In der „F.A.Z.“ vom 11. November 2019 befasst sich Christoph Schäfer mit dem „Schweigen der Unternehmer“: Sie würden sich wenig bis gar nicht am öffentlichen Diskurs beteiligen. Dazu ein Kommentar von Hubertus J. Müller (Foto) aus der Sicht von Unternehmen und Öffentlichkeitsarbeit. Der Autor ist Inhaber der PPW Plan Personal Werbung, Frankfurt am Main, und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Marketing als Basis für Kommunikation, Rekrutierung, Image-Profilierung und Empowerment.

Von Hubertus J. Müller, Frankfurt am Main

Immer noch erfreuen sich „Wirtschaft“ und „Unternehmer“ einer überwiegend positiven Einschätzung durch die Gesellschaft. Die Soziale Marktwirtschaft gilt als Erfolgsmodell. Aber die Stimmung hat sich gedreht. Immer mehr Kritik wird an die Unternehmen herangetragen: Produktionsweise, Umgang mit Kunden und Personal, Frauenquote, Diversity, Equal Pay…und alles wird inzwischen überlagert vom neuen Grundthema „Klimawandel“.

Freiheit und Demokratie auf dem Prüfstand

Die durch Institutionen, NGOs, Aktivisten und Medien übermittelten Erkenntnisse von Forschung und Wissenschaft deuten auf die zunehmende Zerstörung von Ressourcen und Existenzgrundlagen, mit katastrophalen Folgen. Hauptverursacher: unsere auf Wachstum und egoistisch-rücksichtslose Ausbeutung angelegte Wirtschafts- und Lebensweise. Die Politik sieht sich unter Zwang und im Recht zu handeln, um unsere Lebensbedingungen und den Planeten zu retten. Sie hat begonnen umzusteuern, setzt neue Rahmenbedingungen und Ziele für Menschen, Industrie, Energie- und Landwirtschaft, Gesellschaft. Schädliches Verhalten soll abgeschafft, verboten werden. Freiheit und Demokratie kommen mit auf den Prüfstand.

Wie sollen Unternehmer mit dem neuen Angstblick auf ihre Aktionsfelder umgehen? Das neue Wahrnehmungsszenario verlangt eine nüchterne Überprüfung ebenso wie die Neubetrachtung. Das kann neue Perspektiven, gleichzeitig das Ende von Aktivitäten bedeuten. Wie reagiert die Wirtschaft auf die neuen Forderungen?

Schweigen oder antworten – das ist die Frage

Erwartet werden Antworten auf die neue Konstellation – von der Wirtschaft, von meinungsbildenden Kreisen und von Eliten, Antworten in Form von Informationen, Klärungen und Aufklärung. Die in diesem Zusammenhang auch von Unternehmern geforderte Teilnahme am öffentlichen Diskurs ist richtig, wirkt aber derzeit nicht sonderlich einladend: Zum einen ist Diskurs eine wenig praktizierte Übung. Zum anderen hat man den Eindruck, dass auf eine Anklagebank eingeladen wird, wo Urteile und Strafen schon feststehen. Kann hier die Stimme des Unternehmers noch wirksam zum Tragen kommen? Einzelne Mutige zeigen gute Auftritte, liefern Fakten und Argumente, bekommen Sympathie und Beifall. Die Mehrheit der Firmenverantwortlichen schirmt sich von der Öffentlichkeit ab. 

Das Schweigen dürfte neben Angst vor öffentlicher Bloßstellung weitere Ursachen haben: Der Klimawandel steht längst auf der Agenda der meisten Unternehmen, Umstellungs- und Entwicklungsprogramme sind in Planung oder bereits angelaufen. Aber da man im Wettbewerb ist, hängt man nicht alles an die große Glocke. Intern zeigt sich, wie gut die Firma mit dem Wandel, mit innovativem Denken und Handeln umgeht. Natürlich ist vieles noch nicht reif für Markt, Medien, Werbung und Publicity. Dass Kunden weiterhin gute Angebote und die Aktionäre Gewinne erwarten, kommt dazu.

Ein nachgeholter Diskurs?

In dieser Phase zwischen gestern und morgen am öffentlichen Diskurs teilnehmen, als Unternehmer, Manager, PR-Chef, Pressesprecher? Mit Pressemitteilungen, Interviews, Veranstaltungen, in Talkshows, über Social Media, wo Politik und Gesellschaft täglich fleißig twittern? An einem Diskurs, bei dem die Politik im nationalen und internationalen Rahmen entschieden hat, wo’s ab jetzt langgeht, wo Ziele und Bedingungen ohne lange Debatte, Prüfung und Bewertung der Ausgangsdaten festgelegt wurden? Es wirkt wie ein nachgeholter Diskurs.

Nicht nur Unternehmer fragen sich, ob die Politik noch auf „Marktwirtschaft“ setzt. Natürlich ist offen, ob der angestrebte Wandel von Wirtschafts- und Lebensweise ohne Zwang gelingt, via Herausforderung an die Innovationskraft freier Unternehmen, über Marktmechanismen, preisliche und psychologische Anreize, „nudging“ inbegriffen. Braucht es planwirtschaftliche Steuerung? Wie stabil sind die wissenschaftlichen Erkenntnisse und Prognosen? Wie aussichtsreich ist – beim globalen CO2-Anteil von zwei Prozent – die von Deutschland angestrebte globale Vorbildrolle beim Kampf gegen die Erderwärmung? Wie realistisch ist die unterstellte deutsche Bereitschaft von Verbrauchern und Unternehmen zu Verzicht, Umstellungen, Steuern und Belastungen?

„Deliver Value“ vs. „Schadensfeststellung“

Wer ein Unternehmen gründet oder führt, um nützliche Produkte herzustellen oder gefragte Dienstleistungen zu erbringen, engagiert sich für den menschlichen und gesellschaftlichen Bedarf, im Rahmen eines überwiegend freien Unternehmertums, eines Rechtsstaats, einer öffentlichen und einer firmenspezifischen Werteordnung. Luft, Wasser und andere Ressourcen gelten als allgemein verfügbar, ihre im Rahmen von Nachhaltigkeit ausgewogene Nutzung erlaubt. Jetzt wird eine neue Betrachtung jedes Geschäftsmodells gefordert, wo dem Grundaspekt „Deliver Value“ der neue Bewertungsaspekt der „Schadensfeststellung“ in Form einer Ökobilanz gegenübergestellt wird – der Grad der Ausbeutung menschlicher, der Inanspruchnahme zivilisatorischer und der Zerstörung planetarischer Ressourcen.

Der Basisjob des Unternehmers ist das Konzipieren, Realisieren und Liefern bedarfsgerechter Problemlösungen, wettbewerbsfähiger Produkte und gefragter Dienstleistungen. Das fordert mehr denn je, und zu den neuen Anforderungen kommt der technologische Umbruch durch Digitalisierung und künstliche Intelligenz. In dieser Lage geht eine stärkere Teilnahme am öffentlichen, politischen, wissenschaftlichen und intellektuellen Diskurs oft über die Möglichkeiten, Gruppen- und Branchenzuständigkeiten kleiner und mittelständischer Unternehmen hinaus. Bessere Möglichkeiten haben, hätten Großunternehmen, Unternehmens-, Branchen- und Interessenverbände, gesellschaftliche, kulturelle, wissenschaftliche Institutionen. Aber auch hier herrschen Unsicherheit und kommunikative Zurückhaltung.

Notwendig: höhere Einstufung der Öffentlichkeitsarbeit

Klar ist, dass die Rolle des Medien- und PR-Experten als Berater des Unternehmers und als kommunikativer Vermittler des Geschäftsmodells an Bedeutung gewinnt. Eigenständiges Narrativ, Definition von „purpose“ und Leitbild samt Herausarbeitung unternehmenseigener Wertsysteme und Einbettung in die neue Gesellschaftsordnung spielen ab jetzt eine tragende Rolle. Dies vor dem Hintergrund einer fundamentalen Veränderung des öffentlichen Bewusstseins durch die immer mehr Bereiche durchdringende Forderung nach rascher Abwendung der Klimakatastrophe, wozu alle ihren Beitrag leisten müssen. Wie lange Friday for Future und Greta auftreten, ist offen. Die neue Angst bleibt.

Neben Überprüfung und Neuausrichtung des Unternehmens gehört seine zeitnahe Darstellung auf die To-do-Liste des Topmanagements, samt überzeugender medialer Vermittlung nach drinnen und draußen. Das stellt hohe und neue Anforderungen an professionelle, wirksame Ö-Arbeit, an das fachliche und persönliche Profil des Kommunikators, an das Organisations- und Arbeitsmodell der Kommunikation. Jedes Unternehmen befindet sich in einer generellen und in einer speziellen Situation, entsprechend den jeweiligen Aktivitäten und Erwartungshaltungen. Zielgruppen und Reichweiten der unternehmenseigenen Öffentlichkeitsarbeit? Primär kunden-, personal-, partnerbezogen auf das Aktionsfeld des eigenen Geschäftsmodells fokussiert? Für den Diskurs mit öffentlicher Meinung und Politik bereit? Umgekehrt – wie steht es mit der Einbeziehung umweltbezogener, sozialer oder Politikziele und Menschenrechte in das eigene Unternehmen? Branchen- oder community-orientiert, lokal, regional oder global kommunizieren? Wo defensiv, wo offensiv? Verantwortung, PR-Strategie, Plan und Budget(erhöhung?) gehören in den Business Plan der Geschäftsleitung.

Höhere Erwartung an die Kommunikation

Die direkte und stärkere Teilnahme von Unternehmern, Managern und PR-Experten am öffentlich-politischen Diskurs erscheint dort ratsam, wo das eigene Unternehmen in seiner Arbeits- und Erfolgsfähigkeit von gesellschaftspolitischen oder unternehmensrelevanten Entwicklungen direkt betroffen ist. Das Befassen mit fundamentalen Veränderungen im gesamtgesellschaftlichen Bereich, mit Gesetzgebung und Regulierung im öffentlichen Diskurs ist wichtig, geht aber in vielen Fällen über die Aufgabe und die kommunikativen Möglichkeiten kleiner und mittelständischer Unternehmen hinaus. Hier beginnt das Feld professioneller externer Unterstützung. Von Unternehmern, von KMUs wie von Großunternehmen, darf, muss ab jetzt kommunikativ mehr erwartet werden.

Über den Autor: Hubertus J. Müller verfügt über langjährige Praxis in den Bereichen Kommunikation und Geschäftsentwicklung: Berufsstart in der Werbung bei KRAFT und SIEGEL (heute Henkel-Konzern, dann bei YOUNG & RUBICAM Marketing Executive und Account Manager für Produkt- und Firmenmarken, Aufbau der PPW Managementberatung für Personal, Kommunikation, Geschäftsentwicklung.


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