Autoren-Beiträge Autorenbeitrag: Auch globale Lieferketten für Unternehmensbotschaften müssen gesichert werden

Kann man Twitter noch nutzen als Medium für Unternehmensnachrichten oder Werbung? Diese Frage stell(t)en sich Kommunikatoren seit der Übernahme des Kurznachrichtendienstes durch Elon Musk im November 2022. Die Antwort hängt vor allem davon ab, wie viel Raum der neue Eigentümer künftig für die dunkle Seite der Kommunikation lässt: für Falschnachriten, Lügen, Hetze, Hassbotschaften und Verschwörungsgeschichten und wie die Nutzer darauf reagieren. Bleiben die Zielgruppen des eigenen Unternehmens auf Twitter und damit weiterhin erreichbar oder wandern sie zu anderen Plattformen und Netzwerken an, zum Beispiel zu Mastodon? Im schlimmsten Fall entwickelt sich der Kurznachrichtendienst zu einer toxischen Umgebung. Diese Schwelle ist erreicht, wenn die Präsenz in einem Medium mehr Verluste verursacht, etwa an Reputation und Bindung von Bezugsgruppen (Stakeholdern), als jede Kommunikation darüber einbringen könnte.

Solches Evaluieren von Medien gewinnt seit einiger Zeit an Bedeutung und Dringlichkeit. Twitter ist nur ein Extrem inmitten eines Trends. Weltweit gelangen private Medien in neue Hände, ob aus strategischen Gründen oder aus finanzieller Not. Oft bekommen sie neues Führungspersonal und ändern danach ihren Charakter. Öffentlich-rechtliche TV- und Radiosender in autoritär regierten Staaten sinken zur Propagandamaschinen ab – und weiter zur Volksverdummungsmaschine. Der für Unternehmen relevante Dialog mit Gesellschaften oder gesellschaftlichen Gruppen ist vielerorts komplizierter geworden. Wie die Kollegen von der Produktion müssen deshalb auch die Kommunikatoren ihre internationalen Lieferketten überprüfen und gegebenenfalls nach Effektivitäts- und Risikogesichtspunkten neu strukturieren.

Große Risiken in China

Ein viel diskutiertes Beispiel ist China. Deutschlands Konzerne sind im internationalen Vergleich nicht nur übermäßig abhängig von dem Land, sie sind auch publizistisch erpressbar von seinen Medien. China hat über Jahre einen globalen Rundfunk nach den Vorbildern BBC (Großbritannien) und CNN (USA) aufgebaut, der auch in fremden Sprachen sendet. Mit dem Unterschied, dass CCTV (bzw. international CGTN) bei seiner Berichterstattung nicht unabhängig ist, sondern von der Kommunistischen Partei kontrolliert wird. Im Ausland gibt es zudem nach Angaben chinesischer Behörden mehr als 1.000 privat chinesisch-sprachige Medien, die sich an die chinesische Diaspora wenden. Nicht alle fühlen sich dem Pressefreiheits-Standard Hongkongs vor Rückgabe an Festlandchina oder des demokratischen Taiwan verbunden. Einige können solche Standards nicht mehr leisten.

Einnahmenschwund wegen der Konkurrenz des Internets hat dazu geführt, dass chinesisch-sprachige Auslandsmedien mehr und mehr von den kostenlosen Inhalten chinesischer Staatsmedien übernehmen. Wenn die finanzielle Lage aussichtslos wird, verkaufen die Inhaber ihre Gesellschaftsanteile. Käufer sind häufig Konzerne mit Geschäftsinteressen in China, die sich bei der Regierung einschmeicheln wollen, oder es sind gleich chinesische Staatskonzerne. „The majority of Chinese-language news organisations outside China are now either directly or indirectly owned by the Chinese Government“, zitiert der britische „Economist“ (v. 25. Sept. 2021) Rose Luqiu von der Hongkonger Baptist University.

Auch in anderen Ländern Südostasiens und über die dortigen chinesischen Gemeinschaften hinaus gewinnen die chinesischen Staatsmedien an Einfluss. CCTV verbreitet seine Programme in allen Staaten der Region. Die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua und andere chinesische Anbieter journalistischer Inhalte haben Vereinbarungen mit finanziell angeschlagenen Lokalzeitungen, Nachrichtenagenturen sowie TV- und Rundfunksendern in Vietnam, Laos, Thailand und Kambodscha geschlossen. Die Partner der chinesischen Staatsmedien übernehmen dabei nicht nur Propaganda, sondern unter Umständen auch gezielte Falschinformationen. Auch in Afrika versuchen Xinhua, China Radio International, der Nachrichtensender CGTN sowie eine afrikanische Ausgabe des Regierungsmediums China Daily (+ China Daily Online) die chinesische Sicht der Dinge unters Volk zu bringen. Wer negative Schlagzeilen in China bekommt, hat viel Arbeit mit der Gegenwehr und einer möglichen Korrektur von Fakten.

Deutsche Firmen bleiben präsent

In Weißrussland (Belarus) gelten die staatlichen Fernsehsender Belarus 1, ONT und CTV als potenziell toxische Umgebung. Gründe sind der Putsch des Diktators Alexander Lukaschenko, die Niederschlagung von Protesten und seine Unterstützung für Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine. Menschenrechtler kritisieren, dass westliche Firmen mit ihrer Werbung die Propagandamaschine einer illegitimen Regierung finanzieren. Da es nach Reichweite keine Alternativen in Belarus gibt, konnte man dort auch nach dem Staatsstreich Werbung westlicher Firmen sehen. Mehr als die Hälfte der Spots, sechs von zehn, stammten von deutschen Firmen wie Henkel (Pattex, Persil, Gliss Kur), Queisser Pharna (Doppelherz) und Dr. Theiss Naturwaren (Allgäuer Latschenkiefer) oder von amerikanischen wie Mars und Procter & Gamble. Aus Frankreich war Sanofi (Pharma) mit dabei, aus der neutralen Schweiz Sandoz (Pharma).

Verboten ist Werbung in den Medien autoritärer Staaten erst, wenn die EU oder die US-Regierung die Sender auf die Sanktionsliste setzen. Auf ein staatliches Verbot zu warten, nicht selbst zu handeln, das lässt sich jedoch kaum mit einem Purpose und einem sozialen Profil im Sinne der europäischen ESG-Vorgaben vereinbaren (Environment, Social, Governance). Je stärker die Systemkonkurrenz mit autoritären Staaten zunimmt, je öfter sich Konflikte ergeben, je schärfer freie Medien unterdrückt werden und je strenger andererseits die Vorgaben für ESG in liberalen Demokratien gefasst werden, desto schwieriger werden selbst Routine-Aufgaben wie Marketing-Kommunikation in solchen Ländern.

Werden Medien als Machtinstrumente eingesetzt?

In Frankreich „haben Großindustrielle die Presse aufgekauft und setzen sie als Machtinstrument ein“, meint die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (v. 13. Sept. 2022). Grundlage für diese Wertung sind mehrere Wechsel bei Eigentum und Kontrolle von Medien. So übernahm im Herbst 2021 der Mischkonzern Vivendi die Mediengruppe Lagardère. Vivendi wird geführt von dem Industriellen Vincent Bolloré. Er kontrolliert nun neben Canal+ (Pay-TV) und CNews (Info-Kanal) auch Radio Europe 1 und das „Journal du Dimanche“. Hinzu kommen Illustrierte, Gratiszeitungen, Bücher (Verlagsgruppe Editis) sowie die Werbeagenturen Havas und Euro RSCG. Kenner der französischen Medienlandschaft fürchten, dass ein „Fox News à la francaise“ entsteht, eine Propagandamaschine also, wie es Fox News in den USA für den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump war. Das würde liberales, linkes und viel junges Publikum vertreiben. Wer mit einem Unternehmen aus der Vivendi-Gruppe in Wettbewerb steht, sollte besonders genau hinschauen. Auch bei dem internationalen Leitmedium „Le Monde“ verschoben sich zum Jahreswechsel 2021/2022 die Herrschaftsverhältnisse. Der Investor Xavier Niel, ein Internetmilliardär, übernahm die Anteile des Bankiers Mathieu Pigasse und besitzt seitdem die beherrschende Mehrheit.

In Italien bekam Anfang 2022 ein Flaggschiff unter den Printmedien einen neuen Kapitän. Die Wochenzeitschrift „L`Espresso“ wurde von dem privaten Investor Danilo Iervolino übernommen. In der Medienbranche war der Neapolitaner zu diesem Zeitpunkt erst seit wenigen Wochen als Akteur bekannt. Etwa im gleichen Zeitraum erwarb er den auf Finanzthemen spezialisierten Verlag BFC Media. Eine weitere Beteiligung ist der Fußballclub US Salernitana. Krankenhäuser finden ebenfalls sein Interesse. Das bunt gemischte Portfolio zeigt, dass Iervolino kein klassischer Medienunternehmer ist. Er steht vielmehr als Beispiel für eine neue Art von Investoren, die Medien wie jede Kapitalanlage behandeln. Es bleibt abzuwarten, was Verleger wie er mit Zeitungen und Sendern machen und wie das Publikum darauf reagiert. An der Spitze dieses Trends stehen einmal mehr die Vereinigten Staaten. Dort hat der New Yorker Hedgefonds Alden Global Capital bereits mehr als 200 Zeitungen übernommen.

Wer in Polen kommuniziert, sollte politischen Ausrichtung der Medien verfolgen

Bei unseren Nachbarn im Osten wechselte Anfang März 2021 die Verlagsgruppe Polska Press den Eigentümer. Dem polnischen Medienunternehmen gehörten zu diesem Zeitpunkt 20 Regionalzeitungen sowie rund 300 Wochenzeitungen und 500 Internetportale, die zusammen 17 Millionen Leser erreichten. Verkäufer war die deutsche Verlagsgruppe Passau, Erwerber der polnische staatliche Ölkonzern Orlen. Chef von Orlen wiederum ist Daniel Obajtek, ein enger Vertrauter des Vorsitzenden der politischen Regierungspartei PiS, Jarósław Kaczyński. Kurz nach der Übernahme verlor der bisherige oberste Chefredakteur aller Polska-Press-Medien, Pawel Fąfara, seinen Job. Er wurde ersetzt durch Dorota Kania, eine Journalistin, die eng mit der PiS verbunden ist und laut Beobachtern einen „zweifelhaften Ruf“ besitzt. Wer in Polen kommuniziert, sollte die Entwicklung bei der politischen Ausrichtung der Medien und bei der Leserschaft verfolgen.

Reporter ohne Grenzen erklärt Orbán zum „Feind der Pressefreiheit“

Ungarns Regierungschef Viktor Orbán gilt seit Mitte 2021 als „Feind der Pressefreiheit“. Dieses „Prädikat“ hat ihm die Nichtregierungsorganisation „Reporter ohne Grenzen“ (ROG) verliehen: als erstem Vertreter eines EU-Mitgliedslandes. Das wäre nicht unbedingt tragisch, wenn Orbán nicht auch die Medien kontrollieren würde. Das tut er aber, zumindest mittelbar. ROG sagt dazu: Seit Viktor Orbán und seine Fidesz-Partei 2010 an die Regierung gekommen sind, haben sie Ungarns Medienlandschaft Schritt für Schritt unter ihre Kontrolle gebracht. […] Die öffentlich-rechtlichen Rundfunksender wurden in der staatlichen Holding Treuhandfonds für Mediendienste (MTVA) zentralisiert, zu der auch Ungarns einzige Nachrichtenagentur MIT gehört […] Die regionale Presse ist seit dem Sommer 2017 vollständig im Besitz Orbán-freundlicher Unternehmer. Im Herbst 2018 wurden fast 500 regierungsnahe Medienunternehmen in einer Holding [der Stiftung KESMA] zusammengefasst, um ihre Berichterstattung zentral zu koordinieren“. Die staatlichen Medien erhalten laut „Süddeutscher Zeitung“ aus den Ministerien Anweisungen, was und wie sie zu berichten haben (v. 30. März 2022). Wer Politik und Behörden in Ungarn kritisiert, riskiert konzentrierte Gegenrede. Außerdem besteht die Gefahr, dass die Medienlandschaft aus westlicher Sicht ins Toxische kippt.

Im weitgehend untadelig demokratischen Südkorea gibt es Verbindungen zwischen den Medienhäusern und den großen Konzernen, die oft von ihren Gründerfamilien kontrolliert werden. Diese Beziehungen sind dauerhaft und stabil. Die Köpfe der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten wechseln dagegen mit den Regierungen. Was eine solche Gemengelage für die Glaubwürdigkeit der Medien bedeuten kann, weiß der britische „Economist“ (v. 25 Sept. 2021). Weniger als ein Drittel der Südkoreaner vertraut den Medien des Landes noch. Wer Vertrauen aufbauen will, braucht zusätzliche Kommunikationswege.

In Südamerika geht die Jugend auf Abstand

Auch in Kolumbien, beispielhaft für Südamerika, geht die Jugend auf Abstand zu den traditionellen Medien und sucht sich stattdessen Informationsquellen im Internet. Der Grund ist auch hier. Leitmedien wie die Tageszeitung „El Tiempo“ und der Fernsehkanal Caracol werden von den reichsten Familien des Landes kontrolliert. Die Ausrichtung der Leitmedien ist, den Interessen der Finanziers entsprechend, eher konservativ. Die jungen Leute besuchen dagegen Online-Portale wie „Cuestion Pública“ und „La Silla Vacia“ oder hören kommunale Radiosender.

Analyse medialer Herrschaftsverhältnisse ist geboten

Die Welt ist auch für Kommunikatoren komplizierter geworden. Wer Gesellschaften oder gesellschaftliche Gruppen ansprechen will, der sollte dringender als bisher fortlaufend und aktuell neben Reichweiten und Publikum der verfügbaren Medien auch Herrschaftsverhältnisse und Ausrichtung analysieren. Zum Portfolio gehören neben Tages- und Wochenzeitungen – natürlich – Fachzeitschriften, Internetportale und soziale Online-Netzwerke. Was man über Medien nicht erreichen kann, das muss man selbst in die Hand nehmen. Manager sollten nach dem Abklingen der Covid-Pandemie wieder verstärkt persönliche Kontakte pflegen. Gespräche, Konferenzen- und Seminare, Messen, selbst erstellte und verteilte Publikationen, Regierungsbeziehungen und sonstige - reale - Netzwerke werden an Bedeutung gewinnen und können zur Absicherung der Reputation des Unternehmens und seines Topmanagements dienen.

Das trifft auch für Twitter zu. Der Kurznachrichtendienst sollte jetzt auf der „Watchlist“ von Kommunikatorinnen und Kommunikatoren stehen, ob er sich wirklich toxisch entwickelt – oder ob Elon Musk nach seinem eruptiven Einstieg Twitter doch seriös ausrichtet.

Über die Autoren: Jörg Forthmann ist seit 30 Jahren Kommunikator, anfangs als Journalist, später in den Pressestellen von Nestlé und Mummert Consulting, heute als Geschäftsführender Gesellschafter der Kommunikationsberatung Faktenkontor in Hamburg. Im Faktenkontor verantwortet Forthmann die Analyse und die Konzeption. Michael Neumann ist Kommunikationsexperte mit Fokus auf gesellschaftliche, rechtliche und regulatorische Veränderungen, die auf die Kommunikation von Unternehmen einwirken – und wie sich Kommunikationsabteilungen darauf bestmöglich einstellen.