piwinger-manfredWie gehen große Unternehmen eigentlich mit der Geschlechterfrage um? Wie machen sie in ihren offiziellen Verlautbarungen deutlich, ob „Weiblein“ oder „Männlein“ gemeint sind? „PR-Journal“-Autor Manfred Piwinger (Foto) hat sich ausführlich mit dieser Frage beschäftigt. In seinem Beitrag stellte er eine ganze Reihe von Beispielen vor, die vor allem eines zeigen: einen einheitlichen Umgang mit dieser Frage gibt es in deutschen Unternehmen nicht. Was er entdeckt hat, beschreibt er als „sprachliches Durcheinander“. Es gibt übrigens auch keine (einheitliche) gesetzliche Grundlage für die Gleichstellung der Geschlechter in der Sprache. Eine Ausnahme bildet hier das AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) mit Blick auf Stellenausschreibungen, bei denen die Beidbenennung gesetzlich verpflichtend ist.

Gender-Aspekte und der Plural
Im Umgang mit dem Gender-Plural tun sich selbst die mächtigsten Unternehmen schwer. Eine einheitliche Begriffsverwendung? Fehlanzeige. Einige Unternehmen beschränken sich bei dem Ausdruck „Mitarbeiter“ auf einen Hinweis im Impressum. Wie Infineon (2011), wo es heißt: „Der Begriff Mitarbeiter wird im vorliegendem Geschäftsbericht für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gleichermaßen verwendet.“ Eine weitere Begründung führt die Eurohypo an: „Zum Gebrauch der männlichen Sprachform bei Personen“ heißt es dort: „Um den Lesefluss des Geschäftsberichts zu erhöhen, verwenden wir in einigen Fällen die männliche Sprachform, die weibliche Personen selbstverständlich einbezieht.“

Um das zu begreifen, wäre zu hinterfragen, ob die Singular- und Pluralform auf –er („der/die Mitarbeit-er“) hier wie woanders schon als grammatisches Zeichen seinen Wert als Agenssignal eingebüßt und durch ein Gendersignal ersetzt haben sollte. Viele Unternehmen versuchen auf diese Weise, das Täter-Morphem „-er“ in ein Geschlechtermorphem umzudeuten. Die Kontroverse um den generischen Sprachgebrauch, das generische Maskulinum und Genus und Sexus bei Personenbezeichnungen behandeln ausführlich z.B. Samel (2000, 55 ff.) und Deutscher (2012). Dabei wird aufgezeigt, dass die grammatische Unterscheidung auf die Assoziation von Sprechern im Hinblick auf die realen Eigenschaften von Objekten einen Einfluss ausübt. Hingegen Mummendey (1995,18): „Am puristischen Bemühen um männliche/weibliche Schreibweisen, möchten wir uns lieber nicht beteiligen. Schreiben wir also eine scheinbar männliche Form wie Leser, so sind damit alle Menschen, die lesen können, gemeint“.

Zunehmende Sensibilität oder ungelöster Sprachnormkonflikt
Die Beflissenheit der meisten Unternehmen Plurale politisch korrekt zu „erklären“, könnte einerseits von einer zunehmenden Sensibilität für dieses sprachliche Thema, andererseits jedoch auch von einem ungelösten Sprachnormkonflikt in der Gesellschaft zeugen. Schließlich gibt es – trotz mancher gegenteiliger Argumentation – keine (einheitliche) gesetzliche Grundlage für die Gleichstellung der Geschlechter in der Sprache. Eine Ausnahme bildet hier das AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) mit Blick auf Stellenausschreibungen, bei denen die Beidbenennung gesetzlich verpflichtend ist. Nachgefragt bei der Dudenredaktion, verweist diese auf das Antidiskriminierungsgesetz, was aber äußerst fragwürdig bzw. eine gewagte Interpretation ist. Der Begriff „Vorständin“ als weibliche Form eines Vorstandsmitglieds hat schon Aufnahme in den deutschen Sprachschatz gefunden.

Inkonsistenz ist weit verbreitet
Im Geschäftsbericht schlägt sich diese Unsicherheit vielfach nieder. Einmal in den Personalberichten: Da steht in der Kapitelüberschrift „Mitarbeiter“. Im darauf folgenden Text wird dann von „Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern“ geschrieben (z.B. Henkel 2012, 68). Diese Inkonsistenz ist weit verbreitet. Ein dagegen stehendes Beispiel lässt sich bei K+S (2012) finden. Das Unternehmen verwendet durchgängig das gewohnte „Mitarbeiter“, unterscheidet im Einzelfall aber richtigerweise „weibliche Beschäftigte“. Daneben ist zu beobachten, dass immer mehr Unternehmen in den Geschäftsberichtstexten ihre Mitarbeiter (wie z.B. Vorwerk) als Vorwerkerin und Vorwerker ansprechen. Setzt sich diese Form weiter durch, ist es erlaubt zu fragen, wie es dann z.B. bei ThyssenKrupp, Linde, Daimler oder Siemens heißen müsste. Daimlerin, Linderin, ThyssenKruppianerin, Siemensianerin? Hier lägen künftige Aufgaben der Wortbildforschung.

„Lasst das natürliche Geschlecht einfach wie es ist. Hinweg mit den angepappten ‚innen‘. Jagt sie zum Teufel und zur Teufelin“, schreibt Lukas Weber in einem Kommentar der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (08.09.2012, 20).

Sprachliches Durcheinander
Schaut man des Weiteren auf die Anredeformen im so genannten Aktionärsbrief, wird das sprachliche Durcheinander in den unterschiedlichen Ansprachen durch die Vorstandsvorsitzenden erst recht deutlich: Althergebracht bei Munich Re, Linde und Lufthansa (jeweils 2012) „Sehr geehrte Damen und Herren“. Mit Beidbenennung bei Continental (2012) als „Liebe Aktionärinnen und Aktionäre“, wobei sich hier die Frage stellt, ob ein Aktionär nur männliche Personen bezeichnet oder ob es sich bei dieser Bezeichnung sowohl eine Frau oder ein Mann verbergen kann, d.h. ob die Leser den „Aktionär“ als generisches Maskulinum lesen oder nicht. BMW und Siemens (2012) verwenden annähernd die gleiche Anrede, ersetzen aber das „liebe“ durch „Sehr geehrte“. Aktiengesellschaften sind anonyme Gesellschaften. Das vertrauliche „liebe“ ist in einem Geschäftsbericht nicht angebracht.

„Liebe Aktionäre und Freunde des Unternehmens“
Die Allianz (2012) ist da auch in der Sache deutlicher, weil sie sich direkt an die „Sehr geehrten Investoren“ wendet. Schließlich sind das die Leute, um die es auf dem Finanzmarkt geht. Beiersdorf (2013) vergisst gar, wer der eigentliche Adressat ist, sondern wendet sich an die „Liebe Leserinnen und Leser“. Bei der Deutschen Börse (2012) wird eher zu viel gesagt: „Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Aktionäre unseres Unternehmens.“ Warum nicht einfach eines von beiden? Die „Damen und Herren“ sind doch keine beliebigen Damen und Herren, sondern schlicht „Aktionäre“. BASF (2012) wählt eine singuläre Ansprache, indem die „Sehr geehrte Aktionärin“ und der „sehr geehrte Aktionär“ einzeln angesprochen werden. Der Versuch, dadurch eine gewisse Nähe zum Unternehmen herzustellen, führt bei Merck (2012) zu der Anrede: „Liebe Aktionäre und Freunde des Unternehmens.“ Der Ausdruck „Freunde des Unternehmens“ taucht auch bei anderen Unternehmen auf und kann insoweit als korrekt angesehen werden, weil der Geschäftsbericht natürlich auch von anderen Personen gelesen wird, die nicht Aktionäre sind. Bayer (2012) unterscheidet da sehr genau mit der Anrede „Sehr geehrte Aktionärinnen und Aktionäre, liebe Freunde des Unternehmens.“ Infineon (2012) adressiert seine Anrede noch breiter und wendet sich im Aktionärsbrief an seine „Sehr geehrte Aktionäre und Geschäftspartner, liebe Mitarbeiter von Infineon“.

Welche Form ist (reputationsgemäß) angebracht?
Ein das Ganze betreffender Gesichtspunkt ist bis hierher noch nicht angesprochen worden. Gemeint ist die Passung. Mit anderen Worten: Passt die Gebrauchsform der Personennomina zu dem jeweiligen Unternehmen, und welche Form wäre (reputationsgemäß) angebracht? Hier sollte man nicht immer auf sich selbst schauen, sondern bedenken, welcher Eindruck beim Leser entsteht. Bei der Deutschen Bank (2012) würde man als Außenstehender – das Bild der Bank vor Augen – eher die Anredeform „Sehr geehrte Damen und Herren“ erwarten. Stattdessen wendet sich die Bank an die „Sehr geehrte[n] Aktionärinnen und Aktionäre“. Das passt nicht so recht zur gewollten Seriosität einer Großbank. Hier geht es auch um Stilfragen, um Intention und Interpretation. Ähnliches mag für Siemens gelten und Daimler.

Sprachliche Doppelung auf Kosten der Verständlichkeit?
Die uneinheitliche Verwendung der Bezeichnungen (häufiger die maskuline Form, seltener die Beidbezeichnung) in den Texten zeigt auch, dass die Verwendung von Beidbezeichnungen sprachlich aufwändiger ist, vom Schreiber als umständlicher empfunden wird und er daher häufiger darauf verzichtet, auch in der (meist zutreffenden) Annahme, dass dies dem Leser genauso ginge. Konsequente Beid-Bennenung würde zwar die sprachliche Präsenz der Frauen darstellen, häufig jedoch auch Satzungetüme produzieren, in denen eine sprachliche Doppelung auf Kosten von Verständlichkeit erfolgen könnte. Offensichtlich leben wir im Zeitalter des Formalismus, dem das Gespür für die Bedeutung abhanden zu kommen scheint.


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