Das PR-Interview Viva con Agua „Wir müssen Veränderungen auch aushalten können“

Künstliche Intelligenz und Purpose-Kommunikation: Passt das überhaupt zusammen? Für Micha Gab, PR- und Kommunikationsverantwortlicher bei Viva con Agua, ist die Antwort ein eindeutiges Ja. Vorausgesetzt, man setzt sie bewusst ein und begleitet sie kritisch. Er spricht über Haltung, Hands-on-Anwendungen – und warum KI die Tonalität einer aktivistischen Marke (noch) nicht trifft.

Viva con Agua sammelt auf Festivals Pfandbecher. (Foto: Markus Schwer)

PR-Journal: Viva con Agua steht für gesellschaftliches Engagement mit kreativen Mitteln. Wie passt KI in dieses Werteverständnis?

Micha Gab: Unsere Haltung ist wichtig, klar – aber wir verstehen uns auch als offenes Netzwerk. Disruption gehört zu unserem Wesen. Wir waren meines Wissens die erste NGO, die auf Festivals Pfandbecher gesammelt hat. Das war damals auch nicht unbedingt „nachhaltig“ im klassischen Sinn. Aber es war neu, wirksam und kreativ. So sehen wir auch KI: Wir stehen für den Wandel, also probieren wir Neues aus.

Micha Gab (Foto: Marco Fischer)PR-Journal: Gibt es bei Ihnen intern Diskussionen darüber, wie viel Technik im Aktivismus okay ist und wo Grenzen verlaufen sollten?

Gab: Natürlich. Gerade bei KI diskutieren wir die hohen Wasser- und Energieverbräuche, die damit verbunden sind. In einer technologisierten Welt darf man das nicht ignorieren. Gleichzeitig können wir uns dem Fortschritt nicht verweigern. Wir sind ein gemeinnütziger Verein und finanzieren uns zum Großteil über Spenden. Das verpflichtet uns, effizient und ressourcenschonend zu arbeiten. KI kann helfen, Arbeitsprozesse zu verschlanken und Budgets für Kommunikation niedrig zu halten.

PR-Journal: Wie nutzen Sie KI konkret in der Kommunikationsarbeit?

Gab: An verschiedenen Stellen. Wir setzen sie ein, um Textentwürfe zu überarbeiten, Präsentationen schneller aufzubereiten oder Pressearbeit effizienter zu gestalten. Manchmal auch einfach, um schneller loslegen zu können – besonders bei knappen Ressourcen.

PR-Journal: Sie arbeiten auch mit der KI-gestützten Plattform blinq. Was versprechen Sie sich davon? Wie ergänzt sie Ihre Kommunikationsarbeit konkret?

Gab: Wir nutzen sie vor allem als Sparringspartner in der PR- und Themenplanung. Gerade weil wir im Team schlank aufgestellt sind, ist es hilfreich, Inspiration und Impulse von außen zu bekommen. In dem Fall eben über KI. Die Plattform unterstützt uns bei der Themenrecherche: Welche Artikel gibt es bereits zu einem Thema? Welche Perspektiven fehlen vielleicht noch? Das hilft, Inhalte strategischer zu planen und manchmal auch, einen ganz neuen Dreh zu finden, an den wir vorher nicht gedacht hätten.

PR-Journal: Gab es schon Momente, in denen KI Ihre Sichtweisen hinterfragt hat?

Gab: Ja, zum Beispiel bei Recherchen zum Thema Wasserverbrauch. Buzzwords wie „Dürre“ und „Hitzewelle“ sind gerade überall, aber unser Verständnis von Wasser geht tiefer. Für uns ist Wasser keine Ressource, sondern die Quelle des Lebens. Eine universelle Verbindung. Die KI hilft zwar, solche Begriffe einzuordnen, aber oft merkt man eben, dass sie noch in Mustern denkt, die wir gezielt anders framen wollen.

PR-Journal: KI kann Kommunikation beschleunigen, aber auch verflachen. Wie stellen Sie sicher, dass eure Inhalte nicht beliebig werden?

Gab: Indem wir gegenlesen, feinjustieren, neu kreieren. Und da schließt sich der Kreis: Wir sind eine aktivistische Marke. KI kann gut formulieren, aber sie trifft nicht automatisch unsere Tonalität. Das Lebendige, das Emotionale, das Persönliche müssen wir Menschen reinbringen. Geschichten dürfen nicht langweilig sein. Dieser Extraschritt ist entscheidend.

PR-Journal: Wo sehen Sie die größten ethischen oder strategischen Risiken?

Gab: Bei der Textarbeit im deutschsprachigen Raum sehe ich aktuell wenig Probleme, da können wir wie gesagt gut prüfen, redigieren und steuern. Anders sieht es bei der Bildbearbeitung aus, besonders wenn es um unsere Wasserprojekte im globalen Süden geht. Wir setzen dort bewusst keine KI-generierten Bilder ein.

Unsere Bildsprache ist freundlich, würdevoll und lösungsorientiert, im Gegensatz zu vielen klassischen NGO-Kampagnen, die stark mit Mitleid oder Leidensnarrativen arbeiten. Das empfinden wir nicht als fair. Weder den abgebildeten Menschen gegenüber noch gegenüber unserer eigenen Haltung.

KI-Modelle tendieren jedoch dazu, genau solche stereotypen Narrative zu reproduzieren, weil sie auf Datensätzen trainiert sind, in denen diese Bilder und Erzählungen dominieren. Damit verstärken sie ein einseitiges Bild von Armut und Bedürftigkeit. Wir sehen darin die Gefahr einer „single story“, wie sie die Autorin Chimamanda Ngozi Adichie einmal treffend beschrieben hat: Wenn nur eine Perspektive erzählt wird, reduziert sie Menschen auf Klischees und blendet ihre Würde, Vielfalt und Handlungsmacht aus. Genau das wollen wir vermeiden. Deshalb sind wir bei Bild-KI besonders vorsichtig.

PRJournal Viva con Agua Wasserprojekte 2Die Bildsprache der NGO ist freundlich, würdevoll und lösungsorientiert. (Foto: Viva con Agua)

PR-Journal: Was würden Sie anderen NGOs raten, die KI in ihre Kommunikation integrieren wollen, ohne ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren?

Gab: Ich glaube, KI ist schon verbreiteter im Einsatz, als viele zugeben. Inspiration holen, Texte gegenlesen lassen, Vorschläge einholen: Das passiert längst. Entscheidend ist, trotzdem auf den eigenen Stil zu achten, eigene Wordings zu nutzen und selbst kritisch drüber zu schauen. Uns selbst treu bleiben. Das ist das Wichtigste.

PR-Journal: Und zum Schluss: Was würden Sie sich für die aktuelle KI-Debatte wünschen?

Gab: Mehr Gelassenheit. Veränderung gehört zur Menschheitsgeschichte. Und natürlich war sie in den letzten Jahrzehnten besonders rasant. Aber wir müssen lernen, Widersprüche auszuhalten. Chancen und Risiken gleichzeitig zu sehen. In unserer Welt fehlt oft die Ruhe, Dinge wirken zu lassen. Die brauchen wir gerade in so aufgeladenen Debatten.

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