Rezensionen Rezension: Öffentlichkeitsarbeit ist Geheimhaltungsstrategie

Geheimnisse BuchcoverTitel: Geheimnisse – Dunkelkammern der Öffentlichkeit; Autor: Joachim Westerbarkey; Verlag: Lit Verlag 2015, 226 Seiten; 29,90 Euro; ISBN-13: 978-3643128461
In einer Assoziationskette mit dem Anfangsglied „Geheimnis“ wären wohl „Ägypten“, „Hieroglyphen“ und auch „Tempelritter“ Begriffe, die mir sofort in den Sinn kämen. Geheimnisse ziehen die Menschen an. Wir wollen Entdecker sein, Hüter von Geheimnissen und mystisch in einer Aura des Wissens. Nun ja, und ein bisschen Klatsch darf es dann wohl auch sein. Je nach dem …
Professor Joachim Westerbarkey widmet sich in seinem aktuellen Buch den Dunkelkammern der Öffentlichkeit. Das Buch „Geheimnisse“ versucht Erkenntnisse aus Negationen zu gewinnen, heißt: „Wer was von wem nicht weiß, dass Menschen sich nur mangelhaft verständigen und sich oft missverstehen, nach welchen Regeln dies geschieht und warum und mit welchen Folgen.”

Dazu geht der Kommunikationswissenschaftler von zehn Thesen aus:

  1. Öffentlichkeit und Geheimnis sind zugleich gegensätzliche und sich bedingende Phänomene, gleichsam zwei Seiten einer Medaille.
  2. Die hohe Selektivität von Wahrnehmungen, Informationen, Darstellungen und Deutungen steuert jeweils den Grad der Zugänglichkeit oder Heimlichkeit von Wissen.
  3. Geheimnisse begründen ein doppelt dialektisches Kommunikationsverhältnis: Geheimnisträger wollen sie behalten oder enthüllen, Außenstehende wollen in Geheimnisse eindringen oder sie lieber ignorieren.
  4. Geheimnisse provozieren Öffentlichkeit durch Unterstellbarkeit besonderer Chancen oder Gefahren.
  5. Öffentlichkeit impliziert als Ergebnis von Auswahlprozessen immer auch Geheimnisse.
  6. Private Öffentlichkeit bleibt publizistisch meistens geheim.
  7. Die Veröffentlichung von Privatangelegenheiten kann ebenso durch ein behauptetes allgemeines Interesse legitimiert werden wie die Geheimhaltung gesellschaftlicher Angelegenheiten.
  8. Kollektive und erst recht organisierte Geheimnisse erzeugen Sonderöffentlichkeiten.
  9. Gleichwohl ist Nicht-Öffentlichkeit gewöhnlich kein Ergebnis gezielter Geheimhaltung, sondern resultiert zumeist aus dem alltäglichen Zwang zur Selektion von Mitteilungen, der in Organisationen vorprogrammiert ist und der sich in der Massenkommunikation potenziert.
  10. Auch Öffentlichkeitsarbeit ist daher eine unumgängliche Geheimhaltungsstrategie, die (zumindest funktional) Geheimnisse erzeugt.

Ich finde es großartig! (Und nicht nur deshalb, weil ich mich mithilfe des Buches nun nicht mehr ganz so sehr ärgere, keine Archäologin geworden zu sein.) Ich finde es großartig, weil es so mystisch wie geradezu offenbarend daherkommt, weil es theoretisch fundiert und dennoch ganz anders ist, als vergleichbare Kommunikations-Fachliteratur. Geschichtsbuch. Fachbuch. (Anspruchsvolle) Unterhaltungsliteratur.     

Über die Autorin: Annett Helbig ist PR-Beraterin bei der MasterMedia Public Relations GmbH in Hamburg, einer Agentur für Öffentlichkeitsarbeit, die sich auf komplexe Themen spezialisiert hat. Zuvor baute sie die Kommunikationsabteilung des Lebensmittelgeschäftes Mutterland auf und unterstützte kleinere und mittelständische Unternehmen unter anderem durch strategische Kommunikationsberatung.

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