Autoren-Beiträge US-Wahl I: Learnings für die deutsche Politik
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- von Wolfgang Griepentrog, Leichlingen (Rheinland)
Demokratie bedeutet, hinzunehmen, wenn die Mehrheit der Wähler anders entscheidet, als man es selbst für richtig hält. Menschliches Handeln, bis hin zum Wahlverhalten, wird nicht allein durch rationale Argumente bestimmt, sondern auch durch psychische Bedürfnisse. Kluge Politik muss das berücksichtigen, wenn sie wirken will.
PR-JOURNAL-Autor Wolfgang Griepentrog rät mit Blick auf die US-Wahl zur Besonnenheit. Für die deutsche Politik leitet er daraus drei Erkenntnisse ab.
1. Politik muss Menschen begeistern
Politisches Handeln bedeutet nicht allein, gute Entscheidungen zu treffen, sondern diese gut zu kommunizieren. Dabei spielen Emotionen und Lebensgefühle eine maßgebliche Rolle. Auch Ängste. Social Media und etablierte Massenmedien verstärken sie. Wahlen gewinnt nicht, wer allein das vermeintlich bessere Argument hat, sondern wer Menschen für sich gewinnen kann. Harris haben die Wahrheit und gute Argumente nicht geholfen, Trump konnte trotz abenteuerlicher Lügen und Entgleisungen aller Art den Menschen das Gefühl vermitteln, dass ihre Sorgen und Bedürfnisse zählen. Ein negatives Charisma ist wirkungsvoller als keines, das weiß jeder Werbestratege.
In Deutschland erleben wir einen Kanzler, der offenkundig nicht vermag, die Bürger emotional zu berühren und ihnen das Gefühl zu vermitteln, ernst genommen zu werden. Für die politische Kultur und für den Zusammenhalt unseres Gemeinwesens ist das gefährlich, wie der Blick in die USA zeigt. Keine Partei sollte Spitzenkandidaten ohne ausreichende Kommunikationsfähigkeit und -willigkeit ins Rennen schicken. Im Übrigen gibt es genügend Kommunikationsexperten, auf die Politiker und Parteien gelegentlich hören und zurückgreifen könnten.
2. Die Feinde der Demokratie kommen nicht nur von außen
Wir können nicht den globalen Verlust von Wahrheit und Anstand beklagen, ohne diese dramatische Entwicklung auch in Deutschland zu erkennen. Auch hier dominieren (etwa in den Dauerattacken der AfD gegenüber den von ihr so genannten „Alt-Parteien“ oder im Grünen-Bashing von CSU-Spitzenpolitikern) zunehmend Hass und Hetze, auch hier werden Lügen über politischen Gegner verbreitet, die nicht als Demokraten, sondern als Feinde behandelt werden. Auch hier wirkt ein Gemisch aus inflationär verbreitetem egomanischem Bullshit und plumper Identitätspolitik politisch meinungsbildend. Lernen können wir aber auch, dass man Populisten und Demokratiefeinden im eigenen Land mit einer klugen Taktik begegnen kann. So ist Entzauberung durch Witz, wie es anfangs in der Harris-Kampagne gut gelang (Trump als weird old man), zielführender als die Wahrnehmung des Gegners durch apokalyptische Warnungen zu vergrößern und Scheinriesen Autorität zu verleihen. Gewiss kann man Demokratiefeinden nicht jede Provokation durchgehen lassen, aber man könnte sie öfter der Lächerlichkeit preisgeben. Vor allem kann und muss man eine Vision vermitteln, wie Freiheit und Wohlstand auch künftig gelingen. Eine Politik ohne erkennbare Vision und kluge Kommunikationstaktik verwaltet nur und begeistert keine Wähler.
3. Wer politische Verantwortung trägt, muss auf Risiken und Veränderungen vorbereitet sein
Deutschland und Europa hatten vier Jahre Zeit, um sich nicht nur auf eine mögliche neue Trump-Regentschaft, sondern auf die fundamentalen geopolitischen Umwälzungen einzustellen – in der Wirtschaft, in der Sicherheit, beim Klimawandel, in der Verteidigung von gesellschaftlichem Fortschritt und Liberalität. Das ist unbequem, weil man den Bürgern rechtzeitig Veränderungen zumuten, erklären und mit europäischen Partnern abstimmen muss. Die Bundesregierung – wer auch immer sie künftig stellt – sollte in diesem Sinne den Blick weiten, dogmatische Grenzen überwinden und endlich substanziell einen Plan für die Zukunft vorstellen. Politik ohne Plan begeistert niemanden.
In diesem Sinne kann die US-Wahl ein Impuls zur selbstbewussten Kurskorrektur in der deutschen Politik sein. Better late than never.
Über den Autor: Wolfgang Griepentrog ist Interim Manager und Kommunikationsberater. Er unterstützt Unternehmen bei der Verbesserung ihrer Kommunikations- und Marketingprozesse und bei der Positionierung mit einem differenzierten Markenprofil. In Krisen sowie im Change Management hilft er, unternehmenspolitische Handlungsspielräume zu sichern. Seit vielen Jahren unterhält er zudem seinen Blog „Glaubwürdig kommunizieren“. Hier gibt es Beobachtungen, Analysen, Anregungen rund um wirkungsvolle Kommunikation.
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