Studien Studie: Schlechte Noten für Informations- und Nachrichtenkompetenz der Deutschen

Es steht schlecht um die Informations- und Nachrichtenkompetenz weiter Teile der deutschen Bevölkerung. Das ist das Fazit einer repräsentativen Studie für die deutschsprachige Bevölkerung mit Internetzugang in Deutschland ab 18 Jahren. Die Stiftung Neue Verantwortung e.V., Berlin, hat bundesweit 4.191 Internetnutzerinnen und -nutzer ab 18 Jahren befragt und getestet. Der Test zielte dabei anhand von Fragen und Aufgaben auf das Spektrum der digitalen Nachrichtenkompetenz, also die Fähigkeit zur Navigation in digitalen Medienumgebungen, die Beurteilung der Qualität von Nachrichten und Inhalten, das Prüfen von Informationen, die Diskursfähigkeit sowie Kenntnisse über die Funktionsweise von digitalen Öffentlichkeiten. Es handelt sich nach Angaben der Stiftung Neue Verantwortung um einen der ersten Tests zu Informations- und Nachrichtenkompetenzen einer gesamten Bevölkerung.

Quelle: Studie der Stiftung Neue Verantwortung „Quelle: Internet“? aus dem März 2021

Die wesentlichen Test-Ergebnisse wurden von der Stiftung in acht Themenfeldern zusammengetragen:

1) Unterschiede zwischen Desinformation, Information, Werbung und Meinung

Den Befragten fällt es zum Teil schwer, zwischen verschiedenen Kommunikationsabsichten, das heißt zwischen Werbung, Information, Desinformation und Meinung zu unterscheiden. So hielten 56 Prozent der Befragten ein Advertorial – trotz Werbekennzeichnung – fälschlicherweise für eine Information. Nur 23 Prozent haben richtig erkannt, dass es sich um Werbung handelt. Auch eine Falschinformation auf Facebook bereitete den Befragten Probleme: Sie wurde von lediglich 43 Prozent der Befragten erkannt, während 33 Prozent auch hierin fälschlicherweise eine Information sahen.  Ebenfalls kritisch ist die Unterscheidung zwischen meinungs- und tatsachenorientierten Beiträgen. Hier wird es vor allem bei journalistischen Beiträgen über politische Entscheidungen schwierig. So hielt ein Drittel der Befragten einen Kommentar für eine tatsachenorientierte Berichterstattung – weitere 15 Prozent waren sich hier nicht sicher.

2) Vertrauenswürdige Quellen werden identifiziert, Interessenskonflikte seltener erkannt

Relativ gut waren die Befragten hingegen darin, die Neutralität oder Vertrauenswürdigkeit von Quellen einzuschätzen. Das gelang in verschiedenen Fragen zu mindestens 59 Prozent. Allerdings fällt es – trotz weiterführender Informationen – oft schwer, die konkreten Interessenskonflikte zu benennen. So erkannten 65 Prozent der Befragten, dass der Geschäftsführer eines Flugreisenportals als Autor eines Beitrags zum Thema Fliegen keine neutrale Quelle ist. Doch nur die Hälfte der Befragten konnten auch den konkreten Interessenskonflikt benennen.

3) Social-Media-Plattformen: Kennzeichnungsstrategien zu Desinformationen kaum wirksam

Quer durch die Studie zeigt sich immer wieder, dass Plattform-spezifische Hinweise zum Teil wenig wirksam sind. Ob das Facebook-Label zum Faktencheck einer Falschnachricht oder der Wikipedia-Hinweis auf YouTube zur Finanzierung eines Staatssenders: Maximal ein Viertel der Befragten identifizierte die Markierung als hilfreichen Hinweis bzw. konnte die Information richtig einordnen. 

Ähnliche Probleme zeigen sich auch bei Kennzeichnungen auf Nachrichtenseiten. So erkannten nur sieben Prozent der Befragten den Hinweis auf ein Advertorial als Werbekennzeichnung. Und knapp ein Drittel der Befragten identifizierte die Markierung eines Meinungsbeitrags als “Kolumne” als hilfreichen Hinweis.

4) Menschen zweifeln an Unabhängigkeit des Journalismus von der Politik

Der Gedanke, es gäbe gemeinsamen Machenschaften zwischen Medien und Politik, ist weit verbreitet: Ein Viertel der Bevölkerung teilt “Lügenpresse”-Vorwürfe. 25 Prozent stimmen der Aussage zu, dass Medien und Politik Hand in Hand arbeiten, um die Meinung der Bevölkerung zu manipulieren (weitere 28 % sagen teils/teils). 24 Prozent glauben, dass die Bevölkerung in Deutschland von den Medien systematisch belogen wird (weitere 30 % sagen teils/teils). Nur die Hälfte der Befragten weiß zudem, dass Nachrichten über einen Bundesminister ohne die Genehmigung des Ministeriums veröffentlicht werden dürfen.

Insbesondere die journalistische Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wird falsch eingeschätzt. Nur gut die Hälfte der Befragten konnte korrekt beantworten, dass Bundestagsabgeordnete nicht darüber entscheiden können, worüber der Rundfunk berichtet. Immerhin 22 Prozent glauben hier an eine politische Einflussnahme, weitere 24 Prozent geben hier “ich weiß nicht” an. 35 Prozent der Befragten denken zudem, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk der Staatsministerin für Kultur und Medien unterstellt sei (40 % geben hier “ich weiß nicht” an).

5) Knapp die Hälfte besteht den Test, 22 Prozent der Befragten erreichen hohe Kompetenzwerte

Um eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu ermöglichen, haben die Stiftung für den Test ein Punktesystem entwickelt. Dabei konnten die Befragten maximal 30 Punkte erreichen, wenn sie alle Fragen korrekt beantwortet haben. Erreicht wurden im Durchschnitt 13,3 Punkte und damit weniger als die Hälfte der möglichen Punkte. Dabei liegt ein Drittel der Befragten im Mittelfeld. Nur 22 Prozent erreichen hohe oder sehr hohe Kompetenzwerte und mit 46 Prozent liegen die meisten Befragten im Bereich der (sehr) geringen digitalen Nachrichten- und Informationskompetenz.

6) Jüngere Generationen kompetenter als Ältere – allerdings abhängig vom Bildungsabschluss

Medienkompetenz Deutsche Grafik Alter Stiftung Neue Verantwortung

Auswertung der Ergebnisse nach Alter. Quelle: Studie der Stiftung Neue Verantwortung „Quelle: Internet“? aus dem März 2021

Mit dem Alter sinkt die digitale Nachrichtenkompetenz: Je älter, desto geringer die Kompetenzwerte. Oder umgekehrt: Je jünger, desto kompetenter. Neben dem Alter spielt auch Schulbildung eine zentrale Rolle. Betrachtet man beides zusammen, zeigt sich besonders bei den 18-39-Jährigen, wie relevant der Bildungsgrad für die Nachrichtenkompetenz ist: Besonders nachrichtenkompetent sind die hochgebildeten Befragten zwischen 18 und 39 Jahren, während die am wenigsten nachrichtenkompetenten Befragten Menschen unter 40 mit niedriger Schulbildung sind. Generell gilt quer durch alle Altersgruppen: Je höher die formale Schulbildung, desto höher die Kompetenzwerte und desto höher auch das Vertrauen in Journalismus und Politik.  

7) Digitale Nachrichtenkompetenz hängt mit demokratischer Grundhaltung zusammen

Neben Bildung und Alter steht auch die demokratische Grundhaltung der Befragten in Zusammenhang mit digitaler Nachrichten- und Informationskompetenz. Zu dieser demokratischen Grundhaltung wird in dem Modell die Bereitschaft von Bürger und Bürgerinnen gezählt, sich über Politik zu informieren, die Wertschätzung für unabhängigen Journalismus, ein gewisses Grundvertrauen in Demokratie und Medien sowie die Fähigkeit, auch andere Meinungen zu tolerieren. Menschen die diesen Einstellungen eher ablehnend gegenüberstehen, zeigen auch eine geringere Nachrichten- und Informationskompetenz. 

8) Besonders bei AfD-Anhängern und -anhängerinnen ist digitale Nachrichtenkompetenz niedrig

Anhänger verschiedener Parteien schneiden in unserem Test unterschiedlich gut ab: Die besten Ergebnisse erzielen dabei FDP-Anhänger, dicht gefolgt von den Grünen. Danach folgen Anhänger der Linken und der SPD. Ziemlich genau im Gesamtdurchschnitt liegen die Anhänger der CDU. Abgeschlagen auf dem letzten Platz liegen die AfD-Anhänger. Gerade der große Unterschied zwischen FDP, Grünen und AfD deutet darauf hin, dass an dieser Stelle nicht (nur) die Parteipräferenz entscheidend sein dürfte, sondern Bildung, Alter und/oder grundsätzliche Einstellungen, etwa zu einer vermeintlichen Klüngelei zwischen Medien und Politik, einen Einfluss auf die Nachrichtenkompetenz haben.

Zusammenfassung

Die Gesamtauswertung der Daten zeigt: Internetnutzer verfügen bereits über einige Grundkenntnisse, um nachrichtenkompetent durch ein für viele Menschen vergleichsweise neues Medienumfeld zu navigieren. Doch bleibt die Erkenntnis, dass die Befragten insgesamt in fast allen Kompetenz-Bereichen überwiegend mittelmäßig bis schlecht abgeschnitten haben und es oft an ganz konkreten Kenntnissen und Fähigkeiten fehlt. Die Studienmacher sagen: „Insofern sind die Ergebnisse dieser Erhebung auch kritisch, weil sie zeigen, dass Bürgerinnen und Bürger viel zu lange damit allein gelassen wurden, sich in immer komplexeren Medienumgebungen selbst zurecht zu finden.“

Es braucht bessere digitale Schul- und Erwachsenenbildung

Die systematische Vernachlässigung digitaler Fähigkeiten zeigt sich insbesondere in der Bildungspolitik – hier gibt es dringenden Nachholbedarf in der Schul- ebenso wie in der Erwachsenenbildung. Nach wie vor sind digitale Nachrichten- und Informationskompetenzen nicht systematischer Bestandteil der Lehrpläne. Gerade in den Haupt- und Mittelschulen wurden Dimensionen von Medienkompetenz, die mit politischer Bildung und Vertrauensbildung in journalistisches Arbeiten zusammenhängen, in den vergangenen Jahrzehnten offenbar weitgehend vernachlässigt. Dies ist besonders gefährlich, da junge Menschen mit niedriger Schulbildung nach den vorliegenden Daten die sozio-demografische Gruppe bilden, die die niedrigsten Kompetenzwerte aufweist und zugleich auch ein besonders geringes Vertrauen in Politik und Medien zeigt. Hier könne man noch gar nicht absehen, welche weiteren gesellschaftlichen Konfliktlagen diese Polarisierung nach sich ziehen könne, hieß es im Fazit. 

Die gesamte Studie (143 Seiten) steht hier auf der Website der Stiftung zum Download zur Verfügung.