Autoren-Beiträge Wer hat’s geschrieben? Ghostwriting – eine unsichtbare Kunst

„Wer hat’s geschrieben?“ Jedenfalls oft nicht die oder der, deren Name wir als Verfasserin oder Verfasser eines Beitrags lesen. Das gilt keineswegs nur für prominente Personen. Auch in der Industrie ist die Zusammenarbeit mit Ghostwritern gang und gäbe. Was hat es mit diesem seltsamen Beruf auf sich? Ein kleiner Rückblick, der sich auf 30 Jahre Ghostwriting für die Automobilzulieferindustrie stützt.

Ghostwriting ähnelt dem Treiben eines Maulwurfs. (© Pixabay)

Schreiben ist nicht jedermanns Sache. Es ist eher selten, dass beispielsweise technische Expertinnen und Experten über die Fähigkeit verfügen, gut lesbare Fachbeiträge zu produzieren. Für viele Fachleute ist das Schreiben von Beiträgen daher keine Lieblingstätigkeit. Vermutlich der drängendste Grund für den Einsatz von Ghostwritern besteht jedoch im zergliederten Arbeitsalltag in Unternehmen. Störungen und Unterbrechungen sind dort an der Tagesordnung. Das verträgt sich überhaupt nicht mit dem Schreiben, weil es verhindern kann es, dass man beim Schreiben einem roten Faden folgt und in einen effizienten Flow kommt.

Bildlich gesprochen, ähnelt das Ghostwriting dem Treiben eines Maulwurfs: Beim Briefing-Meeting steckt der Maulwurf den Kopf aus der Erde, hört zu und memoriert die Inhalte. Danach verschwindet er unter der Grasnarbe, „wühlt sich“ durch die Informationen und arbeitet den Text aus. Anschließend „gräbt“ er/sie sich wieder nach oben ans Tageslicht und präsentiert dem Kunden das Ergebnis. Je nach Komplexität des Themas kann sich eine zweite, kürzere Schleife anschließen, in der Korrekturen und Ergänzungen eingearbeitet werden, bis der Kunde den Text freigibt.

Etikettenschwindel oder seriöse Dienstleistung?

Sämtliche universitären und wissenschaftlichen Arbeiten – etwa zur Erlangung eines akademischen Grades – sind für einen seriösen Ghostwriter kategorisch ausgeschlossen. Der Erkenntnisgewinn, den ein angehender Doktor auf dem Feld seiner/ihrer spezialisierten Forschung zum wissenschaftlichen Fortschritt beitragen sollte, ist so eng an die Person gebunden, dass sich Auftragsarbeiten verbieten.

Ein seriöser Ghostwriter nutzt das Wissen, das im Zuge des Briefings von Experten an den Ghostwriter vermittelt wird, um daraus beispielsweise Fach- und Tagungsbeiträge, Ansprachen und Reden, Laudationes, White Paper, Sprechertexte für Videovertonungen, Fachpressemitteilungen, Sachbücher, Sachbuchkapitel, Landing Pages für Websites etc. aufzubereiten.

Zentrale Fähigkeiten eines Ghostwriters

Auf den ersten Blick mag die Tätigkeit eines Ghostwriters sehr nach einer intelligenten Schreibmaschine klingen. Ein Ghostwriter muss jedoch mehr wissen als er/sie zu „Papier“ bringt. Es ist wichtig, das technische Umfeld eines Beitrags zu kennen, die Trends der Zeit in einer bestimmten Branche, Herausforderungen, denen diese Branche gegenübersteht sowie das branchenübliche Fachvokabular. Daher erklärt sich auch eine sinnvolle Spezialisierung auf einzelne Fachbereiche, denn das Hintergrundwissen erwirbt man sich über Jahre hinweg.

Eine Fähigkeit, die ein Ghostwriter unbedingt benötigt, besteht darin, schnell zu erkennen, welche Botschaften strategisch die größte Relevanz aufweisen. Dazu gehört, die Experten tatsächlich zu verstehen, denn hinter manchen Fachbegriffen stecken ganze Ketten von technischen und wirtschaftlichen Zusammenhängen.

Mittlere Abstraktionsebene finden

Damit sind wir bei einer weiteren Stärke, die ein Ghostwriter haben sollte: Er/sie sollte in einem Beitrag eine mittlere Abstraktionsebene für den Inhalt finden können. Dieser Begriff beschreibt eine fachliche Ebene, auf der sich Fachleute als Kernzielgruppe des Beitrags ernstgenommen fühlen, die gleichzeitig jedoch nicht zu spezifisch ist, um Entscheider beziehungsweise Fachleute aus anderen Fachbereichen abzuschrecken. Das kann im Einzelfall eine Herausforderung sein.

Und noch etwas sollte ein Ghostwriter können: Eine Geschichte erzählen, die die Leserinnen und Leser bei der Hand nimmt und durch den Text hindurchleitet. Aktuell gewinnt der Verfasser des Beitrags den Eindruck, dass generische Künstliche Intelligenzen (KIs), wie etwa ChatGPT erlernte Inhalte zwar sinnvoll rekombinieren können, nicht jedoch improvisieren und schöpfen. Konzeptionieren und längere Handlungsstränge zu entwerfen sind derzeit keine Stärke von Algorithmen.

Formale Aspekte von Auftragsarbeiten

Da ein Ghostwriter in der Regel auch Informationen erhält, die nicht zur Veröffentlichung bestimmt sind, steht am Anfang einer Zusammenarbeit die Unterzeichnung einer Verschwiegenheitserklärung (Non-Disclosure Agreement, kurz NDA). Dies ist umso wichtiger, als die typische Konstruktion so aussieht, dass Kommunikationsverantwortliche im Unternehmen bei einem Ghostwriter ein Angebot für ein Projekt einholen und den Externen über den Einkauf beauftragen lassen. Für die fachlichen Experten kann der Ghostwriter im ersten Meeting ein unbeschriebenes Blatt sein, was Fragen danach aufwirft, was man diesem Externen anvertrauen darf. Offenheit im Briefing ist jedoch eine Voraussetzung für den Erfolg.

Der Umfang des Textes, die Textart, die Sprache (z.B. Deutsch oder Englisch) sowie die Wunschtermine sind Bestandteil von Angebot und Bestellung. Als Kalkulationsgrundlage für einen Ghostwriter eignet sich der zu erwartende Zeiteinsatz und ein Netto-Stundenhonorar. Daraus errechnet sich die Honorarsumme für den Text. Fällig wird diese Summe nach Freigabe des Textes, beziehungsweise spätestens zum Zeitpunkt der Veröffentlichung. Geklärt werden muss, was passiert, wenn der tatsächliche Zeiteinsatz den angebotenen Zeiteinsatz deutlich überschreitet. Hier gibt es prinzipiell zwei Optionen: Der Ghostwriter hat ein gedeckeltes Angebot abgegeben und beißt nun in den sauren Apfel, oder die Bestellung wird nachträglich erweitert, weil der Arbeitsumfang ohne Schuld des Ghostwriters größer wurde als ursprünglich vereinbart.

Geregelt werden sollte bei Auftragsarbeiten, wem das Nutzungsrecht zusteht (Urhebergesetz, UrhG §34). Dieser Punkt wird von Auftraggebern gerne leider nicht so ernst genommen, wie er es verdient hätte, denn: De jure hat der Auftraggeber erst dann das Recht zur Textverwertung, wenn er durch Honorarzahlung eine Verwertungslizenz erworben hat.

Kurz und knapp

Ghostwriting ist ein Teil der industriellen Arbeitsteilung, bei der man eine Aufgabe, die nicht zwingend zur Fertigungstiefe des Auftraggebers gehört, an einen Externen auslagert. In vielen Konstellationen ist die Zusammenarbeit mit einem Ghostwriter für ein Unternehmen wirtschaftlicher, als ihn fest einzustellen.

Über den Autor: Jörg Christoffel, Jahrgang 1960, Staatsexamen, PR Berater (DAA/DPRG), fünf Jahre PR Agentur, danach rund 30 Jahre selbständig als Ghostwriter, gelegentliche Veröffentlichungen in eigenem Namen… etwa zu den Themen Fachpressearbeit, Kommunikation und Manipulation und zu gesundheitlichen Aspekten der Kampfkunst Karate.

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