Die Instagram-Screenshots zeigen mit KI erzeugte Bilder von Merkel, Obama, Dumbledore oder Lord Voldemort, die plötzlich witzig und real erscheinen. Ist die Irritation komplett, wächst die Versuchung, den eigenen Augen zu trauen. (Screenshots: Instagram)

Stoßen wir mit KI in eine neue Dimension vor? Ja, aber wohin führt uns das? So oder so ähnlich lautet die Frage, die in so vielen Teeküchen und Talkshows diskutiert wird. Auf diese sehr theoretische Frage beginnt die Praxis Antworten zu geben: Auf Instagram lassen sich die Arbeiten diverser „AI-Artists“ verfolgen, die in atemberaubender Schnelligkeit neue Bilderwelten schaffen, die unsere Wahrnehmung maximal herausfordern. Merkel und Obama tanzen in der New Yorker U-Bahn, Dumbledore und „der, dessen Namen nicht genannt werden darf“ posieren auf der 5th Avenue: Bekannte Figuren in anderen Körpern und neuen Rollen, inszeniert vom AI-Künstler Julian van Dieken. Plötzlich ist die Irritation komplett, wächst die Versuchung, den eigenen Augen zu trauen.

Die AI-Kunst überschreitet die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit und verschiebt unsere Wahrnehmung. Dabei ist der Unterschied zwischen KI-Text und KI-Bild entscheidend: Um einen KI-Text zu verstehen, dazu bedarf es einer kognitiven Leistung und der Bereitschaft, etwas lesen zu wollen. Ein KI-Bild wirkt dagegen unmittelbar, quasi emotional am Verstand vorbei. Wenn die Einzelmotive gelernt sind, verschwimmt die Grenze der Gesamtkomposition zwischen Fiktion und Wirklichkeit blitzschnell: Die KI-Bilder von Merkel, Obama, Dumbledore oder Lord Voldemort erscheinen plötzlich witzig real. An der Grenze zwischen Bekanntem und Neuem verschmelzen Faszination und Suggestion zu „einem Augenblick“: Der Verstand sagt nein, die Wahrnehmung sagt ja. Wer diesen Effekt erzeugen und sogar für sich nutzen kann, arbeitet auf Augenhöhe mit der KI. Ausgerechnet einem alten weißen Mann gereicht das als erstem zum Vorteil, dem Lord Voldemort der US-Politik, Donald Trump.

Kommen wir der Wirklichkeit näher?

Der Magier der medialen Eskalation nutzt einen beschämenden Gerichtsprozess um die Schweigegeldzahlungen an einen Pornostar für den Aufruhr in eigener Sache: Mit der Behauptung, er werde im Gericht verhaftet, wiegelt er seine Anhänger und die Medien weltweit auf. „The Donald“ in Handschellen, das Bild ist nicht zu toppen.

Diesem Thrill können sich offensichtlich auch einige KI-Designer nicht entziehen. In den Tagen vor dem Gerichtsprozess tauchen im Netz Bilder einer angeblichen Verhaftung Trumps auf. Noch deutlich als Fake zu erkennen setzen sich die Bilder in den Köpfen fest, werden zur Botschaft: Trump als Opfer, das Widerstand leistet und nur von mehreren Polizisten gleichzeitig niedergerungen werden kann. Nichts ist real an diesem Bild, denn trotz wüster Bewegungen bleibt die Frisur unbeschadet, kein Personenschützer greift ein. Die Wahrheit ist viel banaler: Fotos aus dem Gerichtssaal zeigen Trump schweigend zwischen seinen Anwälten, eher mickerig als kämpferisch.

KI Fotos Trump Verhaftung Fakefotos Suedtirol News

KI Fotos Trump Verhaftung Fakefotos Marca

Südtirolnews.it“ (Screenshot oben) und „Marca.com“ (Screenshot unten) berichteten am 21. März darüber, dass eine Künstliche Intelligenz vor der Festnahme bereits Bilder erstellt hatte, wie die Festnahme von Trump hätte aussehen können.

Aber die Bilder wabern durch Netz, werden zwischen Witz und Wahnsinn immer weiter geteilt, entfalten ihre Suggestion. Noch ist das alles höchstwahrscheinlich Zufall: Hier ein politischer Aufwiegler, da ein paar KI-Designer, die sich einen Spaß machen. Aber im Strom der sozialen Netzwerke verschwimmen die Bilder zu einem visuellen Smog, der nur noch Emotionen triggert. Wahr, falsch, egal: Donald Trump eben.

Aber die Potentiale dieser KI-Anwendungen sind unverkennbar: Wann sehen wir die ersten Bilder eines bekannten Konzernchefs, dessen Hand nach dem Po einer Mitarbeiterin greift? Wann den ersten katholischen Priester in einer Jungs-Umkleide? Wie kommt man dagegen an? Wer ist dann Opfer und wer Täter?
Wenn die Fiktion auf eine Wahrheit trifft, die wir glauben wollen, wird die Unwahrheit zur Wirklichkeit. Auf diese Herausforderung müssen der Journalismus und die Kommunikationsbranche eine Antwort finden.

Hinweis in eigener Sache: Jost Listemann können Sie am 9. und 10. Mai in zwei Live-Webinaren von Convento online kennenlernen. Gemeinsam mit dem KI-Experten Johannes Deltl spricht er über die aktuellen Herausforderungen durch KI für Agenturen. Zur Anmeldung geht es hier.

Über den Autor: Jost Listemann ist Inhaber der Videoproduktionsfirma Time:Code:Media GmbH in Berlin. Er berät globale Unternehmen und öffentliche Institutionen in ihrer visuellen Kommunikation. Gestartet als Politikwissenschaftler ist er seit 2000 in der PR-Branche als Filmproduzent tätig. An der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft leitet er die Ausbildung für visuelles Storytelling und Bewegtbild.


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