Kommentare Kommentar zum Edelman Trust Baromter (II): Vertrauensbildung erfordert Selbstreflexion
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- von Thomas Dillmann, Bad Honnef
Vertrauen ist die wichtigste Währung im Zusammenleben der Menschen und im guten Miteinander von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Dies gilt insbesondere in Zeiten der globalen Verunsicherung durch Krisen und Kriege. Deswegen ist es gut, dass wir mit dem Edelman Trust Barometer jedes Jahr einen Anlass haben, die Entwicklung des Vertrauens zu reflektieren und über die Ursachen und Verbesserungsmöglichkeiten nachzudenken. Es ist verdienstvoll, dass die PR-Agentur Edelman dieses Instrument zur Verfügung stellt und die Debatte dazu eröffnet. Allerdings bin ich enttäuscht, wie wenig substanziell diese Debatte tatsächlich geführt wird.
„PR-Journal“-Autor Wolfgang Griepentrog (Foto) nimmt in seinem Beitrag Stellung zu den Ergebnissen des Edelman Trust Barometer 2023. Dabei widerspricht er auch dem CDU-Politiker Norbert Röttgen, der bei der Präsentation des Trust Barometers vor allem Unternehmen in die Pflicht genommen hatte.
Von Wolfgang Griepentrog
Was ich nämlich angesichts des über Jahre hin erkennbar erschütterten Grundvertrauens der Menschen für noch wichtiger und dringend notwendig halte, ist nicht die Reflexion, sondern die Selbst-Reflexion. Mir fehlt die gemeinschaftliche Betrachtung von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, wie das Vertrauen der Bürger konkret gefördert werden kann und wie man sich dabei gegenseitig unterstützen muss. Was wir stattdessen erleben, ist Fingerpointing auf höherem Niveau. Deswegen kann ich mit Norbert Röttgens Appell wenig anfangen, demzufolge sich CEOs wegen ihres (leichten) Vertrauensbonus im Vergleich zu Politik und Staat stärker in Diskussionen zu kritischen Themen engagieren sollten. Es ist wohlfeil und von einem Oppositionspolitiker nicht anders zu erwarten, den Appell an andere zu richten. Doch er läuft ins Leere.
Erstens ist er nicht neu – auch ich habe quasi als Eigenappell an die eigene Branche immer wieder mehr Sichtbarkeit und klare Positionierung von CEOs in kritischen öffentlichen Debatten gefordert, wohl wissend aus dem eigenen Job, wie schwierig das bisweilen ist, aber überzeugt vom Mehrwert. Passiert ist wenig und wenn, dann primär von Akteuren wie Kaeser oder Diess, denen ein Hauch von selbstkritischer Reflexion nicht mehr gefährlich werden konnte.
Zweitens trifft der Appell ins Leere, denn mit einer anderen Entwicklung von Vertrauenswerten in der Politik ist gar nicht zu rechnen. Vertrauensverlust entsteht durch enttäuschte Erwartungen. Spitzenpolitiker auf Bundesebene und teilweise auf Landesebene kommen gar nicht umhin, diese Erwartungen zu enttäuschen, weil zum Beispiel die gesellschaftlichen Erwartungen an Koordinaten von gestern ausgerichtet sind, die heute zu hinterfragen wären (nämlich auf Wachstum, auf ein "weiter so", auf unverhältnismäßigen Konsum, auf Wettbewerbsvorteile - NICHT aber auf ein vernünftiges globales Verhalten). Deswegen leben wir nicht resilient und verantwortungsbewusst. Und deswegen sind natürliche und vertrauensbelastende Konflikte angelegt, weil jeder kritische und selbstkritische Spitzenpolitiker abgestraft wird, Habeck kann ein Lied davon singen. In solcher Situation stehen Wirtschaftsvertreter im Ansehen besser da.
Hinzu kommt als weiterer zentraler Faktor für Vertrauensverluste von Politikern, nämlich das teilweise veraltete journalistische Selbstverständnis im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Wenn Talkformate nicht aufklären und erhellen, sondern in Frage stellen oder bloßstellen wollen, beeinträchtigt das die Vertrauensbildung. Davon abgesehen gibt es hier kaum Einladungen an CEOs, die eine andere Sicht einbringen könnten, sondern immer wieder dieselben Talkshowgäste.
Der große Gegenspieler in der Entwicklung von Vertrauen sind weltweit systematische Lügen-Propaganda und Fake News. Wenn die Menschen nicht mehr wissen, was richtig und falsch, was wahr und unwahr ist, können sie schwer Vertrauen entwickeln. Hier sollte die gemeinsame Selbstreflexion ansetzen.
Enttäuscht bin ich allerdings auch von der PR-Agentur Edelmann selbst, die es bis heute nicht geschafft hat, das Trust Barometer als Instrument der gemeinsamen Selbstreflexion zum Maßstab der eigenen Profession zu machen. Wer, wenn nicht Kommunikationsmanager und Berater, könnte hier Unternehmen, Organisationen und deren Repräsentanten zu einem mutigen, engagierten, kritischen Dialog bewegen? Die deutschen Kommunikationsverbände scheuen eine selbstkritische Diskussion von Vertrauensmechanismen, so wie sie auch das Thema Glaubwürdigkeit scheuen – nachvollziehbar, aber nicht akzeptabel.
Es bleibt also viel zu tun. Wir sollten das Trust Barometer zum Anlass nehmen, über die heutigen Vertrauensbildungsmechanismen neu nachzudenken, aber nicht indem man anderen empfiehlt, was sie tun sollten, sondern die eigene konkrete Verantwortung überdenkt und dies in die gemeinschaftliche Diskussion zwischen Wirtschaft und Politik einbringt.
Über den Autor: Wolfgang Griepentrog ist Interim Manager und Kommunikationsberater. Er unterstützt Unternehmen bei der Verbesserung ihrer Kommunikations- und Marketingprozesse und bei der Positionierung mit einem differenzierten Markenprofil. In Krisen sowie im Change Management hilft er, unternehmenspolitische Handlungsspielräume zu sichern. Seit vielen Jahren unterhält er zudem seinen Blog „Glaubwürdig kommunizieren“. Hier gibt es Beobachtungen, Analysen, Anregungen rund um wirkungsvolle Kommunikation.
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