Branche KommForum: "Gute PR ist eine Gefahr für den Journalismus"

Die Öffentlichkeitsarbeit der deutschen Unternehmen ist besser denn je. Experten auf dem 1. Süddeutschen Kommunikations-Forum sehen Gefahr für deutsche Kommunikationskultur.
PR-Mitteilungen sind so gut geworden, dass viele Redakteure daran nichts mehr verbessern müssen – und sie eins zu eins in Blatt übernehmen können. Journalisten machten sich damit zum verlängerten Arm von Unternehmen und lieferten ihre Leser interessensgesteuerten Informationen aus. Das ist ein Fazit, das Journalisten, Unternehmer und Politiker auf dem 1. Süddeutschen Kommunikations-Forum am 3. März in Stuttgart zogen. Fachleute wie Hans Werner Kilz, Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, Professor Dr. Michael Haller, Lehrstuhlinhaber für Journalistik an der Universität Leipzig, Hermann-Josef Tenhagen, Chefredakteur Finanztest und Theo Stepp, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit der Weleda AG, diskutierten vor rund 180 Forumsteilnehmern, ob den Medien noch zu trauen sei.

"30 Prozent der Stichproben von Print-Medien sind Ein-Quellen-Texte“, konstatierte Haller. "Dies trifft auch auf
Regionalzeitungen zu. Das macht nachdenklich, gerade weil diese personell noch gut ausgestattet sind.“ Trotzdem nehme
die journalistische Qualität ab. Dies zeige sich auch beim Rechercheverhalten: Wenn recherchiert wird, dann per Internet. "Google-Journalismus“ taufte Judith von Gordon-Weichelt, Sprecherin des Pharma-Konzerns Boehringer Ingelheim, dieses Phänomen.

Auch Süddeutsche-Chefredakteur Kilz warnte davor, die Grenzen zwischen objektiver und interessensgesteuerter Information zu verwischen. "Die Distanz ist existenziell, aber schwer aufrecht zu erhalten. Die Zahl der Journalisten
nimmt kontinuierlich ab; die der gut ausgebildeten PR-Leute mit journalistischer Erfahrung steigt rapide.“ Nicht nur der wirtschaftliche Druck mache die Journalisten anfällig für die Übernahme von PR-Botschaften. Prof. Stephan Ferdinand,
Studiengangleiter Medienwirtschaft an der Hochschule der Medien in Stuttgart, erläuterte: "Journalisten sind eitel.
Oft lassen sich junge Kollegen davon beeindrucken, zum ‚inner circle’ zu gehören. Da geht die nötige Distanz
schnell flöten.“

Einig waren sich die Referenten, dass Zeitschriften und Zeitungen nur überleben, wenn sie unabhängige Leistung bringen. "Verleger müssen wieder ein publizistisches Bewusstsein entwickeln. Und lernen, dass man nicht ausgerechnet an einer guten Redaktion sparen sollte“, sagte Finanztest-Chefredakteur Tenhagen. Auch die Unternehmen trügen die Verantwortung für eine freie, unabhängige Presse und sollten die Professionalität von Journalisten anerkennen. "Man kann als Privatmensch nicht die FAZ wegen ihrer journalistischen Qualität schätzen, aber dann als Unternehmer darauf drängen, dort auf der ersten Seite mit einem Jubelartikel über die eigene Firma zu erscheinen“, sagte Weleda-Pressesprecher Stepp.

Die Veranstaltung wurde von der Stuttgarter Agentur WortFreunde Kommunikation gemeinsam mit der Hochschule der
Medien Stuttgart organisiert und stand unter dem Motto "Vertrauen schaffen. Wie wir morgen miteinander reden
werden.“
In sechs Marktbuden diskutierten 40 Referenten über Trends und Entwicklungen in der Kommunikation. Das 2. Süddeutsche Kommunikations-Forum wird am 2. März 2006 in Stuttgart stattfinden. Das Thema wird sein: "Was sind uns unsere Werte wert?"

Quelle: Bericht von WortFreunde, Andrea Richter

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