder die Anzahl der Verletzten und Toten letztlich feststand.

Kommunikation entlang der Faktenlage
Ein wichtiger Leitsatz der Krisenkommunikation ist weiterhin richtig: „Kommunikation entlang der Faktenlage“. Wenn es aber über einen längeren Zeitraum keine Neuigkeiten gibt und der Druck von Angehörigen und Öffentlichkeit unerträglich wird, dann ist es vielleicht sogar ein verständlicher menschlicher Reflex, diesem Druck nachzugeben, um sich für einen Moment davon zu befreien. Einige der aufgeführten Beispiele zeigen, wie sich die Reaktionen von Unternehmen, Behörden und Regierungen auf diese Drucksituation von Fall zu Fall unterscheiden können. Von einer abgestimmten Kommunikationshoheit ganz zu schweigen, öffneten sich Tür und Tor für Meldungen, die zuweilen aus dem Reich der Dichtung stammten, oder sogar Straftatbestände wie Mord unterstellten.

Kommunikative Aspekte kommen zu kurz
Die zentrale Frage lautet daher für viele Unternehmen: Wie sind wir auf eine solche Krisensituation vorbereitet? In Katastrophenübungen werden hauptsächlich die operativen Aspekte von Krisenfällen simuliert. Die kommunikativen Aspekte spielen zumeist eine nachgelagerte Rolle. Bei Übungen hingegen, wie sie zum Beispiel von der Vereinigung der Öl und Gas fördernden Unternehmen in Norwegen OFFB durchgeführt werden, spielt auch die Öffentlichkeitsarbeit eine zentrale Rolle. In der Übung Storøvelsen 2012, an der 24 Unternehmen, Behörden und Organisationen mit insgesamt ca. 1.000 Personen teilnahmen, wurde ein Unfall mit einem Helikopter simuliert, der mit 19 Passagieren besetzt von der Bohrplattform Transocean Arctic abheben wollte, dabei verunglückte und eine Explosion verursachte. Neben den operativen Schritten wie der Evakuierung der Plattform, der Versorgung der Evakuierten und ihrer Angehörigen sowie der Einrichtung eines Call Centers, wurden die Kooperation mit den Behörden und das Medien-Management geübt.

Einige Kriterien wurden von den Beobachtern intensiver beäugt und bewertet. Dazu zählten:

  • die Wahrnehmung des Plattformbetreibers als Herr der Lage und erste Adresse für Informationen
  • die Informationsversorgung der relevanten Stellen und Personen über Unternehmen, Notfalldienste und Behörden hinweg
  • die Verteilung und Wahrnehmung der Verantwortlichkeiten, Rollen, Prozesse und Hilfsmittel für die Information relevanter Stakeholder
  • die systematische Identifizierung bekannter sowie im Krisenverlauf neu auftauchender relevanter Stakeholder
  • die zeitnahe Abstimmung sämtlicher Beteiligter bezüglich des Informationsaustausches und der Kommunikation

Krisenkommunikation klarer ausgestalten
Die Übung identifizierte einige Verbesserungsbereiche: Für die optimale Betreuung der Evakuierten und ihrer Angehörigen im OSEP (operator's centre for evacuees and next of kin) wäre mehr Personal nötig gewesen. Sämtliche in die Kommunikation involvierten Instanzen mussten Inhalte und Vorgehen eng abstimmen. Kein ganz einfaches Unterfangen, da die Kommunikationsabteilungen sowie die Sprecher der Behörden und Unternehmen im Alltag nur wenige Berührungspunkte haben. Das abgestimmte und zeitnahe Vorgehen gelang insgesamt dennoch ordentlich. Allerdings gab es auch Anlass, die Prozesse, Strukturen und vorbereiteten Hilfsmittel der Krisenkommunikation künftig noch klarer auszugestalten. Die individuelle Leistung der handelnden Personen variierte abhängig von durchlaufenen Trainingsmaßnahmen und Vorbereitungsgrad relativ stark. In der Übung wurden sämtliche Medienkategorien abgebildet. Darunter Broadcast, Print und Online sowie Social Media.

Internet-basierte Plattform Flight School
Um die Kommunikationsaktivitäten sowohl von Unternehmen als auch von Medien realistisch zu simulieren, wurde eine Internet-basierte Plattform genutzt, anhand der alle Beteiligten den Verlauf der Krise verfolgen, bewerten und entsprechend handeln konnten. Die Bereiche Online und Social Media wurden durch Flight School von Hill + Knowlton Strategies (dieses Instrument wurde im Januar im „PR-Journal“ vorgestellt) abgebildet.

Übung macht den Meister
Interaktive Trainingskonzepte sensibilisieren für den adäquaten Umgang mit den diversen Bezugsgruppen, konfrontieren sie, wenn gewünscht, mit bisher nicht erlebter Intensität, erfordern von den Teilnehmern Priorisierungsvermögen. Und nicht zuletzt schulen sie die Interaktion und Koordination innerhalb eines Krisenteams – eine zentrale Erkenntnis aus der norwegischen Übung Storøvelsen. Die Erfahrung aus zahlreichen Krisentrainings, Simulationen und der Betreuung tatsächlicher Zwischen- und Krisenfälle zeigt immer wieder, dass basale Dinge, wie die Zuordnung und Wahrnehmung von Rollen und Verantwortlichkeiten, aber auch Prozesse wie Informationsermittlung und -verteilung, große Hürden darstellen können. Der bekannte Aphorismus „Übung macht den Meister“ trifft auch hier zu. Erst wenn Prozesse und Hilfsmittel in Organisationen professionell eingeführt und in Übungen getestet wurden, wissen die im Krisenfall eingesetzten Mitarbeiter mit ihnen bestmöglich umzugehen.

„Es dauert 20 Jahre, einen Ruf aufzubauen - und nur fünf Minuten, ihn zu ruinieren.“
In Unternehmen, die regelmäßige Übungen durchführen, sind die Prozesse etabliert. In Krisenfällen agieren diese Unternehmen schnell und professionell und halten somit den möglichen Reputationsschaden in Grenzen. Übungen, wie sie von der Vereinigung der Öl und Gas fördernden Unternehmen in Norwegen regelmäßig durchgeführt werden, könnten ein gutes Vorbild für viele Branchen und Unternehmen in Deutschland sein. Die Kosten dafür wären äußerst sinnvoll investiert. Warren Buffet sagt zu Recht „Es dauert 20 Jahre, einen Ruf aufzubauen - und nur fünf Minuten, ihn zu ruinieren.“ Durchschnittlich dauert es 3,5 Jahre den durch eine Krise entstandenen Schaden an der Reputation zu reparieren.

Über den Autor: Udo Becker ist Geschäftsführer der Kommunikationsberatung Hill+Knowlton Strategies. Er leitet die Crisis Praxis der Beratung in Deutschland.


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