Das PR-Interview Diversity Haltung ist keine Kampagne

Wie gelingt Diversity in der Unternehmenskommunikation wirksam, verantwortungsvoll und mit echtem Bezug zur Lebensrealität der Mitarbeitenden? Was braucht es, damit Haltung nicht zur PR-Pose verkommt? Alex Gessner, Geschäftsführerin bei ACI Consulting, spricht im Interview mit dem PR-Journal über interne Hebel, Pinkwashing und die Verantwortung derjenigen, die häufiger gehört werden als andere.

Alex Gessner, Geschäftsführerin bei ACI Consulting (Foto: Farideh Diehl)

PR-Journal: Frau Gessner, viele Unternehmen schreiben sich Diversity inzwischen auf die Fahnen. Was bedeutet das für Sie ganz konkret in der Unternehmenskommunikation?

Alex Gessner: Vielfalt mit Zahlen zu belegen, wie „420 Nationen“, „30 Prozent Frauenanteil“, ist ein Anfang, aber das reicht nicht. Die entscheidende Frage ist: Werden wirklich alle Mitarbeitenden fair behandelt? Gerade People of Color, Frauen oder queere Personen erleben im Unternehmensalltag oft Abwertungen, Ausschluss und Diskriminierung. Gerade weil viele Diskriminierung nicht sehen (müssen), braucht es Kommunikation, die sichtbar und besprechbar macht, worüber sonst oft geschwiegen wird, und Arbeitgebende, die das als Teil ihrer Verantwortung verstehen.

Haltung muss nicht laut sein, aber sie sollte spürbar sein. Kommunikation hat da einen enormen Hebel – vor allem intern. Es geht darum, Räume zu öffnen, Gespräche zu ermöglichen, Perspektiven einzuladen. Das ist oft der Anfang.

Haltung muss nicht laut sein, aber sie sollte spürbar sein. Kommunikation hat da einen enormen Hebel – vor allem intern.

PR-Journal: Sie sprechen von Haltung, die spürbar ist. Hat sich da in den letzten Jahren etwas bewegt? Und wenn ja, wodurch?

Gessner: Absolut. Druck kommt inzwischen von innen – von Mitarbeitenden und Netzwerken – und von außen durch Regulatorik, Kund:innen und auch Investor:innen. Mitarbeitende fordern zunehmend, dass Strukturen endlich gerecht werden. Das erzeugt Spannung, oft auch Widerstand. Manche, die bisher von Diskriminierung profitiert haben, erleben die Veränderung als „zu viel“ oder haben Angst, etwas zu verlieren. Diese Reaktionen sind nicht neu, sie verweisen auf eine alte Ordnung, die hinterfragt wird. Genau darin liegt die Aufgabe von Kommunikation: nicht zu beschwichtigen, sondern Orientierung zu geben. Und auch Unbehagen einzuordnen, ohne es zu bestätigen.

Die Arbeitswelt verändert sich spürbar. Der Wettbewerb um Fachkräfte betrifft längst Unternehmen jeder Größe. Unbesetzte Stellen verursachen schon heute einen jährlichen wirtschaftlichen Schaden von rund 50 Milliarden Euro. Tendenz steigend: Bis 2027 werden es voraussichtlich 75 Milliarden sein. Zuwanderung ist deshalb keine Randfrage, sondern zentrale Voraussetzung, um dem Fachkräftemangel zu begegnen, Innovationspotenziale zu nutzen und wirtschaftlich handlungsfähig zu bleiben. Wer das in der Kommunikation ausblendet, verkennt die Realität – und riskiert den Anschluss.

PR-Journal: Viele Unternehmen setzen inzwischen auf Haltungskampagnen. Aber woran erkennt man, ob es bei schönen Worten bleibt oder ob Vielfalt tatsächlich gelebt wird?

Gessner: Es beginnt bei der Sprache in Stellenanzeigen: Wird Vielfalt erwähnt und gezeigt? Wie wird angesprochen? Wie sieht die Bildsprache auf Social Media aus? Wofür engagiert sich das Unternehmen, zu welchen Themen positioniert es sich öffentlich? Sehe ich da echte Mitarbeitende oder vor allem Stockfotos? Letzteres hinterlässt bei mir kein gutes Bauchgefühl.

Ein besonders gutes Zeichen sind aktive, sichtbare interne Netzwerke und Formate, in denen wirklich gesprochen wird. Coffee Chats für Bewerbende, Austausch ohne PR-Drehbuch, offene Feedbackräume. Wenn Menschen dort ehrlich sagen dürfen, was sie brauchen, dann fühle ich mich als Mitarbeiterin sicher und zugehörig, und als bewerbende Person spüre ich, dass das ein gutes Unternehmen für mich sein kann.

PR-Journal: Wo scheitert es denn am häufigsten in der Praxis?

Gessner: Perfektionsanspruch und Angst vor Fehlern sowie die gefährliche Annahme, es gäbe so etwas wie Neutralität. Gerade letzteres hören wir oft von Unternehmen, die sich lieber gar nicht positionieren, statt Haltung zu beziehen. Aber Neutralität schützt meist nur den Status quo und blendet Lebensrealitäten aus, für die Neutralität gegenüber Mikroaggressionen und Aggressionen einfach nur schädlich ist.

Wenn Menschen zum Beispiel aktuell Angst davor haben, dass ihre eigenen Rechte oder die ihrer Familienmitglieder beschnitten werden, wenn Menschen vermehrt Rassismus oder Queerfeindlichkeit erleben, auch außerhalb der Arbeit, und Unternehmen so tun, als würde sie das nichts angehen, dann verunsichert das Mitarbeitende und verängstigt Betroffene.

Haltung braucht auch eine Kultur, die Fehler aushält. Denn wer Angst hat, etwas falsch zu machen, macht oft gar nichts: Handlungsstarre aus Fehlervermeidung. Dabei ist ein ehrliches „Das war nicht gut gelöst“ oft glaubwürdiger als jedes perfekte PR-Video. Auch Kommunikation darf Fehler machen, entscheidend ist der Umgang danach. Zum Beispiel, wenn auf kritisches Feedback zu einer Kampagne nicht defensiv reagiert wird, sondern um Entschuldigung gebeten und transparent erklärt wird, was daraus gelernt wurde, und was sich konkret ändern wird. Das zeigt: Niemand muss perfekt sein und wir alle sind eingeladen, dazuzulernen.

PR-Journal: Wie gelingt es, interne und externe Kommunikation miteinander zu verzahnen, ohne sich in Widersprüche zu verstricken?

Gessner: Indem man bei den eigenen Leuten anfängt und ehrlich hinschaut: Passt das, was wir nach außen senden, auch zu dem, was intern gelebt wird? Oder gibt es Lücken oder Scheuklappen?

Nehmen wir zum Beispiel den Umgang mit Festen oder Geschenken. Bei einer Abschlussfeier etwa gibt es meist verschiedene Getränke. Wer keinen Alkohol trinken möchte, kann sich aktiv dagegen entscheiden. Aber wenn zum Jahresende allen Mitarbeitenden eine Flasche Wein nach Hause geschickt wird, wird ein bestimmter kultureller Rahmen vorausgesetzt, und für Menschen, die aus religiösen oder persönlichen Gründen keinen Alkohol konsumieren, kann das sehr unpassend sein. In manchen Fällen sogar verletzend.

Sprache spiegelt nicht nur Realität, sie schafft Beziehung, oder hinterlässt Brüche.

Solche Dinge passieren oft nicht aus bösem Willen, sondern weil das Bewusstsein fehlt. Gerade Sprache spielt dabei eine zentrale Rolle. Sie spiegelt nicht nur Realität, sie schafft Beziehung, oder hinterlässt Brüche. Und wenn wir diese Beziehung als Einladung gestalten, entsteht Verbindung. Es geht also nicht um sprachliche Perfektion oder um das Erfüllen politischer Erwartungen, sondern um die Frage: Wie möchten wir als Unternehmen in Beziehung treten – und mit wem?

PR-Journal: Für die analytischen und zahlengetriebenen unter uns: Kann man denn messen, ob Diversity in der Kommunikation wirkt?

Gessner: Es sollte nicht um KPIs als Selbstzweck gehen, sondern darum, zu erkennen: Wo stehen wir wirklich? Und wo wollen wir hin?

Ich verstehe schon, wir lieben Messbarkeit. Es kann zum Beispiel ausgewertet werden, wie mit diskriminierungssensiblen Inhalten und Sensibilisierungsformaten durch die Unternehmenskommunikation interagiert wird. Oder auch: Wer spricht in unseren Formaten? Welche Begriffe tauchen immer wieder auf und was sagen sie über unser Weltbild? Wie oft informieren wir zum Thema Diversity, Equity & Inclusion, zu wichtigen religiösen und kulturellen Feiertagen oder Anlässen? Auch Feedbacksysteme aufzusetzen und interne Umfragen durchzuführen ermöglicht eine Messung zu Wirksamkeit und Annahme der Themen.

PR-Journal: Ein Thema, das aktuell viele beschäftigt ist Pride-Kommunikation. Wie blicken Sie auf die aktuelle Entwicklung?

Gessner: Mit gemischten Gefühlen. Ich erlebe Unternehmen, die das Thema glaubwürdig angehen, aber eben auch viele, die jedes Jahr im Juni plötzlich Regenbogenfarben entdecken und ihr Engagement für queere Menschen danach wieder für 11 Monate in die Mottenkiste packen.

Ich glaube, wir werden nächstes Jahr deutlich weniger Logos sehen. Nicht, weil es weniger queere Menschen gibt oder Gleichberechtigung erreicht wurde, sondern weil die gesellschaftliche Rückwärtsbewegung Stimmung und politische Abgrenzung Unternehmen verunsichern. Es wird befürchtet, Haltung könnte ihnen schaden und manche ziehen sich dann lieber zurück, statt klar Position zu beziehen und ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nachzukommen. Für mich ist ein gutes Gegenbeispiel der FC St. Pauli oder Unternehmen, die queere Projekte ganzjährig unterstützen und nicht nur einmal im Jahr mitlaufen.

PR-Journal: Was macht denn Allyship in diesem Zusammenhang aus? Gerade außerhalb des Pride-Monats?

Gessner: Allyship heißt zuallererst: Verantwortung übernehmen und nicht einfach nur „nett sein“. Es geht nicht um Wohlfühlpolitik, sondern um echtes Engagement. Gerade bei denen, die selbst nicht betroffen sind.

Eine Zahl, die mich dabei immer wieder beschäftigt: In einer Studie gaben zwei Drittel der Männer an, sie würden sich aktiv für die Förderung von Frauen einsetzen. Aber nur ein Drittel der befragten Frauen konnte das bestätigen. Diese Diskrepanz zeigt, wie unterschiedlich Selbst- und Fremdwahrnehmung sein können und dass gute Absichten allein nicht ausreichen, wenn Strukturen und Perspektiven nicht verändert werden.

Allyship ist kein Titel, den ich mir selbst verleihe, weil ich keine rassistischen Witze mehr mache.

Für Unternehmen reicht es deshalb nicht, sich auf interne Netzwerke zu verlassen oder Diversität an einzelne Gruppen „auszulagern“. Es braucht Menschen in privilegierten Positionen, die sich mitverantwortlich fühlen. Also nicht nur still zustimmen, sondern aktiv mitgestalten. Und: Allyship ist kein Titel, den ich mir selbst verleihe, weil ich keine rassistischen Witze mehr mache. Es bedeutet, Räume zu öffnen, Privilegien zu hinterfragen und Strukturen neu zu gestalten, die bisher ausschließen. Auch dann, wenn das unbequem ist, denn genau dort beginnt Verantwortung und Leadership.

PR-Journal: Was würden Sie Kommunikator:innen raten, die Diversity langfristig und glaubwürdig verankern wollen?

Gessner: Bevor wir in Aktionismus ausbrechen, dürfen wir uns immer selbst hinterfragen: Welche Perspektiven kenne ich und welche nicht? Wo bin ich privilegiert? Erst dann kann ich gute Kommunikation machen. Und: Interne Kommunikation ist oft näher am Management als andere Abteilungen. Sie hat Einfluss. Wer hier Haltung zeigt, Feedback einholt und sich weiterbildet, kann richtig viel bewegen, Fragen stellen, Themen aufmachen.

PR-Journal: Zum Schluss: Welche Debatte wünschen Sie sich in der Branche?

Gessner: Ich wünsche mir mehr Reflexion. Nicht: „Wie kamen wir bei LinkedIn an?“ Sondern: Was haben wir verändert? Wen haben wir überhaupt angesprochen, gehört und wen nicht? Wir reden oft über Diversity in der Kommunikation. Dabei kann interne Kommunikation viel mehr sein als Informationsweitergabe: Sie kann Position beziehen, Orientierung geben, Wissen zugänglich machen, und zu einer gerechteren Kultur für alle beitragen. Damit wir irgendwann wirklich sagen können: „Bring your whole self to work“ und es nicht bedeutet: „Solange Dein Selbst nicht von dem abweicht, was hier als selbstverständlich vorausgesetzt wird.“

Das kann gelingen, wenn Unternehmenskommunikation Vielfalt nicht als Zusatz versteht („Kommt zu unserem Frühstück der Kulturen“), sondern als Teil ihrer Aufgabe, eine faire, inklusive Arbeitsumgebung mitzugestalten, und offen zu benennen, wo das noch nicht gelingt. Wo Perspektiven fehlen, mit zweierlei Maß gemessen wird oder Entscheidungen an Identitätsmerkmalen hängen, die eigentlich keine Rolle spielen dürften.

Wer kommuniziert, gestaltet mit – auch dann, wenn er es nicht beabsichtigt. Umso wichtiger ist, wie wir es tun.

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