Unternehmen Volkswagen: Müller muss Wandel der Unternehmenskultur erreichen – daran wird er gemessen

Mueller Matthias VorstandsvorsitzenderVWAGNach dem Rücktritt Martin Winterkorns als Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG (wir berichteten) hat sein Nachfolger Matthias Müller (62, Foto) das Zepter in Wolfsburg übernommen. Seine vordringlichste Aufgabe, so erklärte er selbst zu seinem Amtsantritt, sei es, das Vertrauen für den Volkswagen Konzern zurückzugewinnen – durch schonungslose Aufklärung und maximale Transparenz, aber auch, indem die richtigen Lehren aus der aktuellen Situation gezogen würden. Das kommt einer Herkulesaufgabe gleich, machen doch viele Experten, die sich nun auf alle Kanälen äußern, unter anderem ein nicht funktionierendes Regelwerk für das VW-Desaster verantwortlich. Zwar waren nach dem letzten großen VW-Skandal um Schmiergeldzahlungen und Lustreisen im Jahr 2005 die Complianceregeln stark verschärft worden, doch zielten diese offensichtlich stärker auf individuelle Verfehlungen als auf ein Versagen ganzer Systemteile. Hinzu kommt, dass – so zeigt es ein Blick in den Konzernlagebericht „Risiko- und Chancenbericht“ – vorgegebene Werte offensichtlich nicht gelebt wurden.

Wörtlich heißt es im Risiko- und Chancenbericht: „Der verantwortungsvolle Umgang mit den Risiken wird im Volkswagen Konzern durch ein umfassendes Risikomanagement- und Internes Kontrollsystem unterstützt“. Die noch gültigen konzernweit einheitlichen Grundsätze sollten die Basis für den transparenten und angemessenen Umgang mit Risiken bilden. Der Punkt „die Abwägung von Risiken und Chancen, um Chancen nutzen zu können, denen überschaubare und steuerbare Risiken gegenüberstehen“ ist da wohl gründlich missverstanden worden. Zudem ist das „Konzept der drei Verteidigungslinien“, wie es tatsächlich heißt, nicht aufgegangen. Weder das operative Risikomanagement (1. Linie), noch die Erfassung systemischer Risiken durch den Governance-, Risk- und Compliance-Regelprozess (2. Linie) noch die Prüfung durch die Konzernrevision (3. Linie) haben den Abgasskandal zutage befördert oder rechtzeitige Maßnahmen zur Eindämmung in Gang gesetzt.

Das Versagen der eigenen Regeln führt Müller zu seiner größten Herausforderung: Er muss einen Wandel der Unternehmenskultur einleiten. Er muss die träge Masse des riesigen Konzerns aufwecken und dafür sorgen, dass sich von der Führung bis zur Basis sehr schnell ein Umdenken einstellt. Die Entwicklung muss weg führen von einer Kultur des Wegsehens und Wegduckens hin zu größerer Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen und konstruktive Zivilcourage an den Tag zu legen. Ob ihm das gelingt, daran wird Matthias Müller, bisher im VW-Reich Vorstandsvorsitzender der Zuffenhausener Tochter Porsche, gemessen werden.

Somit kommt der Konzernkommunikation nicht nur bei der Bewältigung der Krise sondern auch bei der Hinführung zu einer konzernweit neuen Unternehmenskultur eine herausragende Bedeutung zu. Ganz schnell muss die Schockstarre abgeschüttelt und der Wandel eingeleitet werden. Müller braucht schnell sichtbare Zeichen der Erneuerung.

Weitere Stimmen zu den jetzt nötigen Schritten bei der Volkswagen AG
Für Fairness im Umgang mit dem Unternehmen und seinen Mitarbeitern plädiert in diesem Zusammenhang „PR-Journal“-Autor Wolfgang Griepentrog. Aber auch er fragt, warum aufwändige Compliance-Organsiationen in entscheidenden Momenten des Praxisbetriebs versagen und Selbstreinigungsmechanismen im Unternehmen offenbar nicht funktionieren. In seinem Beitrag „Vom Compliance-Kult zur Compliance-Kultur: ein dringender Job für die Kommunikation“ will er auf seinem Blog aufzeigen, wie das Thema aus dem engen Korsett juristischer Betrachtungen hinein in die reale, konflikt- und risikoreiche Unternehmenspraxis geholt werden kann. Dazu gibt er einige Anregungen.

Wesentlich ungeduldiger und unnachgiebiger zeigt sich hingegen Thomas Koch. Der Ex-Starcom-Manager, Kolumnist der „WirtschaftsWoche“, Herausgeber von „Clap“ und ehemalige Agenturgründer fordert in einem Kommentar für die „W&V“ ein Kommunikations-Feuerwerk. Es gelte zu verhindern, dass das letzte bisschen Vertrauen in die Marke verloren gehe. Klipp und klar sagt er: „Es muss eine Kampagne her. Sofort. Eine, die den Namen ‚Kampagne‘ wirklich verdient. PR, Werbung – analog, digital – Social, die ganze Bandbreite. Eine offensive und intelligente Initiative, die die Glaubwürdigkeit der ehemaligen Marken-Ikone Volkswagen wiederherstellt.“ Lesen Sie seinen Beitrag „Hallo, Volkswagen! Ist da jemand“ in ganzer Länge in der „W&V“-Blogwelt.