Das PR-Interview PR-Interview Nr. 121. Detlef Hartlap: „Der Tatort muss wieder experimentierfreudiger werden“

„Das PR-Interview im PRJ“ wird realisiert von k1 gesellschaft für kommunikation, Köln.

Hartlap-Detlef Chefred-PrismaDetlef Hartlap, Chefredakteur des Fernsehmagazins „prisma“ und Tatort-Gucker der ersten Stunde, über die Entwicklung des Erfolgsformats „Tatort“ als letztes „Lagerfeuer der Nation“.
PR-Journal: Die Vor- und Nachberichterstattung zum sonntäglichen Tatort hat in der deutschen Medienlandschaft eine feste Präsenz: In allen großen Tages- und Wochenzeitungen, im Radio, auf Facebook und Twitter wird der wöchentliche Tatort vorbesprochen, rezensiert, verrissen oder gelobt. Warum ist das so?
Detlef Hartlap: Der Hype um den Tatort ist in den letzten zehn Jahren entstanden. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass in dieser Zeit die Einschaltquoten enorm gestiegen sind – eine Tatortfolge hat heute im Durchschnitt neun bis zehn Millionen Zuschauer. Die Menschen treffen sich zum Public Viewing – ein Begriff, den man erst seit der Fußballweltmeisterschaft 2006 kennt. Auf diese Erfolgswelle sind die Medien aufgesprungen. Seit fünf, sechs Jahren haben auch die großen Tages- und Wochenzeitungen dem Tatort einen festen Platz in der Berichterstattung eingeräumt.

PR-Journal: Ist der Tatort ein derartiges Erfolgsprodukt, dass er sich selbst vermarktet oder steckt dahinter eine gezielte PR-Strategie?
Hartlap: Einerseits steht hinter dem Erfolg des Tatorts eine Verlagerung der gesellschaftlichen Gepflogenheiten: Seit den 1960er bis in die 90er Jahre hinein war der Samstagabend der typische Familien-Fernsehabend. Hier hat eine Veränderung stattgefunden: Weil die Leute samstags andere Dinge unternehmen als fernzusehen, hat sich der Sonntagabend immer mehr als Fernsehabend etabliert – das zeigen uns die Quoten. Nicht nur die ARD, auch das ZDF und die privaten Sender haben zur Ausstrahlungszeit des Tatorts am Sonntagabend sehr gute Einschaltquoten. Der Tatort hat von dieser Entwicklung stark profitiert und ein jüngeres Publikum dazugewonnen.

PR-Journal: Und andererseits?
Hartlap: Heute trägt der Austausch über die sozialen Netze zusätzlich zum Erfolg des Tatorts bei. Die Leuten lieben es, sich unmittelbar über das Geschehene austauschen und „response“ zu bekommen. Manche Medien sprechen vom Tatort als dem letzten „Lagerfeuer der Nation“. Ich würde es eher dieses „kuschelige Sonntagabend-Gefühl“ nennen, das man gern indirekt mit anderen teilt.

PR-Journal: Was macht den Tatort Ihrer Meinung nach so erfolgreich? Sind es bestimmte Ermittler-Teams, Themen oder Handlungsstränge?
Hartlap: Die Identifikation der Zuschauer mit den Ermittler-Teams ist sicher ein wichtiger Erfolgsfaktor. Vor allem aber ist der Tatort heute ein Format, das für alle verständlich ist; jeder kann einem Tatort folgen. Das ist auch der Umstrukturierung im Zuge der ARD-Programmreform unter Günter Struve (Programmdirektor bis 2008, Anm. der Redaktion) zu verdanken. In früheren Jahrzehnten war der Tatort in vielerlei Hinsicht riskanter und auch moderner. Themen und Handlungsstränge waren eng mit den gesellschaftlichen Entwicklungen verbunden. Die Bundesrepublik wurde in den Siebzigern selbstbewusster, internationaler, sexuell freier. Das fand im Tatort seinen Ausdruck. Großartige Regisseure wie Wolfgang Petersen („Reifezeugnis“) drückten ihm ihren Stempel auf. Das Regionale war, anders als heute, in jeder Folge hörbar. Damit lief man allerdings Gefahr, einen Teil des Publikums, das kein Ohr für Dialekte hatte, zu vergrätzen. Unter Struve wurden dem Tatort die Mundarten ausgetrieben. Heute darf höchstens noch in Nebenrollen ein wenig geschwäbelt oder hessisch gebabbelt werden.

PR-Journal: Wenn Sie eine Prognose wagen: Wird der Tatort auch noch in 50 Jahren ein Erfolgsprodukt sein?
Hartlap: Wenn wir mal nicht von 50 sondern von 20 Jahren ausgehen, denke ich, dass der Tatort nur eine Chance hat, wenn seine Macher mehr experimentieren und ausprobieren. Der letzte Tatort „Im Schmerz geboren“ mit Ulrich Tukur war der richtige Ansatz – auch wenn nicht alles stimmig war, so spricht man doch ganz anders über diese Folge. Die Comedy-Masche beim Ermittler-Duo Thiel und Boerne in Münster hingegen wird sich, obwohl die beiden sehr gut sind, irgendwann totlaufen.
Der Tatort hat ein Generalproblem: Er ist derart populär, dass viele Filmschaffende, sich darum reißen, den Auftrag für Produktion oder Drehbuch zu bekommen. Die Entscheidung darüber wird aber in einem sehr engen Kreis der immer gleichen Leute gefällt. Das Ergebnis ist, dass immer dieselben Produzenten und Drehbuchautoren für den Tatort verantwortlich sind. Darunter leidet die Vielfalt der Drehbücher und die Gefahr wächst, dass der Kreis der Leute, die guten Input geben, immer kleiner wird.

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