Verbände KI für Demokratie „Wir dürfen die Kommunikation nicht den Extremisten überlassen“
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- von Annett Bergk, Hamburg
Rechte Netzwerke unterwandern mit strategischer Kommunikation zunehmend den öffentlichen Diskurs. Oft digital orchestriert, algorithmisch verstärkt und kaum greifbar. Jörg Forthmann, Geschäftsführer der Agentur Faktenkontor, will dem etwas entgegensetzen. Gemeinsam mit einem breiten Bündnis hat er die Initiative „KI für Demokratie“ gegründet. Im Gespräch erklärt er, wie die Plattform funktioniert, was Kommunikation dagegen tun kann und warum Haltung heute wichtiger ist als Reichweite.

PR-Journal: Herr Forthmann, wie kamen Sie als Kommunikationsberater dazu, sich mit Rechtsextremismus und digitalen Desinformationskampagnen zu beschäftigen?
Jörg Forthmann: Der Auslöser war persönlich und politisch. Im Frühjahr 2024 bin ich wie viele andere auf die Straße gegangen, um gegen den zunehmenden Einfluss rechtsextremer Netzwerke zu demonstrieren. Aber ich habe mich gefragt: Reicht das? Kann man als Demokrat:in – und als jemand, der Kommunikation versteht – nicht mehr tun als Plakate hochhalten?
Kann man als Demokrat:in nicht mehr tun als Plakate hochhalten?
PR-Journal: Sie wollten nicht nur Haltung zeigen, sondern Strukturen sichtbar machen?
Forthmann: Richtig. Denn was da passiert, ist aus meiner Sicht tiefgreifend demokratiegefährdend. Desinformation, Hass, Manipulation – das alles geschieht oft anonym, strategisch und im Halbschatten des Internets. Und das ist gefährlich: Wenn wir nicht wissen, wer wie kommuniziert, können wir auch nicht widersprechen. Intransparenz macht wehrlos.
Also haben wir gesagt: Wir machen das sichtbar. Wir bauen ein System, das rechte Narrative und Netzwerke identifiziert, und zwar mit den Mitteln, die wir beherrschen: Analyse, Daten, KI und Kommunikation.
PR-Journal: Und aus dieser Idee ist dann „KI für Demokratie“ entstanden?
Forthmann: Ja. Innerhalb kurzer Zeit haben sich über hundert Unterstützer:innen gefunden – Führungskräfte aus der Wirtschaft, Forscher:innen, IT-Expert:innen. Gemeinsam haben wir den Verein gegründet und ein mächtiges technisches System aufgebaut. Die Plattform analysiert täglich große Mengen öffentlicher Beiträge aus sozialen Medien und Nachrichtenportalen. Mithilfe von KI identifizieren wir rechte Inhalte, ihre Verfasser:innen, ihre Netzwerke – und die dahinterliegenden Narrative.
Diese Themen sind nicht zufällig erfolgreich, sie werden gezielt in den Algorithmus gespeist, um Reichweite zu erzeugen.
PR-Journal: Wie genau funktioniert das? Was analysiert die KI?
Forthmann: Wir beginnen mit Begriffen, Themenfeldern, Formulierungen, die in solchen Kreisen typisch sind. Unsere Systeme crawlen öffentliche Inhalte, clustern sie thematisch, werten sie aus. Aber wir schauen nicht nur auf den Inhalt, sondern auch auf die Struktur: Wer verbreitet was? Wie stark sind die Akteur:innen vernetzt? Welche Accounts sorgen für Sichtbarkeit und welche sprechen nur über diese Themen?
Am Ende haben wir ein Netzwerkbild. Und wir wissen: Diese Themen sind nicht zufällig erfolgreich, sie werden gezielt in den Algorithmus gespeist, um Reichweite zu erzeugen.
PR-Journal: Das klingt nach einer Art Frühwarnsystem für gesellschaftliche Diskursverschiebung.
Forthmann: Das ist es auch. Und das ist der Teil, der für Kommunikator:innen besonders wichtig ist. Viele Unternehmen, NGOs oder Behörden sehen toxische Narrative oft zu spät. Wenn wir früher erkennen, welche Themen gerade aus dem rechten Spektrum in den Diskurs gedrückt werden, können wir gezielter, strategischer und differenzierter reagieren.
PR-Journal: Gibt es bereits Kooperationen mit Pressestellen oder Kommunikationsabteilungen?
Forthmann: Wir sind im Gespräch mit verschiedenen Stellen und offen für Pilotprojekte. Wichtig ist: Unsere Plattform ist keine öffentliche Pranger-Maschine. Wir arbeiten mit sensiblen Daten. Die Analysen sind professionellen Recherchezwecken vorbehalten – Journalist:innen, Kommunikationsverantwortlichen, Demokratieschutz-Initiativen.
Dabei ist uns auch die rechtliche Verantwortung bewusst. Wann ist jemand extremistisch? Nach einem einzigen Beitrag? Nach zehn? Und was ist mit Ironie, Satire? Unsere KI liefert Hinweise, keine Urteile. Die menschliche Einordnung bleibt zentral.
PR-Journal: Nicht nur reagieren, sondern agieren. Und nicht erst dann, wenn der Shitstorm schon tobt. Das ist ein hoher Anspruch. Ist das in der Agenturwelt durchsetzbar?
Forthmann: Es braucht Rückgrat. Ich weiß, dass sich nicht alle trauen, sich so klar zu positionieren. Aber ich glaube, wir dürfen die Kommunikation nicht den Extremisten überlassen. Wenn wir nicht mit Haltung und Wissen kommunizieren, füllen andere diese Lücke. Mit Wut, Hass und Lügen.
Es braucht Rückgrat.
PR-Journal: Was ist für Sie das langfristige Ziel von „KI für Demokratie“?
Forthmann: Ganz klar: Transparenz. Wir wollen, dass sich die Demokratie wehren kann. Und wir wollen dazu beitragen, dass Kommunikation wieder das wird, was sie sein sollte: ein Werkzeug der Aufklärung und nicht der Spaltung. Wenn wir das erreichen, haben wir als Kommunikationsprofis etwas wirklich Relevantes getan.
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