Rezensionen Empfehlung Neue politikwissenschaftliche Analyse über Bernays
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- von Markus Kiefer, Heiligenhaus
Ist über Edward L. Bernays – neben Ivy Lee der Urvater der modernen PR – von der Wissenschaft nicht schon alles Essentielle gesagt und geschrieben worden? In der Kommunikationswissenschaft und in der Organisationskommunikation wohl schon, mag sich Stefan Matern gedacht haben, als er sein Promotionsprojekt an der Universität München startete, nicht aber in der politikwissenschaftlichen Analyse.
Und genau darum geht es in dem hier anzuzeigenden Buch, der Veröffentlichung einer erfolgreichen politikwissenschaftlichen Dissertation. Es fragt nach den zentralen geistigen Einflüssen und Quellen auf das Werk des vor 100 Jahren wirkenden PR-Unternehmers und dessen möglichen Beiträgen für den öffentlichen Diskurs in der Demokratie heute.
Ein spannendes Unterfangen, vor allem, wenn man sich ins Gedächtnis ruft: Bernays schrieb seine beiden Hauptwerke 1923 und 1928, also in der Zeit, als ein gewisser Adolf Hitler „Mein Kampf“ verfasste. Und dessen maßgeblicher „Spin Doctor“, Joseph Goebbels, soll sein Wirken in Kenntnis der Bernays’schen Schriften verrichtet haben. So mutmaßt jedenfalls Matern, wohl nicht ganz grundlos.
Zweiteiliges Werk
Heraus gekommen ist ein im Grunde zweiteiliges Werk. Im ersten Teil arbeitet der Autor die zeitgenössischen journalistischen Einflüsse auf den PR-Manager heraus. Diejenigen von Walter Lippmann waren zuvor durchaus schon bekannt. Aber es gab auch noch eine ganze Reihe anderer gewichtiger Publizisten, die sein Verständnis von Öffentlichkeit und öffentlicher Willensbildung prägen. Und Matern arbeitet das (negative) Menschenbild heraus, das Bernays Werk zugrunde liegt. Beeinflusst vor allem von den bedeutenden Psychologen und Sozialpsychologen der Zeit, zuvorderst seines Wiener Onkels Siegmund Freud. Aber auch Einflüsse anderer bedeutender Sozialwissenschaftler und Ökonomen wie zum Beispiel Pareto oder Schumpeter werden deutlich.
Matern zeichnet für den wirkmächtigen PR-Agenten das Bild eines hemdsärmeligen und zugleich auch intellektuellen Pragmatikers. Nicht sonderlich exakt in seinen Zitationen, mal ohne Quellenangabe, teilweise sinnentstellend oder widersprüchlich zitierend, zuweilen gegen die eigentliche Intention des Zitierten. Im Umgang mit der Wahrheit nicht zimperlich, teilweise im Widerspruch zu den eigenen theoretischen Ethik-Ansprüchen, die der Bernays’schen Propaganda-Praxis zu weichen hatten. Ein zunächst krass elitäres Verständnis von Demokratie, in der eine weitgehend vom Unbewussten und von Trieben gesteuerte Masse geführt wird von herausragenden, erkenntnisscharfen Eliten. Und kluge PR-Agenten, die in der Lage sind, über einflussreiche Meinungsführer die Emotionen und der Masse zu steuern, sind solche Eliten im Bernays’schen Sinne.
Später: gewandeltes Demokratieverständnis
Als Widerspruch hierzu zeichnet Matern das spätere Demokratie-Verständnis seines Forschungsobjekts. Beeinflusst durch die Erlebnisse des Faschismus und der Kriegszeit kommt Bernays nämlich zu einem gewandelten Demokratieverständnis. Heute würde man das als wehrhafte Demokratie bezeichnen. Und hier fordert er den bewussten Einsatz des einzelnen Bürgers zugunsten der Demokratie. Was Matern als widersprüchlich zeichnet, kann man aber auch anders verstehen, nämlich als Entwicklung von Denken, unter gewandelten zeitlichen Umständen.
Analyse problematischer Entwicklungen
Ist der erste Teil des Buches eine historisch orientierte Analyse von Quellen, so geht der zweite Teil methodisch anders heran. Hier werden für die heutige Demokratie problematische Entwicklungen skizziert. Fake News, die Weigerung von Wahlverlierern der Demokratie die Mehrheits-Regel beziehungsweise Mehrheitsentscheidung zu akzeptieren (Sturm auf das Kapitol, Bolzonaro, Trump, Identitäre Bewegung). Hier bringt Matern vielfältige neue Erkenntnisse der gegenwärtigen Sozialpsychologie als auch vor allem der Neurowissenchaften (Damasio) ein und verknüpft diese mit den Gedankengängen des späteren Bernays. Der rote Faden dabei: Politik und Politikwissenschaften haben zu lange die Rolle von Emotionen und Gefühlen in der Demokratie ausgeblendet, unterschätzt, falsch eingeschätzt – und es bis heute nicht geschafft, ihnen einen berechtigen Stellenwert und Platz in der Politik zu verschaffen. Vor allem nicht in der Praxis des politischen Diskurses.
Frage nach der Berechtigung von Propaganda
Und hier kann der Rückgriff auf Bernays und andere PR-Pioniere durchaus befruchtend sein. Denn, da lässt sich dem Münchner Doktoranden sehr gut folgen: Sein Forschungs-Protagonist hat es sich zwar im Lauf der Jahre zunächst einfach gemacht, als er den belasteten Propaganda-Begriff mehr oder weniger schlicht durch Begriff und Konzept von Public Relations ersetzte. Aber er hat eben auch die Frage nach der Berechtigung von Propaganda in der Demokratie aufgeworfen. Und die scharfe Trennlinie zwischen der einseitigen Propaganda der Autoritären und den vielschichtig miteinander um den richtigen Weg streitenden Propagandae (Plural) der diversen Gruppen in der liberalen parlamentarischen Demokratie deutlich gezogen. Radikale Gruppen an den Rändern westlich geprägter Demokratie lassen sich ja offenkundig mit Vernunft, Faktenwissen und Argumentation kaum beziehungsweise gar nicht mehr erreichen. Die Kommunikation über Emotionen kann hier eine Option sein und: Sie muss ja nicht zwingend im Widerspruch zur Ratio stehen. Dieses deutlich zu machen und zum weiteren Nachdenken und Forschen anzuregen, das ist ein großes Verdienst dieser Dissertation. Die abschließend in großer Klarheit gedachten und ausformulierten Zusammenfassungen und Thesen (271 – 278) liefern hier fulminanten Sprengstoff, nicht nur für die weitere akademische Debatte, sondern auch für die Gedankengänge der Strategen in den demokratischen Parteizentralen.
Oberziel: Demokratie-Erhalt
Bernays war kein Wissenschaftler. Er war Pragmatiker. Er betrieb keine wissenschaftliche Forschung sondern arbeitete mit den Methoden der zeitgenössischen Marktforschung. Diese wendete er im Dienst sowohl großer Konzerne wie zum Beispiel der Tabakindustrie als auch der amerikanischen psychologischen Kriegsführung an und stellte dieses alles gemäß seinem Selbstverständnis, je später in seinem Leben desto konsequenter, unter das Oberziel der Demokratie-Erhaltung. Instrumentell gesehen, war für ihn die Generierung von News über das Schaffen von Pseudo-Ereignissen zentral.
Keine geschlossene Theorie
Hier werden sich Leser aus der Praxis des PR-Managements sicher mehr an Darstellung über das WIE wünschen, als es diese politikwissenschaftlich ausgerichtete Theorie-Darstellung liefert beziehungsweise liefern will. Unter dem Strich steht hier nämlich eine klar Theorie-geleitete Abhandlung, mit der Matern aber der weltweit ausgebrochenen Diskussion um die Zukunft der Demokratie wertvolle Impulse zuführen kann. Wenngleich am Ende keinesfalls eine geschlossene Theorie steht, aus der sich heute schöpfen lässt. Insofern verspricht der Buchtitel vielleicht etwas Umfassenderes als der Text dann einlöst. Das Werk von Bernays sieht der Autor eher als einen Steinbruch, aus dem sich anregende Einzel-Impulse ableiten lassen. Aber, das ist ja nicht wenig – auch nach 100-Jahren ist der PR-Urvater noch modern zu lesen.
Titel: Edward L. Bernays‘ Propagandatheorie. Vom Kampf um Wirklichkeiten und Emotionen in der liberalen Demokratie; Autor: Stefan Matern; Verlag: Barbara Budrich, Opladen, Berlin und Toronto 2023, Schriftenreihe Politik und Kommunikation Band 6; Umfang: 340 Seiten; Preis: 74,90 Euro; ISBN 9783847430070
Über den Autor der Rezension: Professor Dr. Markus Kiefer (66) war von 2010 bis Ende des Sommersemesters 2022 hauptberuflich an der FOM – Hochschule tätig, als Professor für Allgemeine BWL, mit dem Schwerunkt Unternehmens- und Wirtschaftskommunikation. Seit dem Wintersemester 2022 nimmt er an der FOM und im Wechsel an weiteren Hochschulen Lehraufträge mit Schwerpunkt PR und Unternehmenskommunikation wahr.
Mittelstandskommunikation – Fachbuch von Professor Kiefer
In einem neuen, 48-seitigen Fachband setzt sich Kiefer mit den aktuellen Herausforderungen der mittelständischen Unternehmenskommunikation auseinander. In elf Kolumnen beleuchtet er Themen wie Kommunikationsstrategien, Erfolgskontrolle, den Umgang mit KI oder Führungskräftekommunikation unter Berücksichtigung der spezifischen Besonderheiten der mittelständischen Industrie. Der Titel „Mittelstandskommunikation“ ist im Juli 2024 erschienen und steht auf der Website des Rechtsverlags zum Preis von 4,76 Euro zum Download im PDF-Format zur Verfügung.
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