„Wir haben das Recht zu lügen,“ proklamierte Klaus Kocks recht flapsig beim diesjährigen Jahrestag des netzwerks recherche, und der Satz wurde im letzten "Message"-Heft 3/2008 prompt zur Überschrift. Flapsig deshalb, weil er seine Behauptung gar nicht begründete. Aber sie stammt auch nicht von ihm. Sein spiritus rector ist der Münsteraner Professor Klaus Merten und mit ihm allein sollte sich die PR-Zunft auseinandersetzen.
Klaus Merten hatte vor zwei Jahren in der Zeitschrift pressesprecher postuliert: „Nur wer lügen darf, kann kommunizieren!“ Genauso gut kann man postulieren: „Nur wer schwarzarbeiten lässt, kommt über die Runden.“ Oder: „Nur wer Geschwindigkeitsgebote übertritt, kommt auf den Autobahnen voran.“
So was kann mal gesagt werden, wenn einem das eigene pädagogische Berufsethos das erlaubt. Niemand hat aber bislang aus solchen burschikosen Feststellungen eine wissenschaftliche Definition des Autofahrers als genuinen Raser oder des Staatsbürgers als notorischen Steuerhinterzieher abgeleitet. Das wäre auch professoraler Unfug.
Klaus Merten hingegen hat in der Zeitschrift "Medien & Kommunikationswissenschaft" Heft 1/2008 eine neue Definition von PR vorgelegt, die Täuschungen impliziert. „Public Relations sind das Differenzmanagement zwischen Fakt und Fiktion durch Kommunikation über Kommunikation in zeitlicher, sachlicher und sozialer Perspektive.“ Soweit, so gut. Doch dann erläutert er: Differenzmanagement zwischen Fakt und Fiktion ist „eine Technik bedingt geduldeter öffentlicher Täuschung...“
Wie kommt er dazu? Er erkennt das Fiktionale in PR-Auskünften. PR-Leute mischen Fakten unweigerlich mit Fiktionen auf. Aber das geschieht immer und notwendig, wenn Fakten interpretiert und perspektivisch erläutert werden: Interpretieren heißt, Zusammenhänge darstellen, Vergleiche mit anderen Vorgängen oder Ursachen ziehen und voraussichtliche Entwicklungen andeuten.
Nur führt ein solches „Differenzmanagement“ keinesfalls notwendigerweise zu Täuschungen. Es besteht kein „Zwang“, wie Merten postuliert, die eigene Aussage kontingent zu halten, und selbst wo es geschieht, muss sie nicht falsch sein. Aber Pressesprecher geben häufig genug auch definitive Auskünfte und sie formulieren sie trotzdem auf den jeweiligen Adressatenkreis zugeschnitten immer mal wieder etwas anders (was Merten ebenfalls für Täuschungen hält).
Ein zweites Argument, um PR als besonders lügenanfällig darzustellen, bringt Merten mit dem gängigen Hinweis auf die anwaltschaftliche Funktion der PR. Anwälte dürften vor Gericht lügen und täten es, und PR-Leute sollten es auch tun und zwar möglichst gekonnt. Dabei liegt hier eine Verwechslung der Funktionen vor. PR-Berater sind keine Rechtsanwälte, die nach geschehenen Missetaten auf den Plan treten und Übeltäter „vor Gericht“ herauspauken. PR-Berater fungieren stets treuhänderisch, wie amerikanische PR-Forscher jüngst beschrieben (Responsible Advocacy). Sie sind von vorneherein in jedes Kommunikationsverhalten eingebunden und haben dabei die Interessen Dritter einzubringen. Die Interessen Dritter heißt, auf wahrheitsgemäßes Argumentieren achten.
Merten führte in einem com+plus-Artikel ein drittes Argument ins Feld: „Die Theorie der Mediengesellschaft sagt im Kern die Zunahme von Täuschungen aller Art voraus.“ Der Hinweis auf „die Theorie der Mediengesellschaft“ suggeriert eine Phalanx von unwidersprochenen wissenschaftlichen Autoritäten. Die gibt es aber nicht.
Merten hat in diesem Zusammenhang nur Erving Goffman genannt und als Jahreszahl für dessen Buch 2005 angeführt. Aber dieser für ihn „moderne Kommunikationstheoretiker“ starb bereits 1982, und in seinem Buch über die „Eindrucksmanipulationen“ eines jeden Menschen („Wir alle spielen Theater“ – wir alle!) kommen erstens keine Zukunftsperspektiven und zweitens keine PR-Leute vor. Es analysiert, was wir „Lebenslügen“ nennen könnten. Trotzdem will uns Merten damit zu dem Schluss verleiten, dass sich das Berufsethos der PR auf eine Zunahme der Täuschungen aller Art einzustellen habe.
Aber selbst wenn das Täuschen und Manipulieren und Desinformieren auch nur unter PR-Leuten zunähme, läge darin kein wissenschaftlich begründbarer Grund, eine Norm zu ändern. Die Logik trennt scharf zwischen Sollen und Sein.
Den PR-Praktikern wird die öffentliche Täuschung wie eine Erbsünde vorgehalten. Anders als anderes partielles PR-Fehlverhalten – zum Beispiel die Bestechung, die Nötigung oder die Drohung - liegt für Merten das Täuschen in der Berufsrolle der PR-Leute. Sie täuschen sozusagen per definitionem. Prüfen wir daher einmal selbstkritisch: Steht PR mit der Wahrheit und der Wahrhaftigkeit zwingend auf Kriegsfuss? Dringlicher noch: Müssen wir das dulden?
Wahrheit bezieht sich auf Sachverhalte, Wahrhaftigkeit auf ein Verhalten (Verlogenheit wäre dazu das Gegenteil). Die Wahrheit zu sagen, ist für PR-Leute ein Problem der Tiefe und der Zeit. Zunächst die Tiefe! Manche mögen sagen: die Abgründe. Prinzipiell gilt: Was ich über mich, über meine Organisation sage, ist niemals alles, was darüber gesagt werden kann, selbst wenn ich alle Hosen runterlasse.
Zwei Vorwürfe werden mit PR-Auskünften stets verbunden: die Schönfärberei und die Halbwahrheit, und beides seien ganze Lügen. Zunächst zur Schönfärberei. Man kann sagen, 30% der Ostdeutschen wählt die Linke. Man kann aber auch sagen, 70% der Ostdeutschen wählt nicht die Linke. Der gleiche Sachverhalt, einmal schlecht geredet, einmal schöngefärbt. Ganz einfache Sachverhalte lassen sich nach dem Prinzip des halbleeren oder des halbvollen Glases formulieren. Wahr bleiben sie in beiden Fällen.
Die halbe Wahrheit hingegen ist dann eine ganze Lüge, wenn wesentliche Teile eines Sachverhalts nicht gesagt und Öffentlichkeiten dadurch in die Irre geführt werden. Meist wird dieser Vorwurf aber zu unrecht erhoben, und zwar von solchen Journalisten oder Protestgruppen, die niemals mit einer Auskunft zufrieden sind. Die möchten noch die geheimsten Pläne eines Unternehmens, die hintersten Gedanken eines Politikers wissen und veröffentlicht sehen. (Übrigens mit einer Ausnahme: den Plänen des eigenen Verlags. Da hat die Neugier ihre Grenzen). Über das Abgründige im Anderen lässt sich hingegen vortrefflich schreiben. Der sollte daher endlich die Hosen runter lassen. Aber ist nur das die Wahrheit, was dann zu Tage tritt?
Soviel zum Problem der Wahrheitstiefe. Zum Problem der Zeit: Was heute wahr ist, muss es morgen nicht mehr sein. Wir sind Kinder einer schnelllebigen Zeit. Politische und wirtschaftliche Parameter verändern sich und mit ihnen die Verfallszeiten von Aussagen. In einer der letzten ZAPP-Sendung wurden etliche Politiker vorgeführt, die mit dem Brustton der Überzeugung eine Politik beschworen haben, die sie später nicht einhalten konnten. Muss deshalb aber gelogen sein, was gestern gesagt wurde?
Im Hinblick sowohl auf Abgründe wie auf Zeitgebundenheit darf unterstellt werden, dass jeder Kommunikator mit seinen Aussagen oder seinem Verschweigen nicht leichtfertig umgeht. Wer arglistig täuscht, setzt seine Glaubwürdigkeit aufs Spiel. Denn alles kommt irgendwann heraus. Dafür können unzählige Beispiele genannt werden.
Trotzdem finden nach wie vor sehr viele Manipulationen, absichtliche Täuschungen und Desinformationen statt. Sie verfolgen das Ziel, Öffentlichkeiten zu irrigen Schlüssen und falschem Verhalten zu veranlassen. Für solche Fälle gilt der Artikel 10 des Code d’Athenes: Jedes Mitglied der nationalen PR-Verbände sollte es unterlassen, „die Wahrheit anderen Ansprüchen unterzuordnen.“ Und der Code de Lisbonne konkretisiert dieses Gebot: „PR-Aktivitäten müssen offen durchgeführt werden. Sie müssen leicht als solche erkennbar sein, eine klare Quellenbezeichnung tragen und dürfen Dritte nicht in die Irre führen.“
Wer das beherzigt, kann sehr erfolgreich kommunizieren.
Dr. Horst Avenarius, Gauting, im Juli 2008 (überarbeitetes Vortragsmanuskript vom 19. Juni, 4. PR-Careers-Day in Münster)
Übrigens: Petra Sammer, Ketchum, München hat zum Thema im Blog "media coffee" eine interessante Diskussion angestossen: "PR - Lizenz zu Täuschen ... wo ist der Widerstand?" (www.mediacoffee.de/petrasammer/item/536).
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