Troublesome Times und digitale Überforderung, so hatten wir uns New Work nicht vorgestellt: SAP-Ausdrucke in die Notebook-Kamera zu halten oder spät nachts online zu diskutieren, welche Anlagen rund um den Globus noch auf die Ethanol-Produktion umgestellt werden können. Screen-sharend hauen wir uns Skill-Matrizen um die Ohren, um zu sehen, wo noch UX- und UI-Entwickler aufzutreiben sind, für den nächsten Sprint. Vertriebliche Panik wird per Videokonferenz bearbeitet. Führungskräfte und Spezialisten merken nun nach Tagen oder Wochen teils pausenloser Web-Meetings, dass sich etwas ändern muss. Und kann.

Was ist anders in Online-Meetings und Videokonferenzen?

Wir saßen viele tausend Jahre zusammen um Lagerfeuer. Telefonieren können wir seit ungefähr hundertfünfzig Jahren. Fernsehen gibt es in der Masse seit fünfzig Jahren, Videotelefonie und -konferenzen seit vielleicht zwanzig. Kein Wunder, dass wir gerade merken, dass digitale Konferenzen oder Abteilungsbesprechungen mit zehn und mehr Teilnehmern nicht gerade „Tagesgeschäft“ sind.

Es gibt weniger Sinneseindrücke aufgrund reduzierter Optik und Akustik, es fehlt die Haptik und „Gefühle“ sind weniger verifizierbar. Mit der besten Gleitsichtbrille ist nicht immer alles lesbar. Sprach- und Kulturdiversität wirkt sich stärker als im Präsenzmeeting aus. Und so ist die Steuerung deutlich anspruchsvoller, für den/die Leiter*in.

Hilfreiche Techniken

Zuallererst: Vergessen Sie neunzig Minuten! Die können Sie ja nicht mal konzentriert dem Tatort folgen. Oder? Ich halte zwei Zeitmarken für hilfreicher: 45 und sieben. Ein Online-Meeting-Abschnitt sollte maximal 45 Min. lang sein. Dann Kopfkino-Pause, (Flüssigkeits-)Versorgung und Entsorgung, ein wenig Bewegung – raus aus dem Online-Meeting-Tunnel. Und ca. alle sieben Minuten hilft es Teilnehmern, wenn sie aktiviert werden. Wenn sie eine Kleinigkeit tun müssen: eine Abstimmung, Chatumfrage, eine kleine Nackengymnastik mit allen oder die Übergabe der Moderation an andere, eine Gruppenarbeit. Es gibt hunderte Möglichkeiten.

Wer über die Sinneskanäle weniger Orientierung erhält, braucht dazu von seiner Führungskraft in der Online-Sitzung „ORA“: Orientierung, Ritualisierung und Aktivierung.

Orientieren: Worum geht es jetzt, hier und in der kommenden halben Stunde (sieben Min.)? Wie werden wir arbeiten (methodisch)? Und wann genau sind wir damit fertig (Meilensteine)?

Ritualisieren: Wiederkehrende Elemente schaffen Sicherheit. Dazu zählen etwa Pausenrituale (spätestens alle 45 Min. und immer mit einem Lied, evtl. dem immer gleichen), Protokollrituale (alle halbe Stunde schauen wir gemeinsam auf das Online-Protokoll, was wir schon geschafft haben) und Start-Rituale (z.B. immer mit dem Dilbert des Tages).

Aktivieren: Neben den oben bereits beschriebenen Ideen könnten Sie auch eine schnelle Retrospektive machen („Was sollten wir ändern in unserer Schalte? Jeder sagt bitte einen Satz.“) oder verteilen Sie Rollen (Protokollant, Schiedsrichter, Ulknudel, Zeitmahner, …). Das kann auch bedeuten: Medien-Wechsel. Gehen Sie in andere Apps oder arbeiten mit dem Flipchart.

Klare Ziele, Verantwortlichkeiten, Feedbacks

Es hilft allen, Ihnen und den Mitarbeitenden, wenn Sie klar sind. Der Zweck des Meetings und seiner Phasen, Zwischen-/Ziele dürfen, ja müssen deutlich und verfolgbar sein. „In den nächsten 30 Min. werden wir …“ – vereinbaren Sie dann, wie das konkret klappen kann und ernennen Sie jemanden, der/die alle zehn Min. bewertet, wie gut das Team unterwegs ist.

Das heißt auch: Tun Sie nicht alles selber. Entlasten Sie sich durch Delegation. Das ist aktivierend für die Teilnehmer*innen und verlangsamt. Langsam sein (hoffentlich haben Sie Zeit für dieses kurze Paradoxon des Online-Lebens?) ist nämlich nützlich. Wenn Sie ohne Ergebnis pünktlich fertig sein wollen, machen Sie’s so schnell wie im Live-Meeting. Wenn Sie etwas erreichen sollen: Machen Sie (ein wenig) langsam(er). Nicht langweilig. Nicht monoton.

Ebenso hilfreich wie nützlich ist regelmäßiges Feedback. „Was war oder ist gut, was nicht so sehr, was möchten sie (alle) anders tun?“, „Wie war der Beitrag von …?“, „Ist für jeden deutlich dass, …? Dann heben Sie bitte kurz die Hand!“ oder eine Mentimeter.com-Abfrage (ist in wenigen Sekunden erstellt!) – aktiviert, orientiert, und verbessert. Ganz agil!

Sind Sie gut vorbereitet?

Beachten Sie (auch) folgende sieben einfache und praktische Punkte:

  1. Stehen ist besser als sitzen, Wechsel zwischen beidem sinnvoll.
  2. Versorgen Sie sich ausreichend mit Wasser.
  3. Schalten Sie die Videos/Kameras an, am besten immer, sonst immer wieder mal (wenn es das WLAN nicht anders zulässt).
  4. Besorgen Sie sich eine zweite Person, die sich parallel um die Technik des Online-Meetings kümmert (Mikros an und ausschalten, Chat beobachten, Dateien zeigen, …): „Too much is the lazy man’s load!“
  5. Schreiben Sie das Protokoll mit der ToDo-Liste im Meeting. Dann ist es danach fertig und jeder weiß, was drin stand (und wie es hinein gekommen ist).
  6. Akzeptieren Sie Fehler.
  7. Lachen Sie viel und häufig. Es ist nur Business.

Selbstfürsorge. Und Coaching.

Und, bei allem was sich, mit oder ohne Coach, noch besser machen lässt: Entspannen Sie. Führungskräfte und Spezialisten im digitalen Burnout helfen niemandem. Eine Studie aus Wien zeigt: Konnten im Jahr 2002 noch ca. 30 Prozent der Business-Probanden für fünf Minuten still ohne Beschäftigung aus dem Fenster sehen, waren es 2018 nur noch 5 Prozent. Können Sie, heute und jetzt, fünf Minuten still und nichtstuend aus dem Fenster sehen. In den blauen, fliegerfreien Himmel? Nein? Dann wird es Zeit.

Über den Autor: Uli Harnacke ist psychodynamischer Business Coach. Er arbeitet seit über zehn Jahren auch virtuell. Als Einzel- und Teamcoach hat er in inter-/nationalen Settings Projekte und Prozesse begleitet, die oft wesentlich auf Distanz-Kommunikation angewiesen waren. Seine Schwerpunkte liegen in den Feldern Innovation, Supply Chain und Healthcare. In diesem Jahr erschien sein Taschenguide „Online-Meetings und -Seminare. Effizient und fesselnd gestalten“ im Haufe Verlag; ISBN 978-3-648-14632-3; für 9,95 Euro.


Wir haben die Kommentarfunktion wegen zu vieler Spam-Kommentare abgeschaltet. Sie können uns aber trotzdem Ihre Meinung zu diesem Artikel als Leserbrief direkt zusenden. Falls Sie wünschen, dass wir Ihren Leserbrief als Kommentar dem Artikel hinzufügen, vermerken Sie dies bitte in der Mail an uns.
leserbrief@pr-journal.de


Heute NEU im PR-Journal