Wahlkampf Berlin16 LinkeDer Erfolg einer Wahlkampagne entscheidet sich am Wahltag. Erreicht eine Partei zumindest das gewünschte Ergebnis, war die Kampagne ganz großartig. Den beteiligten Agenturen winken Folgeaufträge. Scheitern Partei und Kandidat, war die Kampagne schuld. Aktuell ringen die Berliner Parteien um Stimmen für die Abgeordnetenhauswahl am 18. September. Gelten die meisten Wahlkämpfe als eher farblos und bestehen aus der Plakatierung ziemlich ähnlich aussehender Gesichter, zeigen die Berliner Parteien bisher erstaunliches Geschick, ihre Kandidaten und vor allem Inhalte crossmedial an die Wähler zu bringen. Plakataktionen finden Widerhall in Tageszeitungen, auf bundesweiten Nachrichtenportalen und im Fernsehen. In sozialen Netzwerken spielen sich selbst Kandidaten konkurrierender Parteien die Bälle zu und einzelne Motive führen sogar zu Diskussionen auf der Straße.

Auffallend: Die großen Werbe- und PR-Agenturen des Landes mischen in diesem Wahlkampf nicht mit. Eine Ausnahme bildet ButterBerlin. Die Agentur mit ihrem Geschäftsführer Frank Stauss versucht, der SPD die Mehrheit zu sichern und damit dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller das Amt. Stauss gehört zum Inventar zahlreicher SPD-Wahlkämpfe. Erfolgreiche Kampagnen für Gerhard Schröder, Klaus Wowereit, Olaf Scholz sowie der Sensationssieg von Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz gehören zu seinen Referenzen.

Wahlkampf Berlin16 SPDNimmt man Stauss beim Wort, haben Partei und Agentur mit dem Kampagnenstart einen Teilerfolg erreicht: „Wir hatten das Ziel, mit der über alle Medien hinweg meist diskutierten Kampagne der Stadt den Wahlkampf zu eröffnen. Und so ist es gekommen.“ Verantwortlich für das mediale Interesse ist ein Plakat, das den Regierenden Bürgermeister Müller auf einer Rolltreppe zeigt, wo ihm eine Frau mit Kopftuch entgegenkommt. Neben ausgiebigen Diskussionen des Motivs und der Kampagne in den Berliner Tageszeitungen und sozialen Netzwerken hat unter anderem die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ das Plakat genutzt, ein Doppelinterview mit Müller und Sawsan Chebli, der stellvertretenden Sprecherin des Auswärtigen Amtes und selbst Muslimin, über die Rolle des Islams in der Gesellschaft zu führen. Hier wurde ein PR-Thema gesetzt, das in andere Medien ausstrahlt.

Fauxpas führt zu Aufmerksamkeitsboom

Auch der Partei „Die Linke“ ist es gelungen, mit einem Motiv ins Gespräch zu kommen. Ihr Plakat „Mietrebellin. Oma Anni“ zeigt eine ältere Dame, die sich nicht aus ihrer Wohnung vertreiben lassen will – Wohnungsnot, Luxussanierungen und die steigenden Mieten sind wichtige Wahlkampfthemen in Berlin.

Das Plakat erwachte aufgrund eines Artikels in der Boulevardzeitung „Berliner Kurier“ über die Hintergründe von Oma Anni so richtig zum Leben. Diese ist keine reine Werbeerfindung. Die 95-Jährige Anni Lenz kämpft seit Jahren gegen die Mieterhöhungen in ihrer Wohnung in Berlin-Reinickendorf; eine Symbolfigur. Nur: Die Oma ist bekennende SPD- und nicht Linke-Wählerin, was man als Fauxpas der Wahlkampfleitung deuten kann. Andererseits erzielte das Motiv aufgrund von Berichterstattung in den Berliner Tageszeitungen, auf „Spiegel Online“, „n-tv“ bis hin zur „Augsburger Allgemeinen“ eine erstaunliche Reichweite. Dass die SPD nun mit dem Plakat „Oma Anni bleibt SPD-Wählerin“ kontert, erhöhte die Aufmerksamkeit vor allem auf Facebook & Co. Insgesamt verzichtet die Linke auf Präsentation ihres Spitzenpersonals und setzt auf inhaltliche Botschaften. Betreuende Agentur ist „DiG/Trialon“, laut Eigenwerbung eine „Agenturgemeinschaft für Politik- und Gesellschaftskommunikation“ aus Berlin.

CDU verzichtet auf Leadagentur

Wahlkampf Berlin16 CDUDie CDU in Berlin bestreitet den Wahlkampf ohne Leadagentur. Mit Thomas Heilmann, dem Berliner Senator für Justiz und Verbraucherschutz, hat die Partei einen erfahrenen Kampagnenmanager in den eigenen Reihen. Heilmann war vor seinem Einstieg in die große Politik geschäftsführender Gesellschafter der Berliner Niederlassung von Scholz & Friends und später Vorstandsvorsitzender der Agenturgruppe.

Die Umsetzung der Wahlkampagne liegt in den Händen eines Agenturverbunds mit dem Design-Studio Sultan Berlin sowie Praxisnah für Digitales an der Spitze. „Das Bewegtbild ist ein wichtiges Element unserer Online-Kampagne“, erklärt CDU-Pressesprecherin Gina Schmelter. Ein zentraler Baustein seien „Apps, um mit den Berlinerinnen und Berlinern noch intensiver ins Gespräch zu kommen oder um kleine Videos drehen zu können“. Ein fast 34 Minuten langer Imagefilm mit CDU-Wahlprogramm und Spitzenkandidat Frank Henkel im Zentrum ist nicht nur auf Facebook und YouTube zu sehen, sondern soll auch im Kino laufen. Zusätzlich gibt es Kurzfilme zu Themen wie Sicherheit, Familie, Wohnen und Bildung sowie ein Online-Aufdeck-Spiel im Memory-Stil – genug Futter für die sozialen Netzwerke also. Auffälligste Plakatmotive der Kampagne „Starkes Berlin“ sind ein Motiv des Innensenators Henkel mit seinem nur im Anschnitt erkennbaren Sohn auf der Schulter sowie ein erwachsenes Nilpferd, das sich um sein Baby kümmert – Familienpolitik.

Griffige Slogans für Junggebliebene

Bündnis 90/Die Grünen will mit einprägsamen Claims wie „Alles auf grün“ oder „Große Koalition abwählen“ zu den Wählern durchdringen. Partner ist die Berliner Agentur DieckertSchmidt, die 2013 zur Newcomer-Agentur des Jahres gewählt wurde und sich durch ästhetisch anspruchsvolle Werbung auszeichnet. „Für uns als Agentur und Bürger ist es sehr wichtig, die Grünen beim Kampf für Vielfalt, Offenheit, Nachhaltigkeit, Vernunft und gegen Hetze und Rückwärtsgewandtheit zu unterstützen“, erklärt Mitgründer Stefan Schmidt das Engagement für die Partei.

Wahlkampf Berlin16 GrueneÄhnlich wie die Linke verzichten die Grünen auf eine prominente Präsentation des Spitzenpersonals und stellen Inhalte, den Teamgedanken sowie das Berliner Lebensgefühl in den Vordergrund. Slogans wie „Steuern nicht verfeuern“, „Berlins wichtigste Start-ups: Kinder“, „Berlin brauche neue Wege: Radwege!“ oder „Dein Gott. Dein Sex. Dein Ding“ scheinen sich eher an eine junge oder junggebliebene Zielgruppe zu richten. Interessant in diesem Zusammenhang ist ein Bericht der „Süddeutschen Zeitung“, dass die Grünen bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr nicht mehr mit ihrer Stammagentur Zum goldenen Hirschen zusammenarbeiten wollen, sondern eine eigene Agentur mit Namen ZBA gründen. „Ziemlich Beste Antworten“ soll das heißen. Ein neuer Weg des Wahlkampfmanagements.

Warum mischen im Wahlkampf eher kleinere Spezial-Agenturen mit? „Hier in Berlin gibt es zig Agenturen, die mit politischer Kommunikation ihr Geld verdienen, sich aber schön aus dem Wahlkampf raushalten, um ja kein Business zu riskieren“, vermutet Butter-Mann Stauss. Er hält diese Herangehensweise für ungeschickt. „Wahlkampf ist der absolute Härtetest und wer Wahlkampf kann, lässt sich durch nichts mehr erschüttern.“

Aktuell im Abgeordnetenhaus vertreten ist noch die Berliner Piratenpartei. Ihre Kampagne soll betont witzig und abweichend vom Mainstream daherkommen. „Demokratie, Transparenz. Menschenrechte“ ist eine ihre ernsthafteren Plakatbotschaften. Auch kommen sie mit einem diabolischen Clown um die Ecke und jemand bunt frisiertem, der „Fahrscheinlos ins Parlament“ fahren will - anspielend auf fahrscheinfreien öffentlichen Nahverkehr.

Die AfD hatte nach eigenen Angaben im übrigen „erhebliche Schwierigkeiten“, eine Agentur für den Berliner Wahlkampf in Deutschland zu finden, wie der „Spiegel“ berichtet.


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