Branche Krisenkommunikationsgipfel in Köln: Von Geißbock Hennes bis zum Papst
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- von Thomas Dillmann, Bad Honnef
„Wenn Geißbock Hennes seiner Aufgabe als Maskottchen des 1. FC Köln nicht mehr nachkommen kann, gibt es eine Vereinbarung mit dem Kölner Zoo, wie wir verfahren.“ – „Wir mussten einen Krisengipfel im Vatikan erleben, der ohne sichtbaren Erfolg geblieben ist. Dabei ist es für uns als Kirche notwendiger denn je, Glaubwürdigkeit und Vertrauen zurück zu gewinnen.“ Krise ist nicht gleich Krise. Der Krisenkommunikationsgipfel des Krisennavigators – Institut für Krisenforschung am 20. März in Köln offenbarte, wie groß die Spannbreite dessen ist, was eine Krise sein kann. Die Zitate stammen von Tobias Kaufmann, Leiter Medien und Kommunikation beim 1. FC Köln, und Matthias Kopp, dem Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz in Bonn.
Die 29. Ausgabe des Krisenkommunikationsgipfels zog mehr als 180 Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach Köln. Das vollgepackte Programm versprach spannende Einblicke in Krisen und ihre Bewältigung in ganz unterschiedlichen Branchen. Zehn Referenten (unter anderem noch von der Convestro AG, dem DFB, der Nord Stream 2 AG, den Städtischen Kliniken Neuss) und fünf Podiumsteilnehmer schilderten aus Kommunikationssicht wie Unternehmen, Behörden, Verbände und die Politik kritische Situationen erfolgreich bewältigen können.
Eurowings: Kommunikation in einer Ära der Empörung
Gleich zu Beginn gab Eurowings-Kommunikationschef Matthias Eberle Einblicke darin, wie sein Unternehmen mit vermeintlichen oder tatsächlichen Krisen umgeht. Dabei stellte er heraus, dass speziell für die Luftfahrtbranche besondere Herausforderungen für die Krisenkommunikation gelten. Grundsätzlich stehe man bei Presse und Öffentlichkeit immer im Fokus der Aufmerksamkeit, und das bei steigendem medialen Druck. Zudem habe sich die Branche vom Luxus- zum Massentransportmittel gewandelt. Außerdem gelangten heute Beschwerden von Kunden sofort ungefiltert via soziale Medien an die Öffentlichkeit. So erfordere die Digitalisierung eben stets eine sofortige Reaktion. Und all das gewinne zusätzlich an Gewicht, weil man in einer Ära der Empörung lebe.
So schilderte er, wie aus einem Routinemanöver des erneuten Überfliegens eines Flughafens eine „Beinahe-Katastrophe“ wird, wie aus der Verspätung eines von 700 Flügen täglich eine Servicekrise wird und wie einzelne, prominente Fluggäste dem Unternehmen das kommunikative Leben zusätzlich erschweren.
Rollenhandbuch mit klaren Prozessen
All diese Anforderungen bewältigt Eberle mit einem achtköpfigen Team und einem klaren Regelwerk, das erarbeitet wurde. Grundsätzlich gelte, dass man rund um die Uhr auf eine Infrastruktur zurückgreifen könne, die alle notwendigen Prozesse in kürzester Zeit anstoßen können. Für Krisenmanagement, Krisenkommunikation und Krisenprävention gibt es bei Eurowings eine definierte Vorgehensweise. Ein Rollenhandbuch schreibt vor, was wann von wem zu machen ist. Für das Handeln in der Krise, Hilfetools und die Vorbereitung gibt es standardisierte Prozesse, die Eberle andeutungsweise vorstellte.
Um es aber gar nicht erst zu Krisenerscheinungen kommen zu lassen, setzt Eurowings auf ein proaktives Reputationsmanagement, mit dem Vertrauen Richtung Kunden, Medien und weiteren Stakeholdern aufgebaut werden soll. Dazu gehören, Transparenz, Aufklärung durch Fakten, die Förderung von Dialog, eine proaktive Themensetzung und – wie Eberle mehrfach betonte – Menschlichkeit.
Vier „Take aways“
Seinen Zuhörern gab Eberle vier „Take aways“ – so nennt eben der Sprecher eines Luftfahrtunternehmens seine Empfehlungen – mit auf den Weg:
- Allzeit bereit! Ein strukturiertes und routiniertes Krisenmanagement ist die Voraussetzung, um Krisen zu vermeiden und abzuwenden.
- Transparenz, Dialog und Interaktion in Echtzeit beugen Krisen und dauerhaften Reputationsschäden vor.
- Krisenkommunikation sollte immer als Bestandteil der strategischen, integrierten Unternehmenskommunikation betrachtet werden.
- Auch eine funktionierende Krisenkommunikation ist nicht in Stein gemeißelt und sollte kontinuierlich geprüft, gemessen und optimiert werden.
Katholische Kirche: „Wir haben jeden Tag eine Lage!“
Ganz anders gelagert, aber nicht minder relevant für Öffentlichkeit und Medien: die Krise der katholischen Kirche in Deutschland. Seit zehn Jahren versucht Matthias Kopp (Foto unten) in seiner Rolle als Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz in Bonn, ihrer Herr zu werden. Sein Vortrag offenbarte, dass er äußerst engagiert zu Werke geht. Kopp schilderte, womit er es in den vergangenen Jahren zu tun hatte. Kopp: „Wir haben jeden Tag eine Lage!“ Nur anhand der ersten Stichworte wurde schon ersichtlich, wie breit das Themenfeld ist, in dem er sich bewegt, weil Medien und Öffentlichkeit ihn als Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz für alle Themen in die Pflicht nehmen.
Seine Auflistung: „Piusbruderschaft und Holocaustleugnung, Sexueller Missbrauch, Vatileaks und Vatikanbank, Papstrücktritt, Bischof Tebartz-van Elst und Bistum Limburg, Kirchenfinanzen und finanzielle Transparenz, Kirchenaustritte, Akzeptanz- und Glaubwürdigkeitsverlust.“ Doch trotz dieser Übermacht an Problemen ließ Kopp keinerlei Resignation erkennen. Im Gegenteil, Kopp machte eher einen kämpferischen Eindruck. Er gab zwar offen zu, es insbesondere beim Missbrauchsthema mit einer Krise ungeahnten Ausmaßes zu tun zu haben, sein Kampfeswille schien aber ungebrochen.
Persönlicher Einsatz rund um die Uhr
Er beschrieb, wie der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Münchner Kardinal Reinhard Marx, in Rom nach der Konferenz das Gespräch mit Missbrauchsopfern vor Ort suchte – als einziger von 190 Bischöfen. Kopp schilderte, wie er versucht, „talkfähige“ Bischöfe für den Auftritt in verschiedenen Fernsehformaten zu gewinnen, um mit Präsenz und Dialogfähigkeit wenigstens kleine Pluspunkte in der öffentlichen Diskussion zu setzen. Sein persönlicher Einsatz zielt darauf, rund um die Uhr ansprechbar zu sein und Transparenz zu erzeugen. Kopp: „Man kann uns möglicherweise vieles vorhalten, ich will aber nicht hören, dass wir nicht erreichbar waren.“
Auf seiner Wunschliste für die Kommunikation der Kirche steht die Forderung nach mehr Mut: „Wir sollten mit mehr Themen an die Öffentlichkeit gehen, mehr Strategie, Kommunikation und klare Sprache wagen, und auch mehr Werbung. Unsere eigenen Hilfswerke wie die Caritas und Missio geben uns beste Beispiele.“ Strategisch ausgedrückt setzt sich Kopp für sein achtköpfiges Kommunikationsteam zum Ziel: mehr Content, Confidence, Facts, Truth und Real. So will er aus der Steuerungs-, Kommunikations-, Vertrauens-, Veränderungs- und Sach- sowie Ereigniskrise herauskommen.
Heterogene Strukturen fordern Kopp vielfältig
Doch seine Hoffnung darauf dürfte ehrlicherweise beschränkt sein. Führte Kopp doch aus, dass die Bischofskonferenz keinerlei Weisungsrecht für die einzelnen Bistümer hat. So sind die 27 verantwortlichen Bischöfe nur dem Papst gegenüber verpflichtet. Mit eigenen Sprechern und Kommunikationsabteilungen, die teils doppelt so stark besetzt sind wie die der Deutschen Bischofskonferenz, tragen die Bistümer ihre Verantwortung für ihre Kommunikation selbst – immerhin oft in enger Absprache mit der Bischofskonferenz. Erschwerend hinzu kommt für Kopp noch die unabgestimmte Kommunikation, die aus Rom – je nach Thema – auch deutlich nach Deutschland abstrahlt.
Nüchtern betrachtet kämpft Kopp gegen viele Windmühlen, beim Krisenkommunikationsgipfel trat er jedoch als äußerst engagierter Kämpfer für seine Kirche auf, der weit davon entfernt ist aufzustecken.
1. FC Köln: Grenzen der strategischen Kommunikation
Da nehmen sich die Probleme des 1. FC Köln doch recht trivial aus. Tobias Kaufmann, Leiter Medien und Kommunikation beim 1. FC Köln, weiß das und ordnet seinen Vortrag auch wohltuend differenziert ein. Er weiß, dass eine sportliche Krise im Sport- und Unterhaltungsbusiness der Fußball-Bundesliga eine andere Relevanz hat, als die zuvor beschriebenen. Gleichwohl muss Kaufmann bei seiner Arbeit auch zahlreichen Interessengruppen gerecht werden und kommt an die Grenzen einer strategisch abgestimmten Kommunikation, wenn die sportlichen Ergebnisse nicht stimmen, der Trainer plötzlich entlassen wird, die Fans verrückt spielen oder ein Spieler beim Torjubel Geißbock Hennes bei den Hörnern packt.
„Der 1. FC Köln hat mit seinen 1,2 Millionen Fans, 106.000 Vereinsmitgliedern, 25.000 Dauerkartenbesitzern, seinen Partnern und Sponsoren, den berichtenden Medien und den Netzwerken wie Polizei und Sanitätsorganisationen eine solche Relevanz in der Stadt, dass sich jede Kleinigkeit zum großen Medienthema oder gar zur Krise auswachsen kann“, erklärte Kaufmann. Das wisse man und wolle im Rahmen der Möglichkeiten eine zielorientierte Kommunikation leisten, die zumindest größere Krisen verhindert.
Preis für selbstironische Onlinekommunikation
Als Beispiel stellte Kaufmann eine vom 1. FC Köln selbst konzipierte und umgesetzte Online-Kampagne vor, die im Abstiegsjahr 2018 mit dem Deutschen Preis für Online-Kommunikation ausgezeichnet wurde. Unter dem Titel „Durch et Füer“ hatten die Verantwortlichen eine teils selbstironische, teils kämpferische Kampagne aufgesetzt, der selbst die sportlichen Gegner Respekt zollten.
Fazit: Anregungen und Impulse für die eigene Arbeit
In dieser Tiefe gaben auch die weiteren Referentinnen und Referenten Einblicke in ihre Arbeit und ihre Art der Krisenprävention und -bewältigung. Für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer war sicher nicht alles neu, aber wer sich mit Kommunikationskrisen auseinandersetzt, für den dürften bei den vielen unterschiedlichen Beiträgen Anregungen oder Impulse für die eigene Arbeit dabei gewesen sein. Und für die, die nicht dabei waren: der nächste Krisenkommunikationsgipfel kommt bestimmt.
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