Macht der Bilder Lützerath: Ein medialer Plot ohne Happy End

Am Ende konnten sie die Emotionen nicht mehr einfangen, die sie selbst geschürt haben: Aus dem Kampf um die besten Bilder wird in Lützerath eine Schlammschlacht mit der Polizei. Der mediale Plot der Klimaschützer hat kein Happy End mit schönen Bildern vom friedlichen Protest – im Gegenteil.
In Lützerath haben RWE und der Staat alles so gemacht wie immer: Bewohner abfinden, Dörfer abbaggern, fertig. Ein Viertel der deutschen Chemieindustrie und ein großer Teil der Bevölkerung Nordrhein-Westfalens befindet sich in einem Umkreis von 100 Kilometern: Wähler, Wohlstand, Arbeitsplätze, da müssen Opfer gebracht werden. Aber den Protestierenden geht es nicht um Dörfer, Heimat oder Arbeitsplätze – es geht um die symbolische Aufrüstung in einem gesellschaftlichen Konflikt: Wie viel weitere Umweltzerstörung ist noch gerechtfertigt, und wer bezahlt den Preis dafür?

Die mediale Mobilisierung scheint gelungen. Das Bild des Fotojournalisten Marius Michusch vermittelt die Botschaft: Der Braunkohlebergbau zerstört und der Staat steht Wache. (Screenshot: Twitter)

Das ein unbedeutendes Dörfchen am Rande eines schon lange existierenden Tagesbaus zum Symbol für diese Auseinandersetzung werden konnte, liegt an einer Medienstrategie, die Lützerath seit zwei Jahren zum Symbol des Widerstands stilisiert hat. Dabei war die robuste Räumung durch die Polizei als dramatischer Höhepunkt in den medialen Plot eingepreist.

Mehr schwarz-weiß geht nicht

Die Bilder, die die Klimaschützer vor unseren Augen entstehen lassen, sind lang vorbereitet: Einsame Menschen an Seilen schweben über einer gesichtslosen Masse uniformierter Polizisten, bunte Protestmalereien konterkarieren die blau-weißen Kolonnen der Polizeifahrzeuge, Protestler in weißen Overalls stehen schwarz gekleideten Polizisten gegenüber. Und hinter allem erscheinen die Bagger der RWE wie monströse Urzeit-Tiere – bedrohlich und zerstörerisch – als archaische Symbole des Raubbaus. Bereits im September 2021 besuchten Greta Thunberg und Luisa Neubauer pressewirksam das Protestdorf. Aus einer scheinbar spontanen Jugendbewegung mit Pappschildern ist ein Kommunikations-Cluster geworden, der dezentral vernetzt, digital kreativ und entschlossen Politik und Wirtschaft in Deutschland herausfordert. In der schwarz-grünen Landesregierung und bei RWE hat man sich offensichtlich lange auf das Mantra des Industriestandorts Deutschland verlassen: Mund halten, wir schaffen Arbeitsplätze. Jetzt erst recht, wo uns Putin das Gas abgedreht hat!!!

Luetzerath Screeshot Koeln

Luetzerath Screeshot Muenchen  

Mit visueller Kreativität gegen einen von Europas größten CO2-Produzenten

Vor einigen Wochen geht die Website „Tagebau Heimat“ viral: Mittels einer interaktiven Karte lässt sich ein real dimensioniertes Bild des Garzweiler Tagesbaus auf einer Deutschland-Karte hin und her schieben. Man kann so spielerisch die Innenstädte von Köln oder München im Garzweiler Tagebau verschwinden lassen (siehe obige Kartenausschnitte von Köln und München; Quelle: Website „Tagebau Heimat“). Technisch simpel und emotional wirksam werden die Konsequenzen des Braunkohletagebaus sichtbar und auf die eigene Region übertragbar. Digital, viral, effektiv.

Am 4. Januar postet der Fotojournalist Marius Michusch, der regelmäßig Klimaproteste begleitet, auf Twitter ein Bild mit ikonischer Kraft: Drei Polizisten mit Helm und Schild bilden nachts eine Reihe, hinter ihnen arbeitet übergroß ein beleuchtetes Schaufelrad. Die Botschaft des Bildes ist offensichtlich: Der Braunkohlebergbau zerstört und der Staat steht Wache. Allein auf Twitter wird das Bild 316.000 Mal aufgerufen, Sascha Lobo nutzt es als Aufmacher für seine Kolumne auf „Spiegel Online“. Die mediale Mobilisierung verdichten die Spannung, die ersten überregionalen TV-Medien beziehen Anfang Januar Stellung. Liveschalten und Berichte in den Abend-Nachrichten suggerieren Aktion, wo noch kaum etwas passiert. Manchmal tun die Protestler den Medienleuten den Gefallen, auf der Straße vor der Polizeikette ein Feuer zu entzünden: Mit Flammen und behelmten Polizisten im Hintergrund stimmt das visuelle Setting für den News-Aufsager.

Vorletzter Akt: die Hauptdarsteller betreten die Bühne

Schließlich wird die Räumung zum symbolischen Kampf, der die politischen Galionsfiguren auf die Bühne ruft: Greta Thunberg und Luisa Neubauer geben dem Protest ihr Gesicht – jung, entschlossen und präsent ziehen sie die Reichweiten der Massenmedien und der Sozialen Netzwerke auf sich. Am zweiten Tag der Räumung, lässt sich Neubauer von der Polizei medienwirksam wegtragen, ihr Livestream vor einer Polizeikette wird auf Instagram über 100.000 Mal aufgerufen. Einen Tag später erscheint Greta Thunberg und setzt mediale Spitzen: Das Vorgehen der Polizei sei „empörend“ und der Garzweiler Tagebau wirke wie Modor, der Hort des Bösen aus Herr der Ringe. Thunberg beschwört mythologische Bilder um ihre Anhänger emotional zu packen – mit Klimaschutzpolitik hat das kaum noch zu tun, eher mit einem medialen Spannungsbogen, der die eigenen Anhänger für die finale Demonstration mobilisieren soll. Wie auch immer man zu der Politik der beiden Frauen steht: Das sie seit Jahren den medialen Druck aufrecht erhalten, zeigt die gewachsene Professionalität der Klimabewegung und ihrer Protagonistinnen. Gegen ihre gealterten Antipoden Robert Habeck und den nordrhein-westfälischen Innenminister Reul gewinnen sie das Duell um mediale Attraktivität um Längen.

Ein Akteur bleibt gesichtslos, überlässt der Polizei das kommunikative Terrain: RWE, einer der größte CO2-Emitenten Europas verschwindet hinter den Polizeiketten und Gerichtsurteilen. Während die Polizei ihr Vorgehen rechtfertigen muss, muss RWE kaum noch rechtfertigen, was sie in Garzweiler eigentlich tun: sehr viel Geld verdienen. Schätzungsweise eine halbe Milliarde Euro jährlich wird RWE bis zum Kohleausstieg mit der Verstromung von Braunkohle verdienen und dabei über 50 Millionen Tonnen CO2 freisetzten – pro Jahr. Kaum vorstellbare Zahlen, aber darum geht es beim „Kampf um Lützerath“ schon lange nicht mehr.

Luetzerath Collage Neubauer

Die Screenshots zeigen die Proteste und Luisa Neubauer (r.). (Screenshots: tagesschau, ntv, luisaneubauer)

Finale an der Abbruchkante

Selbst Regen und Sturm können die Emotionen nicht mehr aufhalten: Am Ende einer zweijährigen Protestgeschichte liefern sich Tausende Demonstranten mit der Polizei an der Abbruchkante des Tagebaus ein überflüssiges Scharmützel. Bei den eigenen Aktionen Schlagstockeinsätze der Polizei in Kauf zu nehmen, mag die Mobilisierung der Klimabewegung stärken – politisches Kapital lässt sich damit in Deutschland nur schwer verdienen. Lüzerath hat gezeigt, wie schnell der Klimaktivismus medial eine Abbruchkante erreicht: Der beste Plot taugt nichts, wenn man das Finale vergeigt.

Über den Autor:  Jost Listemann ist Inhaber der Videoproduktionsfirma Time:Code:Media GmbH in Berlin. Er berät globale Unternehmen und öffentliche Institutionen in ihrer visuellen Kommunikation. Gestartet als Politikwissenschaftler ist er seit 2000 in der PR-Branche als Filmproduzent tätig. An der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft leitet er die Ausbildung für visuelles Storytelling und Bewegtbild.