Das PR-Interview Frisch gepresst: Caspar Tobias Schlenk „Kritisch sein heißt nicht draufhauen, sondern genauer hinschauen.“
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- von Nils Wigger, Berlin
Caspar Tobias Schlenk ist Redakteur beim "Manager Magazin", Podcast-Host und gelegentlich auch als Moderator auf der Bühne zu sehen. Gemeinsam mit Kolleg:innen recherchierte er kritische Geschichten rund um Solaris, Check24 oder Scout24 , arbeitete als Tech-Redakteur beim Wirtschaftsmagazin "Capital" und baute das Fintech-Portal Finance Forward mit auf. Aktuell schreibt ervor allem über Technologie-Themen wie Fintech, KI, Defense-Tech und SAP. Im aktuellen Beitrag der "Frisch gepresst"-Reihe mit Nils Wigger geht es um den schmalen Grat zwischen kritischer Distanz und Nähe in der Berichterstattung, über realitätsfremde PR-Pitches, KI-Washing und um die Frage, warum guter Journalismus künftig nur über Tiefe und Glaubwürdigkeit bestehen wird.
PR-Journal: Wenn du mit deinem Netzwerk sprichst und auf die Branche insgesamt schaust: Wie würdest du die aktuelle Stimmung in der Tech-Szene bewerten – Euphorie, Krise, Neuanfang?
Caspar Tobias Schlenk: Eigentlich erleben wir gerade eine Gleichzeitigkeit von Euphorie und Krise. Rund um KI herrscht Aufbruchstimmung, junge Teams sammeln mit einer Idee innerhalb kürzester Zeit Millionen ein, innerhalb von wenigen Jahren entstehen sogar neue Milliardenunternehmen. Gleichzeitig gibt es viele Firmen mit alten Bewertungen aus dem Hypejahr 2021, die im Alltag massive Probleme haben – sogenannte „Zombie-Startups“, also Unicorns auf dem Papier, die operativ straucheln. Zudem beobachte ich starkes „KI-Washing“: Unternehmen hängen sich ein KI-Etikett an, um Geldgeber leichter zu überzeugen. Die eigentlichen Geschäftszahlen rücken wieder in den Hintergrund, dafür gibt es tolle Narrative für die Kapitalbeschaffung.
PR-Journal: Über welche Themen sprechen wir deiner Meinung nach gerade zu viel, und über welche zu wenig?
Schlenk: Zu viel über kurzfristige Bewertungen, zu wenig über strukturelle Fragen. Themen wie Nachhaltigkeit oder Diversität sind in der Tech-Welt deutlich in den Hintergrund gerückt, nicht zuletzt, weil sich das politische Klima verändert hat. Dabei zeigen die Gründerteams in Deutschland nach wie vor dasselbe Bild: zu männlich dominiert, wie schon seit Jahrzehnten. Da braucht es echte Veränderungen, nicht nur Alibi-Fotos mit einer Frau am Rand.
PR-Journal: Manche Beobachter sagen, dass nicht nur Unternehmen selbst, sondern auch Medien Hypes am Laufen halten – etwa wenn ganze Ressorts für KI gegründet werden und dann natürlich positive Storys folgen müssen. Ist der Journalismus manchmal selbst Teil des Problems?
Schlenk: Diese Gefahr sehe ich. Wenn ein Medium entscheidet, einem Thema ein eigenes Ressort zu widmen, entsteht natürlich ein Druck, kontinuierlich Geschichten zu liefern – und da kann es passieren, dass man Dinge zu positiv darstellt. Gleichzeitig muss Journalismus immer die Balance halten: nicht reflexartig alles schlechtreden, aber auch nicht jeden Trend abfeiern. Bei neuen Technologien heißt das: mit einem Vorschuss an Vertrauen ins Gespräch gehen, die Versprechen ernst nehmen, aber sie eben auch konsequent und gründlich überprüfen. So wie man das damals bei Facebook gesehen hat: Erst hieß es jahrelang, das Geschäftsmodell werde nie profitabel, seit einigen Jahren macht die Firma unglaubliche Margen – das stellt niemand mehr infrage. Daran sieht man, dass es in dieser neuen Digitalökonomie auf Details ankommt: Wie lange sind hohe Verluste verkraftbar? Gibt es einen logischen Weg in die Profitabilität oder wird einfach nur dumm Geld verbrannt? Der Unterschied ist oft schwer zu erkennen. Bei neuen Technologien ist es noch schwieriger, die großen Pläne der Firmen zu überprüfen.
PR-Journal: Wie gehst du in der Praxis vor, um diese Balance zu finden? Schaust du dir gezielt verschiedene Stakeholder an – Kunden, Investoren, Politik – oder folgst du eher klassischen Recherchestrategien?
Schlenk: Ja. Ich versuche möglichst viele verschiedene Perspektiven einzuholen – von Kunden, Wettbewerbern, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, aber auch aus der Politik oder von Geldgebern. Gerade die Gründerinnen und Gründer selbst sind in den ersten Jahren extrem wichtig, weil sie das Unternehmen stark prägen. Sie sind meistens offen, und man bekommt unmittelbare Einblicke. Aber ich hole genauso Feedback von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern oder ehemaligen Beschäftigten ein, um zu verstehen, wie eine Firma tickt, wie die Stimmung intern ist und welche Dynamik in der Organisation herrscht. So entsteht nach und nach ein vielschichtiges eigenes Bild.
PR-Journal: Gerade in der Startup-Szene entsteht schnell eine gewisse Kumpelhaftigkeit. PR-Teams, Gründer, Journalisten sind auf den gleichen Events, man kennt sich. Entwickelt sich dadurch nicht automatisch zu viel Nähe – und wie gehst du selbst damit um?
Schlenk: Wenn man über lange Zeit sehr persönliche Einblicke bekommt, über Konflikte im Gründerteam oder die Höhen und Tiefen der Firmenentwicklung spricht, dann baut man natürlich eine Beziehung auf. Aber die professionelle Distanz muss man im Zweifel immer wieder herstellen, auch wenn das schmerzhaft sein kann. Ich habe schon Geschichten veröffentlicht, die danach das Verhältnis beendet haben, weil sie sich sehr kritisch mit der Person auseinandergesetzt haben. Emotional ist das manchmal zehrend, aber als Journalist bleibt mir keine Wahl.
PR-Journal: Deine Arbeit ist auch auf LinkedIn präsent. Viele Unternehmer:innen nutzen die Plattform für Eigen-PR und Lautstärke. Wie gehst du selbst damit um – siehst du LinkedIn eher als Bühne, Quelle oder Recherchetool?
Schlenk: Für mich ist LinkedIn eher ein Sender-Kanal. Ich nutze es, um auf meine Arbeit aufmerksam zu machen und die richtigen Menschen zu erreichen. Wie viele Journalistinnen und Journalisten hadere auch ich mit dem übertriebenen Selbstmarketing. Es ist schwierig, die Plattform zu verstehen, gut zu bespielen und sich trotzdem treu zu bleiben und nicht Bullshit-Posts im typischen LinkedIn-Stil zu verfassen.
PR-Journal: Ich frag mal ganz direkt – du sprichst ja regelmäßig mit Kommunikationsverantwortlichen. Wenn du auf deine Arbeit schaust: Was nervt dich am meisten im Umgang mit Kommunikationsleuten und wo würdest du dir eine andere Art der Zusammenarbeit wünschen?
Schlenk: Am meisten stört mich mangelnde Präzision. Viele schauen nicht einmal an, welche Art von Geschichten ich zuletzt geschrieben habe. Dabei wäre es einfach, sich daran zu orientieren. Stattdessen bekomme ich völlig unpassende Pitches oder das dritte Angebot für einen Gesprächspartner, den ich vor kurzem schon ausführlich interviewt habe. Häufig liegt das an strukturellen Problemen: junge Leute, die in Agenturen ohne ausreichende Anleitung einfach „losgeschickt“ werden. Mich stört weniger der einzelne PR-Berater, sondern dass manche Agenturen systematisch unterqualifiziert und zu billig arbeiten.
Was ich außerdem oft erlebe: Sobald kritisch berichtet wurde, brechen viele Start-ups den Kontakt ab. Und das ist aus meiner Sicht ein Fehler. Gerade dann wäre es sinnvoll, im Dialog zu bleiben. Denn wir wollen ja die Unternehmenssicht verstehen, wir wollen nachvollziehen, wie ein oder eine CEO denkt und handelt. Wenn Unternehmen schweigen, fehlt diese Perspektive in unserer Berichterstattung – und das ist selten in ihrem Sinn. Gute Kommunikation bedeutet daher, Kritik nicht zu meiden, sondern konstruktiv zu begleiten und auch in schwierigen Momenten das Gespräch zu suchen.
PR-Journal: Caspar, Du bist jemand, der durchaus genauer hinschaut. Das zeigen deine Recherchen aus der Vergangenheit. Und ich habe mich gefragt: Was bedeutet ‚kritisch sein‘ für dich eigentlich?
Schlenk: Kritisch zu sein bedeutet für mich nicht, automatisch negativ zu schreiben oder Unternehmen bewusst schlechtzureden. Es geht darum, sich tief in Themen einzuarbeiten und relevante Druckpunkte zu finden, die überprüft werden müssen. In den letzten Jahren hat man gesehen: Extreme Geschichten – also sehr positive oder sehr negative – erzeugen Resonanz. Aber ich halte nichts davon, „kritisch“ nur als Etikett vor sich herzutragen und dann aus Prinzip draufzuhauen. Gute Kritik ist fundiert und überprüft.
PR-Journal: Woran erkennt man deine Handschrift in einer Geschichte – die eine Sache, bei der Kolleg:innen sagen: “Das ist ein echter Schlenk”?
Schlenk: Ich versuche, Firmen zu beleuchten, die sich stark entwickeln oder in denen es brodelt, aber die bislang unter dem Radar laufen. So habe ich über Check24 oder Immobilienscout24 geschrieben – Marken, die jeder kennt, deren Strukturen, Strategien und manchmal auch zweifelhaftes Geschäftsgebaren, aber kaum jemand beleuchtet. Auch im Defense-Bereich war das so: eine Firma, über die plötzlich alle Insider redeten, aber die öffentlich noch eher unbekannt war. Das sind die Momente, in denen es spannend wird. Bei Geschichten über Akteure, die bereits stark im Rampenlicht stehen, muss man sich immer fragen: Was ist mein neuer Zugang? Was kann ich Neues herausfinden? Was wurde noch nicht geschrieben?
PR-Journal: Viele Journalist:innen wechseln irgendwann in PR oder Kommunikation. Hast du je überlegt, das zu tun?
Schlenk: Ich habe mal ein PR-Praktikum beim Bitkom gemacht. Das Praktikum war gut, aber mir war klar, dass ich den Job auf absehbare Zeit nicht machen möchte. Ich glaube, viele Journalistinnen und Journalisten wechseln auch oft mit einer gewissen Naivität. Sie denken: In der Kommunikationsabteilung verdiene ich sehr viel mehr, aber muss viel weniger arbeiten. Und das geht oft nicht auf, ist mein Eindruck, weil die Kommunikator:innen an den entscheidenden Stellen auch extrem viel arbeiten. Mich überzeugt im Journalismus vor allem die Freiheit – vergleichsweise wenig Hierarchie, wenig Politik, viel Raum für Eigenverantwortung.
PR-Journal: Mal ein Blick in die Zukunft: KI-Zusammenfassungen, Creator-First-Feeds, sinkende Attribution, Empörungs-Okonomie: Was bedeutet das alles für den Journalismus von morgen?
Schlenk: Generell mache ich mir schon Sorgen um den Journalismus. Man sieht es an Google, das mit KI-gestützten Zusammenfassungen für weniger Traffic bei vielen Portalen sorgt. Oder an Systemen wie Perplexity, die Inhalte verdichten und so die Quellen in den Hintergrund treten lassen. Das führt dazu, dass nur wenige starke Marken mit tiefgehender Recherche überleben. Wichtig ist der direkte Kontakt zum Publikum – Newsletter, Podcasts, eigene Formate. Da sind wir als “manager magazin” gut aufgestellt. Vieles kann in einigen Jahren eine KI ersetzen. Am Ende wird Journalismus über Tiefe, Einordnung und Glaubwürdigkeit bestehen – oder gar nicht.
PR-Journal: Und wenn du die nächsten zwölf Monate in der Medienlandschaft blickst – was wird sich für Journalist:innen und Unternehmen verändern?
Schlenk: Sowohl Medien als auch Unternehmen müssen sich neu aufstellen. Journalistinnen und Journalisten müssen stärker unter Beweis stellen, warum ihre Arbeit unverzichtbar bleibt. Und Unternehmen tun gut daran, im Dialog zu bleiben – auch dann, wenn es unangenehm wird. Wer schweigt, verliert am Ende nicht nur seine Deutungshoheit, sondern auch Vertrauen. Es geht mir darum, eure Sichtweise zu verstehen. Was habt ihr zu verlieren … außer einer halben Stunde, die vielleicht unangenehm wird?
Über den Autor: Nils Wigger ist Geschäftsführer von Neo Relations. Die Kommunikationsberatung unterstützt Technologieführer und Investoren bei Stakeholder Relations, C-Level-Kommunikation und strategischem Storytelling. Wigger hat über 10 Jahre Erfahrung in der Technologiekommunikation, u.a. bei Unternehmen wie WAGO, dem Luftfahrtverband BDL, Brose und getpress.
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