Gatekeeping Ines Engelmann CoverDas Gatekeeper-Konzept ist ein durchaus fast schon klassisches Forschungsfeld der Medien- und Kommunikationswissenschaft. In den traditionellen Modellen stand vor allem der einzelne Journalist im Mittelpunkt. Aber auch schon in den ersten prominent gewordenen Forschungsarbeiten des vergangenen Jahrhunderts (White) ging es dabei nicht nur um die persönlichen Einstellungen des einzelnen Handelnden. Die Vorstellung, seine persönlichen Präferenzen allein entschieden darüber, welche Inhalte das Tor erst der Informationsbearbeitung und dann des anschließenden öffentlichen Verbreitens von Nachrichten passieren würden -, diese simple Wahrnehmung war schon immer naiv und nie der Ansatz wissenschaftlicher Forscher.

Auch in den frühen Forscher-Arbeiten wurden institutionelle Rahmenbedingungen, Routinen in Redaktionen, Einflüsse von Akteuren im Außenfeld von Medien, gesellschaftliche und Publikumseinflüsse mit einbezogen und untersucht.

Diese Forschungstraditionen herauszuarbeiten, ist das erste Anliegen von Ines Engelmann in ihrem hier anzuzeigenden Lehrbuch. Sie präsentiert in dem 126 Seiten schmalen Paperback zunächst die klassischen Forschungskonzepte und im Anschluss daran moderne Weiterentwicklungen, die durch die Entwicklung des dynamischen Internets unserer Tage bedingt sind. Die zentrale Forschungs-Frage ist unverändert geblieben: "Warum wird über bestimmte Medieninhalte berichtet, über andere dagegen nicht, und wie wird im Einzelnen darüber berichtet?" (S. 11)

In den ersten vier Kapiteln widmet sich die promovierte Kommunikationswissenschaftlerin, derzeit Professorin an der Universität Jena mit Schwerpunkt Empirische Methoden, dem traditionellen Gatekeeping-Ansatz. Er befasst sich primär mit den Selektions-, Gewichtungs- und Präsentationsentscheidungen in klassischen Redaktionen und Medien. Wie wird hier ausgewählt, nach welchen Kriterien? Wie werden die wichtigsten Nachrichten identifiziert, wie entsteht eine Rangfolge von Nachrichten? Inwiefern zeigt die Art der Nachrichtenpräsentation (Bilder, Überschriften, nur Texte etc.) den unterschiedlichen Wert von Nachrichten fürs Publikum an?

In der Forschungstradition hebt Engelmann besonders drei Konzepte hervor und stellt diese nuanciert dar, verdienstvollerweise jeweils mit einem zusammenfassenden Schaubild visualisiert. Das ist zuvorderst das "Hierarchy-of-Influences-Modell" von Pamela J. Schoemaker, mit den Feldern Social Systems, Social Institutions, Media Organisations, Routine Practice, Individuals. Dieser ganzheitliche Ansatz ist nach Engelmann besonders geeignet, das Zusammenwirken der verschiedenen Einfluss-Faktoren auf das Öffentlich-Machen von Nachrichten aufzuzeigen.

Verwandt sind die ebenfalls kompakt dargestellten Modelle der "Weischenberg-Zwiebel" mit einem systemtheoretischen Ansatz und das "4-Sphären-Modell" von Donsbach. Beide gehen von einem ähnlichen Ansatz aus und beziehen verschiedene Faktoren mit ein. So zum einen die individuellen Faktoren in Zusammenhang mit der Person des Journalisten (Ausbildung, Wert-Präferenzen, politische Einstellungen, Rollen-Verständnis), der die eingehende Information bearbeitet; so auch Faktoren wie äußere Einflüsse (Verfassungen, Regierungen, Gesetze, geltende Normen) und innere Strukturen in Medienunternehmen und Medienorganisationen (Prozesse, Arbeitsabläufe, Hierarchien, Entscheidungswege u.a.).

Diese modernen Gatekeeper-Konzepte aber auch relevante ältere Forschungsansätze wie beispielsweise von Kurt Lewin und David Manning White, aus den 40er und 50er Jahren des letzten Jahrhunderts, werden gleichermaßen kompakt wie angemessen detailliert vorgestellt.

Wer dieses Buch mit der Lektüre der ebenfalls schon erschienenen Bände über Agenda Setting und Nachrichtenwerte – beziehungsweise -Faktoren verbindet, der wird mit einem reichen und tiefen Verständnis über die Auswahl- und Bearbeitungspraxis alter und neuer Medien bereichert. In Zeiten, in denen diverse Verschwörungstheorien über das Unterdrücken von Nachrichten in der Medienwelt globale Konjunktur erfahren, sind das erhebliche Verdienste, die mit diesem aber auch den anderen Bänden der "Konzepte"-Reihe regelmäßig geliefert werden.

In einem Punkt geht Engelmann aber über die Arbeiten vieler anderer Publikationen aus der Reihe der "Konzepte"-Lehrbücher erkennbar hinaus. Es ist das Kapitel 5, das unter der Überschrift "Weiterentwicklungen" alle Faktoren diskutiert, die das moderne Internet gebracht hat. Dieses hat ja die Exklusivität der journalistischen Gatekeeper-Tätigkeit pulverisiert. Es hat neue Gatekeeper ins Spiel gebracht, dem klassischen Journalisten nicht unähnlich, und doch anders arbeitend, zum Beispiel Blogger. Es hat aber auch die kommunikative Machtposition des einzelnen Medienkonsumenten verändert, der jetzt zum Gatekeeper für andere wird, zum Beispiel seine Follower. Es hat mächtige technische Gatekeeper ins Spiel gebracht, wie Google und Facebook, deren Algorithmen die Gatekeeper-Funktion mit neuem Leben füllen. Es hat den Wandel der journalistischen Rolle als Gatekeeper zum Gatewatcher gebracht, der nunmehr die Qualität und Seriosität der neuen Gatekeeper für sein Publikum bewertet. Das alles ist vom Informationsgehalt und dem Niveau der gedanklichen Reflexion Engelmanns sehr wertvoll, äußerst anregend, von hoher Aktualität.

Titel: Gatekeeping = Konzepte. Ansätze der Medien- und Kommunikationswissenschaft. Bd. 16, Autorin: Professor Ines Engelmann; Verlag: Nomos, Baden-Baden 2016; Umfang: 126 Seiten; Preis: 19,90 Euro; ISBN-Nr. 978-3-8487-1349-3

Kiefer Markus Prof FOM kleinerÜber den Autor der Rezension: Markus Kiefer (60, Foto) ist Professor an der FOM - Hochschule für Oekonomie und Management. Dort lehrt er BWL, mit dem Schwerpunkt der Unternehmens- und Wirtschaftskommunikation. Darüber hinaus arbeitet er in Seminaren, Vortragsveranstaltungen und Workshops für Weiterbildungs-Akademien der Wirtschaft. Er berät Unternehmen in Fragen der Kommunikationsstrategie, der PR, Mitarbeiterkommunikation, Social Media und Krisenkommunikation. Im Recito Verlag, Essen, ist im Sommer 2018 sein Buch „Unternehmenskommunikation - Erfolgreiche Kommunikationskonzepte aus Wissenschaft und Praxis“ erschienen.


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