Chancen-Kompass Anspruchsvolle Aufgabe: Überzeugend kommunizieren, wenn der Kurs sich ändert
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- von Thomas Dillmann, Bad Honnef
„Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?" – dieser Satz, oft Konrad Adenauer zugeschrieben, erlebt gerade eine Renaissance. Allzu oft beobachten wir, wie einstige Zusagen plötzlich flexibel interpretiert werden, sobald sich die Umstände ändern. Doch wie gehen Kommunikationsverantwortliche damit um? Unsere Kolumnistin Mirjam Berle zeigt auf, wie wichtig in solchen Fällen ein feines Gespür für Timing, Tonlagen und die Fähigkeit ist, Räume zu öffnen und Resonanz zu ermöglichen.
Von Mirjam Berle, Frankfurt am Main
Budgetzusagen aus dem alten Jahr sind eingefroren oder werden „umgeleitet". Investitionen in Standorte, eben noch vollmundig angekündigt, werden stillschweigend gekürzt – oder ganz gestrichen. Entscheidungen, die als gesetzt galten, verlieren plötzlich ihre Gültigkeit. Wer kennt sie nicht, diese Szenarien – und wahrscheinlich noch viele mehr?
Die Gründe? Vielfältig: neue Führung, veränderte Wirtschaftslage, unsichere Rahmenbedingungen, neue Player, neue Spielregeln. Und plötzlich stehen wir mittendrin: als Kommunikationsverantwortliche, die Worte finden sollen, die Orientierung geben – in einer Lage, die – sagen wir es einmal so – äußerst dynamisch ist. So sind Kommunikationsverantwortliche mitunter gefordert, beispielweise einen Richtungswechsel zu erklären, mit dem sie selbst hadern. Wie gelingt es, konstruktiv auf die neue Situation zu reagieren – ohne Gleichgewicht oder Gesicht zu verlieren? Wie gelingt es, kommunikativ zurückrudern und einen Kurswechsel zu vertreten, ohne dabei im Gegenwind umzufallen?
Gerade in Zeiten wie diesen lohnt es sich, den eigenen Anspruch an glaubwürdige Kommunikation nicht zu senken – sondern zu schärfen. Nicht, weil wir alle Antworten haben. Sondern weil wir wissen, wie man mit Haltung durch Ambivalenz navigiert.
Wenn die Zukunft die Vergangenheit überholt
In einer Welt beschleunigter Veränderungszyklen sind Aussagen von gestern schneller überholt als uns lieb sein kann. Doch wie gehen wir damit um? Wie unterscheiden wir zwischen notwendiger Anpassung und opportunistischer Kehrtwende?
Gerade für uns Kommunikationsprofis ist diese Frage existenziell. Glaubwürdigkeit und Vertrauen sind unsere wichtigste Währung. Wer sich ständig neu ausrichtet – je nach Windrichtung –, läuft Gefahr seinen Standpunkt nicht halten zu können. Doch auch stures Festhalten an überholten Positionen kann Schaden anrichten.
Ich kenne das auch aus eigener Erfahrung: Mit großem Aufwand und viel PR wurde ein Firmenstandort eröffnet – voller Überzeugung, es sei die richtige Entscheidung. Und nach einem Jahr kam die Kehrtwende... der Standort wurde wieder geschlossen. Ich stand vor der Frage: Welcher Deutungsrahmen sichert Glaubwürdigkeit von Unternehmen, Entscheidern und mir als Kommunikatorin?
Kurskorrektur oder Wendehals? Der Unterschied liegt im Wie
Ob ein Richtungswechsel souverän oder beliebig wirkt, entscheidet sich selten an der Entscheidung selbst – sondern fast immer an ihrer Kommunikation. Drei Prinzipien, die uns in der Praxis nicht neu sind, aber gerade in unübersichtlichen Phasen umso mehr Orientierung geben:
- Zunächst wiegt Transparenz schwerer als der Veränderungsgrund. Wer nachvollziehbar macht, weshalb eine Anpassung notwendig ist – auch wenn sie unpopulär ist –, schafft eher Verständnis. Wir wissen: Verschweigen oder Verwässern zahlt sich selten aus. Wer stattdessen einordnet, was sich warum verändert hat, sichert Vertrauen – auch in bewegten Zeiten.
- Auch das Thema Verantwortung statt Schuldverschiebung ist uns vertraut. Natürlich ändern sich Rahmenbedingungen. Aber wenn jede Kurskorrektur reflexhaft mit „äußeren Zwängen" begründet wird, verliert man schnell an Überzeugungskraft. Ein „Da lag ich falsch" – wenn ehrlich und mit Perspektive verbunden – kann Vertrauen stärken. Gerade weil es zeigt: Da denkt jemand weiter.
- Und schließlich: Zukunftsorientierung statt Rechtfertigungsschleifen. Wer nach vorn kommuniziert – lösungsorientiert, prinzipienbasiert und mit Blick auf das übergeordnete Ziel – erspart sich und anderen zermürbende Vergangenheitsdebatten. Auch das ist nichts Neues. Aber in aufgeheizten Situationen eine wohltuende Erinnerung.
Identität im Wandel bewahren
Der kommunikative Wendehals vertritt heute dies, morgen das – je nach Opportunität. Wer dagegen auch im Wandel glaubwürdig bleiben will, braucht ein anderes Fundament: Identität.
Positionen, Fakten, Strategien – all das kann und darf sich verändern. Was bleibt, sind die Werte. Sie bilden den inneren Kompass, der uns auch durch stürmische Phasen trägt. Wer seine Taktik anpasst, ohne die Prinzipien zu verlieren, bleibt integer – und wirkt genau deshalb überzeugend. Da darf auch gern mal kontrovers diskutiert werden, das schärft die eigene Perspektive und öffnet gleichzeitig den Blickwinkel.
Führung begleiten, wenn der Kurs sich ändert
Gerade wenn getroffene Entscheidungen revidiert werden müssen, zeigt sich, wie anspruchsvoll unsere Rolle wirklich ist. Wir gestalten und senden nicht nur Botschaften, wie oft sind wir Sparringspartner – zwischen Haltung und Erwartung, oft auch unter Druck.
Daher kennen wir die Dynamik solcher Situationen: Inhalte ändern sich, aber der Anspruch auf Orientierung bleibt. Wir helfen, Zusammenhänge zu stiften, Wert(e) sichtbar zu machen und neue Argumentationen glaubwürdig einzubetten.
Genau darin liegt doch bei aller Spannung auch der Reiz – besonders jetzt, wo so viel Vertrauen auf dem Spiel steht, helfen wir mit, es zu sichern, wo Entscheidungen ins Rutschen kommen. Und wir ermöglichen, dass Wandel nicht nur erklärt, sondern verstanden werden kann. Und genau darin liegt eine unserer wichtigsten und schwierigsten Aufgaben.
In solchen Momenten zeigt sich, wie wichtig unsere Profession ist: unser Gespür für Timing, unsere Fähigkeit, Tonlagen zu setzen, Räume zu öffnen, Resonanz zu ermöglichen – und all das mit einem feinen Gespür für die Zwischentöne, die entscheiden, ob eine Re-Positionierung als glaubwürdig erlebt wird.
Selbstkommunikation als Brücke zur Beweglichkeit
Bevor wir neue Positionen nach außen vertreten, braucht es den inneren Dialog: Welche meiner Überzeugungen gelten auch in der neuen Situation? Welche lassen sich neu oder umdeuten. Welches langfristige Ziel, welcher übergreifende Rahmen schafft Plausibilität? Wo liegen meine persönlichen Grenzen und wieviel davon bin ich bereit abzugeben?
Diese Reflexion schafft eine Brücke zwischen gestern und heute. Sie hilft, mit Veränderungen umzugehen, ohne sich zu verbiegen – und ist Voraussetzung dafür, dass auch andere uns diesen Wandel abnehmen.
Kommunikatorinnen und Kommunikatoren von heute müssen eher Bambus sein als Eiche – standhaft in den Grundwerten, aber ausreichend beweglich in der Umsetzung. Diese Mischung ist eine der wertvollsten Fähigkeiten unserer Zeit.
Was ich mir selbst damals bei der Standortschließung und danach immer wieder mitgegeben habe: Es geht nicht darum, nie die Richtung zu ändern – sondern darum, den inneren Kompass zu aktivieren, wenn man es tut. Ein bisschen Abstand zum Job tut dafür nicht nur not, sondern auch gut!
Gedanken zum Mitnehmen:
- Haltung statt Hektik: In Zeiten von Kurswechseln wird nicht erwartet, dass wir alle Antworten haben – aber, dass wir Orientierung ermöglichen. Dabei hilft der eigene innere Kompass, der uns durch Ambivalenz führt.
- Verantwortung sichtbar machen: Wer Entscheidungen revidiert, braucht kommunikative Begleitung, die nicht beschönigt – sondern Haltung sichtbar macht. Genau hier liegt unser strategischer Hebel.
- Selbstklärung vor Außenwirkung: Wer sich selbst über Werte, Ziele und Grenzen im Klaren ist, kann Wandel glaubwürdig begleiten – und gegenüber Anspruchsgruppen konsistent kommunizieren.
Über die Autorin: Veränderung ist die ständige Begleiterin von Mirjam Berle. In ihrer über 20-jährigen Karriere hat sie unzählige Transformationsprozesse und Krisensituationen hautnah miterlebt – als Führungskraft und Kommunikatorin. Als Wegbereiterin für Wandel berät und begleitet Mirjam heute Führungskräfte dabei, neue Wege zu erkennen und souverän zu beschreiten.
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