Macht der Bilder Eine Ikone kann man nicht einsperren…

Da sitzt er nun, der „Bullenmann“, der „Q-Anon-Schamane“ im fahlen Licht eines US-Gefängnisses. Jacob Chansley gibt sich aufgeräumt: er habe doch nur den Auftrag des Präsidenten ausgeführt und der habe ihn jetzt im Stich gelassen, nicht begnadigt, beschwerte sich Chansley bei der TV-Moderatorin im CBS-Interview im Frühjahr 2021.
Am 6. Januar 2021 sah das noch ganz anders aus. Mit einer Mütze aus Kojotenfell und Büffelhörnern stolziert der „Bullenmann“ durch die Gänge des Washingtoner Kapitols und schlendert in den Sitzungssaal des Senats. Vom Platz des – gerade noch geflüchteten Vize-Präsidenten Mike Pence – fordert er seine Mitstreiter zum Gebet auf und hinterlässt eine handgeschriebene Drohung: „Mike Pence – die Gerechtigkeit wird nicht mehr lange auf sich warten lassen!“

Das Bild, das Jacob Chansley schuf, bleibt in den Köpfen: der „Schamane“, der am 6. Januar 2021 im Washingtoner Capitol den Umsturz herbeiführen wollte. (Foto: AP Photo / Manuel Balce Ceneta)

Mit seiner Maskerade spielt der „Bullenmann“ mit der Faszination des Barbarischen: Dem mit dem eigenen Speer getöteten Büffel das noch warme Herz herausreißen und es roh verschlingen – solche und andere Bilder assoziiert man mit Chansleys Aufzug. Der „Bullenmann“ als der unverdorbene Wilde, der nur mit der Natur und nach deren uralten Weisheiten lebt. Das Reine gegen das Verdorbene… im Tempel des Establishments, dem Kapitol. Läuft!

Der groteske Auftritt lenkte die Medien und die Öffentlichkeit ab. Denn in Wahrheit waren es keineswegs die Spinner aus den Wäldern, die da im Auftrag des abgewählten Präsidenten Trump der „Demokratie das Messer an den Hals“ setzten, wie Nachfolger Joe Biden es nannte. Nein, es waren die gut vorbereiteten und zu allem bereiten Rechtsradikalen wie die „Proud Boys“ oder „Oath Keeper“, die in einer konzertieren Aktion von mehreren Seiten gleichzeitig das Kapitol erstürmten und mit tödlicher Gewalt gegen Polizisten vorgingen und nur durch Zufall keinen gewählten Repräsentanten Amerikas „erwischten“, um den „Diebstahl“ zu stoppen.

Während der rechte Mob Nancy Pelosi, Sprecherin der verhassten Demokraten, fieberhaft suchte, erging sich der „Bullenmann“ lächelnd vor den Kameras. Video und Fotos zeigen ihn selbstsicher an der Spitze des Putschversuchs: Mit nacktem Oberkörper im nasskalten Washington verkörpert der Bullenmann das Männlichkeitsbild des auf sich selbst gestellten „Freedom fighter“: Geschmückt mit den Insignien archaischer Weisheit, gibt er den gerechten Einzelkämpfer, der von Politik und Medien betrogen für das wahre Amerika kämpft.

Die Rolle des Wahrhaftigen und Enttäuschten ist eine populäre Hollywood-Figur, oft verkörpert von großen Schauspielern: In dem Blockbuster „Angel has fallen“ spielt Nick Nolte 2019 einen US-Veteran, der sich im Wald alleine verbarrikadiert hat und seinem Sohn – gespielt von Top-Star Gerald Butler – im Kampf für den wahren Präsidenten hilft. Ebenso steht Gene Hackman vereint mit Will Smith im Kampf gegen den US-Geheimdienst NSA in dem Klassiker des Jahres 1998 „Staatsfeind Nr.1“. Und Clint Eastwood gibt in „Gran Torino“ den ehemaligen stolzen Arbeiter und Korea-Veteran, der allein mit Karabiner und Schläue die Jugendgangs in seiner Nachbarschaft bekämpft. Das Motiv des einsamen, gerechten weißen Mannes, der das wahre Amerika verkörpert, ist die Schablone, die der TV-Star Donald Trump mit seiner Schwurbelei und Verdächtigungen nur zu klug zu bedienen wusste. Ein Soziopath und Genie, wie ihn Noam Chomsky, einer der pointiertesten Kritiker des amerikanischen Politsystems, nennt. Das mache ihn so gefährlich.

Der „Bullenmann“ hat es geschafft, mit seinem grotesken Auftritt der Gewalt ein patriotisch-harmloses Gesicht zu geben. In seinem scheinbar lächerlichen Aufzug wurde er zur wandelnden Ikone vor den Plüschvorhängen und Ölgemälden des Kapitols. Er war es, der den Putschversuch am 6. Januar 2021 instagramable machte. Man kann Jacob Chansley – wie jetzt geschehen – für Jahre in den Knast stecken. Aber das Bild, das er schuf, bleibt in unseren Köpfen.

Über den Autor: Jost Listemann (Foto) ist Inhaber des Unternehmens Time:Code:Media GmbH in Berlin. Er berät große Unternehmen wie die Bayer AG und die Autobahn GmbH des Bundes und produziert für sie Bewegtbild-Kommunikation. Gestartet ist er als Politikwissenschaftler, seit dem Jahr 2000 ist er in der PR-Branche mit Schwerpunkt visuelle Kommunikation und Film tätig. An der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft unterrichtet er Storytelling und Bewegtbild.

Seitennavigation