Branche AI & Comms "Wer Angst hat, sollte das als Antrieb nutzen, sich mit KI zu beschäftigen"
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- von Max Ziche, Berlin
Klar ist: Unternehmen müssen aktiv werden – mit neuen Content-Strategien, cleverem Brand-Building und einer klaren Sichtbarkeitsstrategie für SEO und GEO. Doch KI verändert nicht nur, wie Unternehmen extern sichtbar werden, sondern auch, wie wir intern arbeiten. Gerade in Kommunikationsabteilungen sind viele Prozesse repetitiv und zeitaufwändig und birgt entsprechend Potenzial für KI, wie wir im Gespräch mit Sandra Overlack, Gründerin von Examined.systems erfahren.
PR-Journal: Sandra, auf LinkedIn liest man oft: „KI wird uns Menschen helfen, uns in der PR-Arbeit effizienter zu machen, aber sie wird keine Jobs ersetzen.“ Stimmt das?
Sandra Overlack: Es gibt leider keine allgemeingültige Antwort. KI treibt die industrielle Revolution für kognitive und kommunikative Arbeit. Was Roboter für körperliche Jobs waren, ist Künstliche Intelligenz für Wissensarbeit. Rollen werden heruntergebrochen in Arbeitsschritte. Diese Schritte werden auf Menschen und Maschinen verteilt, je nachdem, wer bzw. was wo besser ist. Menschliche Rollen werden sich anders zusammensetzen und Arbeitsweisen in Kollaboration mit KI sich verändern.
PR-Arbeit umfasst viel strategisches Denken und Beziehungsarbeit. Wenn repetitive Arbeit abgenommen wird, wird mehr Zeit für qualitative und strategische Arbeit frei. Davon gibt es in PR-Teams in der Regel genug, zu dem man sonst nicht kommt. Dennoch muss man ehrlich sein: Sehr spezialisierte Rollen ohne Aufgabenvielfalt, viele juniore Positionen und Rollen mit vielen repetitiven “einfachen” Tätigkeiten werden in 10 Jahren sicher anders abgebildet.
PR-Journal: Lass uns mal schauen, was aktuell konkret geht – am besten entlang typischer repetitiver Prozesse: z. B. Texte schreiben, Medien-Monitoring, Reporting. Wie schnell werden sich die KI-Fähigkeiten wirklich weiterentwickeln? Was glaubst du, wie unsere Arbeit im Sommer 2026 aussehen wird?
Overlack: Ich sehe drei Kernentwicklungen: Erstens die Autonomisierung von Prozessen – KI-Agenten werden zu digitalen Kolleg:innen, d.h. KI-Agentensysteme übernehmen ganze Aufgabenketten und können autonom Entscheidungen treffen und Aufgaben erfüllen. Zweitens mehr datengetriebenes Arbeiten – KI ermöglicht Analysen. Und drittens leistungsfähigere Tools – Menschen nutzen KI-Tools.
2026 wird es wahrscheinlich normal sein, Aufgaben an Agenten auszulagern, so wie man heute Services an Agenturen auslagert. Parallel werden Unternehmen eigene Agenten entlang ihrer Prozesse bauen. Das wird sicher auch bedeuten, dass einige PR-Teams ihr Team gezielt durch Agenten ergänzen, anstatt auf eine Agentur zurückzugreifen.
Für PR-Prozesse könnte das konkret heißen: Texte wie Pressemitteilungen werden proaktiv von einem KI-Agenten entworfen, der die Informationen über ein Meeting-Transkript bekommt und den Entwurf per Mail liefert. Dabei analysiert das System Beispiele und Reichweiten vergangener Pressemitteilungen und optimiert datengetrieben. Zuletzt hat der Mensch bei der Feinbearbeitung noch ein KI-Tool, das Grammatik prüft oder bei der Übersetzung hilft. Das Gleiche gilt für viele andere Prozesse. Reporting-Agenten können ganze KPI-Dashboards inklusive Visualisierungen erstellen und das Medien-Monitoring samt Sentimentanalyse und Themen-Alerts automatisch laufen und vieles mehr.
PR-Journal: Was sollte ich als Kommunikationsverantwortlicher jetzt konkret tun? Eigene Systeme aufbauen? Bestehende Tools testen und implementieren? Oder lieber noch abwarten?
Overlack: Wer wartet, verliert Lernkurvenvorsprung. Daher: Nicht abwarten, sondern ins Machen kommen, aber systematisch. Wichtig ist, Tool-FOMO nicht nachzugeben. Es geht bei KI nicht um Tools, sondern um Arbeitsschritte. Wer jetzt auf stabile Prozesse, saubere Daten und trainierte Teams setzt, gewinnt.
Für Teams oder Führungskräfte rate ich, in drei Bereiche zu unterteilen:
- Magie raus, Meister rein: Teams sollten die Technologie hinter KI, ihre Stärken und Grenzen verstehen und wie diese die eigenen Aufgaben verändern könnte. Und Prompting und Prozessdenken lernen.
- Applikationen & Assistenten: Unternehmen müssen offizielle Plattformen für Chatassistenten wie ChatGPT, Copilot oder Gemini stellen. Darüber hinaus sollte jedes Team seine Prozesse kartieren und entsprechende Tools auswählen.
- Potenziale & Piloten: Macht als Team einen Workshop zu ineffizienten Prozessen und KI Potentialen. Eines der Teammitglieder wird KI-Expert oder ihr setzt auf externe Unterstützung, die validiert. Sucht dann ein langfristig wichtiges Projekt und zwei bis drei “low hanging fruits” aus und sammelt in schnellen Iterationen Erfolgserlebnisse.
Zwei zusätzliche Dinge, die oft vergessen werden:Sammelt Daten und dokumentiert Prozesse systematisch, sofern noch nicht passiert. Und denkt Governance früh mit. Es müssen klare Regeln definiert werden: Welche Daten dürfen in KI-Tools fließen? Wie wird Transparenz gegenüber Stakeholdern hergestellt? Usw.
PR-Journal: Wie sieht der PR-Job in der Zukunft aus? Werden wir in PR-Abteilungen künftig schlanker besetzt sein oder verschieben sich einfach nur die Rollen? Und welche Skills werden künftig gebraucht?
Overlack: Beim Menschen werden mehr Strategie, Qualitätssicherung, kontextuelle Einordnung und Beziehung und Kommunikation liegen. Aufgaben, die rein auf Exekution, Analyse und Routine basieren, reduzieren sich. Entscheidungen werden auf Daten statt Bauchgefühl basieren.
Aber wir dürfen uns nichts vormachen: Das wird in sehr großen Teams mit sehr spezialisierten Rollen sicher auch zu Stellenabbau führen. Parallel werden neue Rollen und Bedarf für neue Fähigkeiten entstehen. Dazu gehört, wie angesprochen, System- und Prozessverständnis, Prompt-Engineering usw. Die wichtigsten Kompetenzen werden wohl Metakompetenzen, also Resilienz, Lern- und Verlernkompetenz. Vieles verändert sich so schnell, dass wir uns dynamisch anpassen müssen. Im Team wird Change- und Führungsfähigkeit sowie Ethik- und Governance-Kompetenz immer wichtiger. Wir brauchen Menschen, die über Standards diskutieren und entscheiden können – in Sachen Moral, Strategie und Qualität. Das kann KI nicht.
PR-Journal: Das klingt nach einem Paradigmen-Wechsel in der Ausbildung.
Overlack: Ich bin überzeugt, dass wir Ausbildung dringend neu denken müssen, und hoffe, dass Unternehmen strategisch in junge Mitarbeitende investieren.
PR-Journal: Was sagst du Kommunikationsmenschen, die befürchten, von KI verdrängt zu werden?
Overlack: Ganz ehrlich: Angst entsteht aus Macht- und Planlosigkeit. Wer Angst hat, sollte das als Antrieb nutzen, sich mit KI zu beschäftigen und mitzugestalten. Wer gestaltet, wird gebraucht. Das gilt für Unternehmen und die Gesellschaft.
Über den Autor: Maximilian Ziche ist Co-Founder von getpress und beschäftigt sich seit über zehn Jahren damit, PR neu zu denken: datengetrieben, journalistisch und konsequent ergebnisorientiert. Sein persönlicher Fokus liegt auf modernen, KI gestützten Prozessen und Workflows, die Kommunikation effizienter, messbarer und wirksamer machen.
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