Dreiviertel der DAX-Unternehmen halten sich in den Jahresberichten 2021 an die Regeln der deutschen Rechtschreibung. Einbezogen sind solche Unternehmen, die in sparsamer Weise in ihrer Berichterstattung auf das Partizip Präsens („Mitarbeitende“) zurückgreifen wie Sartorius und SAP. Sie entsprechen damit der Empfehlung des Deutschen Rats für Rechtschreibung, der wiederholt von einer Gendersprache abrät. Im Hinblick auf die gesellschaftliche Debatte um Gender eine gute Nachricht. Ein Viertel tut das nicht. Dies zeigt eine von mir vorgenommene Auswertung der jeweiligen Berichte.

Im Vergleich zu den beiden Vorjahren (hier waren es noch 30 Unternehmen) änderte sich tendenziell nicht viel. Etwas doch. Einige der Unternehmen, die gegen die gängigen Rechtschreiberegeln verstoßen, haben sich im Innenverhältnis eigene Regeln oder Handbücher gegeben zum dort erwünschten Schriftgebrauch – vergleichbar den Rules of Conduct. Ob es bei Verstößen zu disziplinarischen Strafen oder Abmahnungen kommt, ist bisher öffentlich nicht bekannt geworden. Bei MTU heißt es: „Wir folgen dabei aus Gründen der Lesbarkeit und Einheitlichkeit Regeln, die wir für eine inklusive Sprache@MTU aufgestellt haben.“

Befassen wir uns zunächst mit den „Abweichlern“. Den Asterisk („Genderstern“) verwenden die Deutsche Börse, Delivery Hero, Deutsche Telekom, Adidas, Puma sowie MTU und Infineon und auf eine besonders nervige Weise Zalando. Den Gender-Doppelpunkt verwendet Vonovia, den Unterstrich („Gender-Gap“) Henkel. Im Ergebnis führt ein derartiger Gebrauch der deutschen Schriftsprache zu Wortungetümen wie Kund*innenbindung, Mitarbeiter*innenumfrage, Ersthelfer*innen, jed*n Mitarbeiter*in – wie sie bei Zalando zu finden sind. So sieht Sprachaphesie aus. Es wäre schade, wenn sich diese sprachliche Unordnung und der Trend zum Beliebigen und Allgefälligen weiter fortsetzen würde. Nicht nur das Lesen fiele uns dann schwerer, sondern auch das Gespür für Bedeutung könnte uns abhanden kommen. Allein die drei verschiedenen Genderformen für sich betrachtet, verdeutlichen das damit hervorgerufene Durcheinander im Schriftwesen. Wer will wem das noch zumuten?

In manchen Fällen – wie bei Brenntag – unterscheidet sich die Schreibweise im Nachhaltigkeitsbericht von der im Geschäftsbericht. Da fehlt es offenbar an internen Absprachen. Insoweit Unternehmen das sogenannte Gendern für unangemessen und im Rahmen ihrer geschäftlichen Kommunikation als abträglich erachten, geschieht dies „aus Gründen der besseren Lesbarkeit“ und ebenso häufig „aus Gründen der Sprachvereinfachung“ wie „aus Gründen der besseren Verständlichkeit“ schließlich auch um die Lesefreudigkeit zu erhöhen“ (Symrise). Darin entschuldigen sich die Unternehmen für den Gebrauch des generischen Maskulinums und beteuern, dass der Text sich natürlich auf „Personen aller Geschlechter“ bezieht.

Entschuldigend heißt es dazu: „ist dies nicht geschlechtsspezifisch gemeint“ (Deutsche Bank) oder: „selbstverständlich sind Menschen jeder Geschlechtsidentität angesprochen“ (Hannover Rück) oder: „entsprechende Formulierungen gelten im Sinne der Gleichbehandlung uneingeschränkt für alle Geschlechter“ (Covestro) oder: „die gewählte Form bezieht immer alle Geschlechter mit ein“ (BMW) oder: „bezieht sich die Information dennoch auf alle Personen (männlich, weiblich, divers)“ ( Siemens Healthineers) oder „zur Vereinfachung der Sprache haben wir in unserem Bericht die maskuline Form verwendet. Wir bitten um Ihr Verständnis“ (Fresenius Medical Care).

Einzig BMW begründet seine Schreibweise mit Empfehlungen des Rats für deutsche Rechtschreibung und verzichtet auf „verkürzte Formen“ zur Kennzeichnung mehrgeschlechtlicher Bezeichnungen. Die Beflissenheit der Unternehmen, Plurale politisch korrekt zu „erklären“, könnte einerseits von einer zunehmenden Sensibilität für dieses sprachliche Thema, andrerseits aber von einem Sprachnormkonflikt in der Gesellschaft zeugen. Überraschend ist freilich, wie willfährig sich etliche der großen, kapitalmarktorientierten Unternehmen der Sprachnormverletzung anpassen.

Nur wenige der in ihrer Berichtssprache genderfreien DAX-Konzerne (Bayer, E.ON, Fresenius, Porsche, Siemens u. A.) „entschuldigen“ sich nicht für den korrekten Sprachgebrauch, sondern belassen die Sprache wie sie ist und wie sie sein soll.

Doch wieso die beschriebenen Entschuldigungs-Rituale überhaupt? Und wem gegenüber überhaupt? Wer soll das sein? Wer ist der Adressat hierfür? Etwas, welches verallgemeinernd gesellschaftliche Stimmung benannt wird? Zeugt dies von einem mangelnden Selbstbewusstsein in den eigenen Reihen? Eines ist die Außensicht und ein zweites der Adressatenbezug: Zu fragen wäre, wie der Sprachgebrauch sich auf das Ansehen in der jeweiligen Bezugsgruppe (Aktionäre, Investoren, Analysten) auswirkt. Analysen und Anleger werden damit wenig am Hut haben. Bekannt ist dem Autor keine darauf bezogene Studie. Und eine zweite Sicht ist die der eigenen Belegschaft. Wird dort ein Meinungsbild eingeholt. Wieviel wären dafür? Wieviel würden sich „schämen“. Das bekannt gewordene Beispiel von Audi mag hier stellvertretend stehen.

Die Form der Mitteilung ist der Stil. Darüber wird womöglich zu wenig nachgedacht.

Über den Autor: Manfred Piwinger gilt einer der renommiertesten Spezialisten für die Unternehmensberichterstattung. Gemeinsam mit Kaevan Gazdar betreibt er die Plattform „reportingexpert.de“, auf der unter anderem Erkenntnisse aus eigenen Studien, Gutachten, Büchern und Fachaufsätzen veröffentlicht werden. Seit vielen Jahren ist er auch für das „PR-Journal“ als Autor tätig und veröffentlicht dort Analysen und Meinungsbeiträge zur Unternehmensberichterstattung.


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