Studien Corona-Kommunikation: Verständlichkeit von Bund und Ländern lässt zu wünschen übrig

Lange Sätze, Schachtelsätze, Wortungetüme und nicht erklärte Fachbegriffe erschweren den Bürgerinnen und Bürgern die Aufnahme von Informationen zur Corona-Pandemie. Das ist das Ergebnis einer gemeinsamen Studie von Kommunikationswissenschaftlern der Universität Hohenheim in Stuttgart und des österreichischen Beratungsunternehmens clavis. Sie haben insgesamt 512 Pressemitteilungen der Bundesregierungen in Deutschland und Österreich sowie 3.541 FAQ-Antworten der deutschen Bundesregierung und der Landesregierungen für die Monate März und April 2020 analysiert.

Die Durchschnittswerte des Hohenheimer Verständlichkeitsindex nach Auswertung von Pressemitteilungen und FAQ-Antworten zum Thema Corona. (Grafik: Universität Hohenheim)

Brettschneider Frank Professor Kom Wissensch Uni Hohenheim klein„In Krisenzeiten suchen Menschen Informationen und Orientierung. Regierungen sollten beides liefern. Und zwar in einer auch für Laien verständlichen Form. Informationen zur Corona-Pandemie und zu den staatlichen Schutzmaßnahmen sollten besonders verständlich sein. Sie sind es aber nicht“, meint Frank Brettschneider (Foto), Professor am Institut für Kommunikationswissenschaften der Universität Hohenheim. Schon mehrfach hat sein Institut in den vergangenen Jahren Untersuchungen zur Verständlichkeit von Partei- und Wahlkampfprogrammen sowie von CEO-Reden angestellt. Jetzt also beschäftigten sich die Forscher mit der Verständlichkeit von Verlautbarungen zum Thema Corona.

Mit Hilfe einer Analyse-Software fahnden die Wissenschaftler unter anderem nach überlangen Sätzen, Fachbegriffen und zusammengesetzten Wörtern. Anhand solcher Merkmale bilden sie den „Hohenheimer Verständlichkeitsindex“ (HIX). Er reicht von 0 (schwer verständlich) bis 20 (leicht verständlich).

Deutsche Bundesregierung kommuniziert relativ unverständlich über Corona

Die Pressemitteilungen der deutschen Bundesministerien sind im Schnitt relativ unverständlich (HIX= 7,1). Etwas verständlicher sind die FAQ-Antworten der Ministerien (HIX= 8,8). In beiden Fällen werde es den Leserinnen und Lesern schwer gemacht, die Informationen aufzunehmen. „Die Verständlichkeit sollte deutlich größer sein. Anzustreben wäre ein Wert von 14“, sagt Brettschneider.

Einige Schlaglichter:

  • Bei den Pressemitteilungen schneidet das Finanzministerium am besten ab (HIX= 10,0). Die letzten Plätze belegen das Verkehrsministerium und das Justizministerium (HIX jeweils unter 5,0).
  • Bei den FAQ-Antworten schneidet das Auswärtige Amt am besten ab (HIX= 15,6), auf Platz 2 folgt das Gesundheitsministerium (HIX= 12,3). Die beiden letzten Plätze belegen das Arbeitsministerium (HIX= 5,8) und das Wirtschaftsministerium (HIX= 6,0).
  • Etwas verständlicher sind die FAQ-Antworten der Landesregierungen in Deutschland (HIX= 9,2). Allerdings reicht die Bandbreite von 6,9 (Sachsen-Anhalt) bis 10,8 (Berlin).
  • Die deutsche Bundesregierung kommuniziert etwas unverständlicher als die österreichische Bundesregierung
  • Die Pressemitteilungen der österreichischen Bundesministerien sind im Schnitt verständlicher (HIX= 8,4) als die Pressemitteilungen der deutschen Bundesministerien (HIX= 7,1).
  • Am besten schneiden in Österreich das Gesundheitsministerium (HIX= 9,8) und das Justizministerium (HIX= 9,5) ab. Den letzten Platz belegt das Ministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus (HIX= 4,9).

Verständlichkeit sollte besser sein

Für Österreich gilt das Gleiche wie für Deutschland: Die Verständlichkeit sollte deutlich größer sein. „Die Bundesregierung hat vieles richtig gemacht in diesen schwierigen Zeiten“, sagt Ulrich Müller, Geschäftsführer der clavis Kommunikationsberatung. Dennoch könne man immer besser werden und aus der Erfahrung lernen.

„Eines der wichtigsten Ziele der Krisenkommunikation ist es, im unsicheren Umfeld Orientierung für alle Beteiligten zu schaffen. Verständliche Kommunikation, Offenheit und Transparenz ersparen oft Kritik danach“, so Müller.

Wenn Menschen das Warum und Wozu verstehen, dann würden sie auch einschränkende Maßnahmen mittragen. Wenn sie hingegen Parteipolitik in der Kommunikation spüren, führe das zu einer Abwehrhaltung.

„In Österreich haben wir gesehen, wie schnell die Regierung von steigenden Zustimmungswerten profitiert hat – aber auch, wie rasch sie wieder an Zustimmung verloren hat.“, sagt Müller.

Thematisch sind in Österreich die Pressemitteilungen zum Themenbereich „Kita, Schule und Uni“ (HIX= 6,7) am unverständlichsten. In Deutschland gilt dies für die Pressemitteilungen im Bereich „Soziales und Alltag“ (HIX= 6,7).

Verstöße gegen Verständlichkeits-Regeln

Die häufigsten Verstöße gegen Verständlichkeits-Regeln sind bei allen untersuchten Text-Arten gleich: Fremdwörter und Fachwörter (die nicht erklärt werden), zusammengesetzte Wörter, lange „Monster- und Bandwurmsätze“.

„Schachtelsätze mit 40 bis 50 Wörtern sind keine Seltenheit“, sagt Kerstin Keller von der Universität Hohenheim. „Dabei gilt: Ein Gedanke, ein Satz“. Oft fänden sich aber vier oder fünf Gedanken in einem Satz, was die Aufnahme der Informationen erschwere. Allerdings: „Die FAQ-Antworten weisen im Vergleich zu den Pressemitteilungen in der Regel kürzere Sätze sowie weniger Schachtelsätze auf“, stellt Kerstin Keller fest.

Neben den langen Sätzen stellen zahlreiche Fremd- und Fachwörter vor allem für Leserinnen und Leser ohne Vorwissen eine große Verständlichkeitshürde dar: „Corona Matching Fazilität“, „Retail Hack“, „E-Card-Foto-Registrierungs-Stellen“, „Helpline“, „Recovery effort“, „Distance learning“, „Repatriierungen“, „respiratorische Erreger“, „asymptomatische Infektion“.

Der „Fluch des Wissens“

„Unverständlichkeit hat viele Gründe“, sagt Brettschneider. „Zeitdruck, Gewöhnung an abstraktes Verwaltungsdeutsch, vor allem aber das eigene Fachwissen von Experten.“ Diesen sei meist gar nicht bewusst, dass die Mehrheit der Bürger ihren Fachjargon nicht verstehe. „Wir nennen das den ‚Fluch des Wissens’“, so der Kommunikationswissenschaftler. Es gebe aber auch Texte, in denen Fachbegriffe beim ersten Auftreten erläutert werden.

Die Präsentation der Studie steht hier auf der Website der Universität Hohenheim zum Download zur Verfügung.

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