Zumtobel Thomas CEO Q4U kleinWenn Unternehmen Digitalprojekte anstoßen, geht es zunächst um Personas. Diese zu entwickeln, ist kein einfacher Prozess. Umso frustrierender, wenn das Ergebnis am Ende nicht belastbar ist. Die eigenen Einstellungen lassen sich nämlich nicht gänzlich ausblenden. So kommt es zu Umsetzungen, die weit weg vom tatsächlichen Nutzerbedürfnis sind. Würden Unternehmen die gleiche Energie in die Weiterentwicklung ihrer digitalen Marke investieren wie in die von Personas, wären sie ein ganzes Stück näher am Nutzer.

Personas sind tot

Personas wurden ursprünglich eingeführt, damit Designer Empathie für den Webseiten-Nutzer entwickeln können. Inzwischen geht ohne Personas in der Konzeption von Webseiten fast nichts mehr. Zum unverzichtbaren Fundament für eine gelungene Nutzerführung verklärt, machen sie die Positionierung des Unternehmens und dessen USPs zur Nebensache. Personas führen Unternehmen weg vom eigenen Markenkern.

Bei der Persona-Methode gibt es drei Fehlerquellen. Diese können sich sogar potenzieren.

Fehlerquelle eins: Personas werden aus einer subjektiven Wahrnehmung heraus beschrieben. Emotionen, Motivationen und Bedürfnisse der fiktiven Nutzer werden definiert. Und oft verknüpft mit klassisch soziodemografischen Merkmalen und beliebigen weiteren Datenpunkten. Eine Validierung der getroffenen Annahmen findet selten statt – wie auch?

Fehlerquelle zwei: Der nächste in der Kette muss die Persona richtig verstehen. Das ist nicht so trivial, wie es klingt. Es gibt Persona-Beschreibungen, die es auf 20 Seiten und mehr bringen. Nach der Lektüre hat man das Gefühl, die Person besser zu kennen als den eigenen Partner. Aber wurden die richtigen Dinge erkannt? Fraglich ist, inwiefern die Erkenntnisse über Hobbys, Bildungsweg oder Haustiere relevant für die ursprüngliche Aufgabenstellung sind. Zumal auch hier wieder der eigene Geschmack mitmischt. Wie ist beispielsweise die eigene Einstellung zum Angeln?

Fehlerquelle drei: Der Designer muss auf Grundlage der Persona und ihrer Ableitungen ein Design entwickeln. Er muss sich also damit auseinandersetzen, wie die Persona „Anneliese“ tickt. Und was konkret bedeutet dies nun für das Design? Wie muss das User Interface für eine Persona gestaltet sein, die gerne angelt?

Unternehmen brauchen mehr Mut

Schafft man es, zum Projektstart den Reflex „Wir verwenden Personas“ zu überwinden, öffnen sich ganz neue Möglichkeiten – nämlich ein frischer Blick auf das eigene Unternehmen und die jeweilige Marke. Speziell für kleine und mittelständische Unternehmen liegt hier ein großes Potenzial: Ihnen mangelt es oft an Selbstvertrauen. Sie sehen sich nicht als Marke. Viel öfter sollten sich Unternehmen die Frage stellen, warum Kunden sie gewählt haben. Was hat den Kunden dazu gebracht sein Bedürfnis nicht beim Konkurrenten zu stillen. So können sie erkennen, wie ihre tatsächliche Zielgruppe aussieht. Für wen sind sie "Marke" – das ist ihr USP. Gefährlich ist es, allen gefallen zu wollen. Unternehmen brauchen mehr Mut.

Das Wissen über die Bedürfnisse macht Personas überflüssig

Ein positives Nutzererlebnis, Verweildauer und Conversion Rate sind die Erfolgskriterien für eine gute Webseite. Dafür ist ein tiefes Verständnis für das Bedürfnis des Nutzers notwendig. Unternehmen / Marken müssen verstehen, dass in der Regel ein Bedürfnis nicht erschaffen werden kann. Diese ist beim Nutzer schon vorhanden. Dieser möchte etwas erreichen und sucht hierfür eine Lösung. Hierbei hat er in der Regel die Wahl zwischen verschiedenen Anbietern – wobei auch der Nicht-Konsum eine Option ist. Bei gleicher Funktionalität entscheidet letztendlich die Emotionalität der Marke. Was passt zu mir? Wo fühle ich mich wohl? Daher sind Erkenntnisse aus dem Neuromarketing eine wichtige Grundlage für das Konzept. Wie tickt der Mensch vor dem Gerät? Was macht ihn an? Welche Informationen interessieren ihn ganz besonders. In der digitalen Welt haben wir hervorragende Möglichkeiten, anhand des Klickverhaltens Rückschlüsse auf sein mentales Modell zu ziehen – also zu erkennen, wie er tickt und warum er hier ist. Und diese Information sollte man nutzen.

Ein gutes Beispiel ist der Smartphone-Kauf: Ein – per Neuromarketing-Definition – Performer wird sich für das neueste, leistungsstärkste Gerät interessieren. Ein Bewahrer für Verlässlichkeit und Nachhaltigkeit. Wen ich vor mir habe, erkenne ich am Klickverhalten. Seine betrachteten Produkte und Artikel sagen etwas über ihn aus. Dementsprechend kann ich die Darstellung meines Angebots anpassen, um dem Nutzer die entscheidenden Informationen und Argumente zu liefern. Hier geht es nicht um das Überreden zum Kauf, sondern um die Erleichterung der Entscheidung. Passt das Produkt zu mir? Erfüllt es nicht nur meine funktionalen Ansprüche, sondern auch meine emotionalen und sozialen?

Jedes Digitalprojekt hat ein Reframing verdient – ohne Beratung geht nix

Bedürfnisse zu erkennen, erfordert Analysieren und Denken. Was gleichzeitig einen hohen Zeitaufwand bedeutet. Auch wenn das Unternehmen ungeduldig auf das Konzept wartet. Dieses Investment zahlt sich aus. Je tiefer die Analyse, desto besser die User Experience des Nutzers. Die Impulse erzeugt man mit Konzepten, die sich auf wissenschaftlich fundierte Verhaltenseffekte stützen – zum Beispiel Paradox of Choice, Decoy-Effekt und Cheerleader-Effekt. Es geht um weit mehr als ein schönes Design. Letztlich geht es bei jeder Konzeption, jedem UX-Design darum, die Entscheidungsfindung einfacher zu gestalten, Lösungen für konkrete Bedürfnisse zu bieten – die mehr als nur den funktionalen Aspekt bedienen.

Ein gutes Beispiel ist der "Aufzug Finder“ von thyssenkrupp elevator. Beim Kauf eines Aufzugs hat der Interessent eine Auswahl von hunderten Optionen. Hier den Durchblick zu erlangen, fällt extrem schwer. Es wurde ein Konzept entwickelt, das durch die Eingabe weniger Parameter intuitiv zum richtigen Ergebnis führt. Das Konzept basiert auf Slidern: Stockwerke, Förderhöhe sowie Anzahl zu befördernder Personen. Wenn der Maximalwert eines Sliders nicht reicht, kann der Nutzer selbst einen höheren eingeben. Der Nutzer wird nicht mit Ergebnissen erschlagen (Paradox of Choice). Es gibt eine klare Empfehlung. Zwei weitere, die ähnlich gut passen (Decoy-Effekt). Erst, wenn er wirklich weitere Produkte sehen möchte, werden diese angezeigt. Dies führt zu einer höheren Abschlussquote. Personas hat bei diesem Projekt keiner vermisst.

Wenn man konsequent auf das Bedürfnis des Nutzers abzielt und entsprechende psychologische Modelle berücksichtigt, gestaltet man Lösungen, die einfach und intuitiv sind und die Kaufentscheidung positiv beeinflussen.

Über den Autor: Thomas Zumtobel ist kreativer Kopf, digitaler Perfektionist und Gründer der Digitalagentur Q4U in Bonn. Der Diplom-Volkswirt stellte sein kreatives Wirken als Leadprogrammierer für Perry Rhodan Computerspiele unter Beweis, widmete sich danach mehrere Jahre der Beratung bei der Digitalagentur Denkwerk um dann 2005 seine eigene Digitalagentur Q4U zu gründen. Er ist Experte für UX Strategie und Konzeption im Speziellen und neuartige Digitallösungen im Allgemeinen.


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