Termine re:publica 2015 – Wer ist hier unpolitisch?

Haeussler Johnny CoVeranstalerRepublicaMedienprofis und „Maker“, Branchenbeobachter und Blogger trafen sich letzte Woche wieder zur Berliner re:publica auf eine Mate. Dem Charakter und der Sprecherliste der Veranstaltung entsprechend herrschte bei den Themen eine fast grenzenlose Vielfalt. Wenn man unbedingt will, könnte man von den res publica als rotem Faden sprechen. Genauer: vom Zustand der politischen Kultur in Deutschland, Europa und weltweit, und wie dieser in den digitalen Medien seinen Ausdruck findet.
Schon die Eröffnungsrede machte das deutlich: Die täglichen Murmeltiere, wie Co-Veranstalter Johnny Haeusler (das Foto zeigt ihn bei der Eröffnung der re:publica 2015 © re:publica / Gregor Fischer) sie nennt, waren erneut Privatsphäre, Vorratsdatenspeicherung und Netzneutralität. Das alles ist in den vergangenen acht Jahren schon mindestens einmal durch die Veranstaltung gegeistert, ohne an Relevanz oder Aktualität zu verlieren. Nur mittlerweile ist die Perspektive auf diese Themen eine gesamteuropäische geworden, nicht nur, weil die EU die Entscheidungen darüber trifft.

Der gesellschaftliche und politische Umgang mit dem Digitalen in anderen Weltregionen macht in den Augen vieler Redner deutlich, dass Europa in dieser Hinsicht eine Sonderstellung zukommt. Bei allem Bauchgrummeln, das Netzaktivisten angesichts des Geschachers in Brüssel und Straßburg plagt, werde Europa als Gegengewicht zu den noch nicht und nicht mehr vertrauenswürdigen politischen Räumen Asien und Nordamerika gebraucht – als Hort der Rechtstaatlichkeit für eine datengetriebene Industrie des 21. Jahrhunderts.

Der Markt könne es richten
Und das betrifft uns alle: Die Masse der schönen Technik, die wir in Europa benutzen, kommt irgendwie aus schwierigen Verhältnissen. Auf der Hardware aus zumeist asiatischer Produktion läuft Software, die mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit amerikanisch ist. Was tun, wenn man sich nicht kampflos dem antiliberalen Störfeuer aussetzen will? Staatssekretärin Brigitte Zypries vom Wirtschaftsministerium und Christoph Keese von Axel Springer glauben, der Markt könne das richten. Indem Europa seine Vorteile als Digitalstandort ausspielt und Nutzern wie Unternehmern das bietet, was sie wollen: gute Produkte und Services, frei von Sklavenarbeit, eingebauten Filtern und Wanzen.

Das Problem ist nicht Google, das Problem sind die Nutzer
Doch wie hoch die Hürden dafür sind, zeigt das Beispiel Google. Zwei Vorträge beschäftigten sich mit der dringenden Notwendigkeit, den Suchgiganten an die Leine zu nehmen. Es müsse mehr Kontrolle her, Googles Umgang mit Daten müsse transparenter werden, die Ungleichbehandlung fremder und eigener Inhalte müsse aufhören, die Argumente sind bekannt. Der Mediensoziologe Volker Grassmuck stellte jedoch fest: Das Problem ist nicht Google, das Problem sind die Nutzer. Ohne deren Daten ist Google nichts, und sie von der Notwendigkeit zu überzeugen, sich anders zu verhalten, ist die eigentliche Aufgabe.

Plädoyer für die Macht der Unzufriedenen
Die Perspektive der Nutzer nahm auch der amerikanische Medienwissenschaftler und Internetaktivist Ethan Zuckerman ein in einem flammenden Plädoyer für die Macht der Unzufriedenen. Zuckerman verwies auf die zahlreichen Protestbewegungen der letzten Jahre, von Occupy über den arabischen Frühling, Gezi und Podemos, und stellte fest, dass diese allesamt von jungen Menschen getrieben wurden. Junge Menschen, denen man Desinteresse an Politik vorwarf, die die Elterngeneration als selbstbezogene, vergnügungssüchtige Wohlstandskinder abgestempelt hatte. Aber daran hat nicht die Jugend Schuld, sondern das verkrustete politische System.

Diese Einschätzung teilt Max Hoppenstedt, Redaktionsleiter beim Magazin „VICE“. Bei seinen Lesern, vorrangig die Unter-25-jährigen, ziehen besonders die kontroversen, politischen Themen – wenn man denn die richtige Form der Ansprache findet. Ebenso suchen sich Veränderungswünsche der Millenials alternative Ausdrucks- und Organisationsformen, getrieben von den technologischen Möglichkeiten, mit denen sie aufgewachsen sind.

Patentrezepte gibt es nicht, Erfolgsgarantien ebenso wenig
Beispielsweise über YouTube. Wie sie es anstellen, erzählten am Mittwoch die „Prenzlschwäbin“ Bärbel Stolz, YouTuber Nikolas Lindken, Marie Meimberg vom Verein 301+, Creative Director Hannes Jakobsen und Marco Vollmar vom WWF, die allesamt erfolgreich auf YouTube für politische Themen trommeln. Doch zum Verdruss der Zuhörer sind die Beispiele aus der Praxis genau das: Beispiele. Patentrezepte gibt es nicht, Erfolgsgarantien ebenso wenig. Und was für den richtigen Zweck klappt, klappt auch manchmal für den falschen. So sprachen Laura Piotrowski und Julia Schramm von der Amadeo Antonio Stiftung über die Gefahren der Vernetzung rechtsextremer Tendenzen auf sozialen Netzwerken. Sie verfolgen die Aktivitäten rechter Gruppen seit Jahren und stellten fest, dass diese äußerst erfolgreich über soziale Netzwerke Protest organisieren und in Demonstrationen im realen Leben übersetzen. Die Konversionsquote vom Netz auf die Straße lässt dabei jeden gestandenen Campaigner aus den Schuhen kippen: Von 5.700 Zusagen zur HoGeSa-Demo letzten Oktober kamen 4.800 wirklich. Grusel.

Für uns re:publica-Neulinge war die Veranstaltung ein ganz guter Blick in das Kaleidoskop Internet. Ja, es gab Cat Content und es wurde zum Feierabendbier getwittert. Medienmacher experimentieren mit neuen Wahrnehmungskanälen, um dem reizüberfluteten Publikum ihre Inhalte noch eindrücklicher zu vermitteln. Und Online-Werbung nervt nach wie vor, trotz guter Gegenvorschläge. Dazwischen gab es viele Ansätze, ernste Themen ins Digitale zu übersetzen und neue Medien, Tools und Prozesse zu nutzen, um die Welt zu verbessern. Ein kleines bisschen zumindest.

Beachten Sie bitte zur re:publica auch den Beitrag von Nicole Mertz an anderer Stelle im "PR-Journal".

Über die Autorinnen: Nicole Mertz und Julia Zhu sind als Campaign Executives bei der Agentur Oseon bestens vertraut mit Innovationsthemen. Neues aus der digitalen Sphäre ist ihr tägliches Brot. Mertz beschäftigt sich insbesondere mit e-Commerce, CRM und Mobility, Zhu mit Business-Software, IT-Infrastruktur und HR. Mehr zu den Autorinnen auch auf der Agenturwebsite von Oseon.

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