Studien Neue Sinus-Jugendstudie: Auflehnung war gestern

Wie ticken Jugendliche 2016 Sinus Studie CoverDie neue Studie „Wie ticken Jugendliche 2016?“ des Heidelberger Sinus-Instituts zeigt: Jugendliche in Deutschland leben nach wie vor in unterschiedlichen Lebenswelten, aber sie rücken in mehrfacher Hinsicht zusammen. Für die meisten 14- bis 17-Jährigen heute gilt: Man möchte sein wie alle. Die auf Abgrenzung und Provokation zielenden großen Jugend-Subkulturen gibt es kaum mehr. Eine Mehrheit ist sich einig, dass gerade in der heutigen Zeit ein gemeinsamer Wertekanon von Freiheit, Aufklärung, Toleranz und sozialen Werten gelten muss, weil nur er das „gute Leben“, das man in diesem Land hat, garantieren kann. Auflehnung gegen überkommene Strukturen war also gestern. Alle vier Jahre versuchen die Forscher ein Stimmungsbild der Gruppe der 14- bis 17-Jährigen zu zeichnen. Marc Calmbach, einer der Autoren, erklärte Jugendliche lebten zwar nach wie vor in unterschiedlichen Lebenswelten, aber „anders als noch vor einigen Jahren ist Mainstream kein Schimpfwort mehr.“ Bürgerliche Werte und Lebensmuster sind stärker angesagt als in den Jahren zuvor.

Das trifft auch für die Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu, unter anderem die muslimischen, die sich demonstrativ von religiösem Fundamentalismus distanzieren. Die Akzeptanz von Vielfalt nimmt zu, unter anderem religiöse Toleranz wird als wichtige soziale Norm hervorgehoben. Dem entsprechend ist die Mehrheit in allen Lebenswelten für die Aufnahme von Geflüchteten und Asylsuchenden. In Teilen der Jugend in Deutschland werden jedoch auch Ressentiments und ausgrenzende Haltungen gegenüber Menschen anderer nationaler Herkunft und sozialen Randgruppen geäußert.

Wunsch nach Orientierung und Sicherheit

Der Begriff „Mainstream“ ist bei den meisten Jugendlichen kein Schimpfwort, sondern – im Gegenteil – ein Schlüsselbegriff im Selbstverständnis und bei der Selbstbeschreibung. Viele wollen mehr noch als vor wenigen Jahren so sein „wie alle“. Ein mehrheitlich gemeinsamer Wertekanon vor allem aus sozialen Werten deutet auf eine gewachsene Sehnsucht nach Aufgehoben- und Akzeptiertsein, Geborgenheit, Halt sowie Orientierung in den zunehmend unübersichtlichen Verhältnissen einer globalisierten Welt hin. Dem entsprechen auch ihre generelle Anpassungsbereitschaft und selbstverständliche Akzeptanz von Leistungsnormen und Sekundärtugenden. Dieser „Neo-Konventionalismus“ gilt gleichermaßen für Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund.

Großteil akzeptiert Vielfalt, Einzelne äußern Vorbehalte

Junge Menschen interessiert und beschäftigt das Thema Flucht und Asyl: Vor dem Hintergrund der aktuellen Debatten in Deutschland ist eine wichtige Erkenntnis, dass der überwiegende Teil der Befragten die Aufnahme von Geflüchteten befürwortet, Zuwanderung unterstützt, Toleranz zeigt und mehr Engagement für eine gelungene Integration fordert. Teilweise bestehen dennoch nach wie vor manifeste Vorbehalte gegenüber anderen Nationen. Dabei handelt es sich zwar meistens um tradierte Stereotype, die von den Jugendlichen aber nicht immer als Klischees oder Vorurteile erkannt werden. Bei vielen Jugendlichen, insbesondere in den benachteiligten Lebenswelten, ist das positive Bild einer pluralen, vielfältigen Gesellschaft (noch) nicht fest als soziale Norm verankert.

Zum Studienansatz

Die Studie „Wie ticken Jugendliche 2016?“ beschreibt auf Basis von 72 qualitativen Tiefeninterviews Wertvorstellungen von 14- bis 17-Jähringen in Deutschland sowie ihre Einstellungen zu Themen wie digitale Medien und digitales Lernen, Mobilität, Nachhaltigkeit, Liebe und Partnerschaft, Glaube und Religion, Geschichtsbilder, Nation und nationale Identität sowie Flucht und Asyl. In zahlreichen Zitaten und kreativen Selbstzeugnissen kommen die Jugendlichen dabei ungefiltert zu Wort. Die Untersuchung, die am 26. April in Berlin vorgestellt wurde, liefert mit der detaillierten Nachzeichnung der Lebenssituation Einzelner ein insgesamt typisches Bild für die unterschiedlichen Lebenswelten von Jugendlichen heute. Erstmals wurde bei der Erhebung die Methode des Participatory Youth Research eingesetzt, bei der Jugendliche als Interviewende selbst ihre Fragen einbringen konnten.

Wie in beiden Vorgängerstudien 2008 und 2012 zeigt sich auch 2016, dass es d i e Jugend nicht gibt. Die qualitative Untersuchung des Sinus-Instituts bildet die Vielfalt der Perspektiven jugendlicher Lebenswelten ab, wobei sich an der inneren Verfasstheit der Gruppen wenig geändert hat und das im Jahr 2012 entwickelte Modell mit den sieben jugendlichen Lebenswelten bestätigt werden konnte.

Auftraggeber sind die Arbeitsstelle für Jugendseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz (afj), der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ), die Bundeszentrale für politische Bildung/bpb, die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) und die VDV-Akademie (Verband Deutscher Verkehrsunternehmen - Akademie).

Berichte finden sich unter anderem bei „Spiegel online“, „Focus online“ und „Zeitonline“. Eine ausführliche Darstellung in Buchform bringt der Springer-Verlag zum 28. Mai 2016 heraus. Das Buch, ISBN 978-3-658-12532-5, kostet 53,59 Euro.

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