Verbände dasBUUSENKOLLEKTIV e.V. „Wir können leben, lieben, arbeiten, lachen – auch mit Krebs“

Jedes Jahr erkranken in Deutschland rund 70.000 Frauen neu an Brustkrebs. Der Oktober will als „Pinktober“ Bewusstsein schaffen. Doch zwischen pinken Schleifen und Spendenaktionen droht der eigentliche Kern zu verblassen: Wie fühlt sich Leben mit Brustkrebs wirklich an? Charlotte Lisador, Head of Public Relations bei dasBUUSENKOLLEKTIV e.V., über den Versuch, Tabus zu brechen – laut, frech und ohne Mitleid.

Charlotte Lisador ist seit 2023 ehrenamtlich Head of Public Relations bei dasBUUSENKOLLEKTIV. (Foto: Candida Heinrich-Piras)

PR-Journal: Frau Lisador, Sie sagen, „laut, frech, wild“ sei Ihr Motto. Warum diese Tonalität?

Charlotte Lisador: Weil wir auffallen müssen, um gehört zu werden. Brustkrebs betrifft längst nicht nur Frauen über 60 – immer mehr bekommen die Diagnose mit Anfang oder Mitte 30. Trotzdem wird unsere Realität kaum gesehen. „Laut, frech, wild“ ist unsere Antwort darauf. Wir wollen zeigen: Wir können leben, lieben, arbeiten, lachen – auch mit Krebs. Wir wollen, dass die Gesellschaft uns wahrnimmt mit all unseren Traumata und Bedürfnissen, aber ohne uns zu bemitleiden oder zu stigmatisieren. 

PR-Journal: Sie sprechen von Realität – was genau fehlt Ihnen in der öffentlichen Wahrnehmung?

Lisador: Zum Beispiel das Leben mit Metastasen. Viele denken, Metastasierung bedeutet automatisch Sterben. Dabei leben viele Frauen über Jahre mit der Erkrankung. Sie brauchen keine Vertröstung, sondern Teilhabe und Sichtbarkeit. Und generell gilt: Frauengesundheit ist ein strukturell unterschätztes Thema. Sie bekommt weder in der Medizin noch in der Politik die Aufmerksamkeit, die sie verdient.

Frauengesundheit ist ein strukturell unterschätztes Thema. Sie bekommt weder in der Medizin noch in der Politik die Aufmerksamkeit, die sie verdient.

PR-Journal: Sie betonen oft, wie wichtig Sprache ist. Was meinen Sie damit genau?

Lisador: Sprache kann Mut machen oder verletzen. Wir hören oft gut gemeinte Sätze wie: „Mit Brustkrebs hast du ja noch Glück gehabt.“ Solche Floskeln sind schwer auszuhalten. Wir sind keine Heldinnen und keine Opfer. Wir sind Menschen mit Angst, Wut, Hoffnung und Humor. Wir wollen nicht nur überleben – wir wollen leben. Wenn wir ehrlich sprechen, entsteht Nähe. Wenn wir floskelhaft reden, entsteht Distanz.

PR-Journal: DasBUUSENKOLLEKTIV fällt mit ungewöhnlichen Projekten auf – „TittieTints“, „Touch My Cancer“, „Shine and Share“ … Was bewirken diese Formate?

Lisador: Unsere Projekte brechen Tabus, sind laut, direkt und echt. Bei den „Tittie-Tints“ bemalen Frauen ihren Oberkörper und machen dann Abdrücke auf Leinwände. Wir verstehen das als kreative Auseinandersetzung mit dem nach OPs, Chemo, Antihormontherapien grundlegend veränderten Körper. Das ist kein Gag, sondern ein Akt der Selbstakzeptanz: Narben als Zeichen dessen, was der Körper geschafft hat. Und bei „Shine and Share“ öffnen wir geschützte Räume für Frauen vor einer Operation. Sie können sich verschiedene OP-Ergebnisse anschauen an Frauen, die diesen Weg bereits gegangen sind. Es geht um Ehrlichkeit, um Aufklärung auf Augenhöhe. Wenn wir darüber reden, therapieren wir uns und andere.

Es geht um Ehrlichkeit, um Aufklärung auf Augenhöhe.

PRJournal TouchMyCancer
Die #TouchMyCancer-Kampagne ist ein emotionales und einzigartiges Projekt, das die Früherkennung von Brustkrebs in den Fokus rückt. Die Kampagne wurde in enger Zusammenarbeit der Patientenorganisation yeswecan!cer und der Selbsthilfe-Gruppe dasBuusenkollektiv ins Leben gerufen und dank der Unterstützung von Estée Lauder ermöglicht. (Foto: dasBUUSENKOLLEKTIV)

PR-Journal: Das klingt nach sehr viel Offenheit. Wie reagiert die medizinische Community darauf?

Lisador: Überwiegend positiv. Viele Ärztinnen und Ärzte unterstützen uns, einige begleiten uns fachlich. Natürlich gibt es auch Vorbehalte. Manche fürchten, ehrliche Bilder könnten Patientinnen verunsichern. Aber genau da beginnt das Problem: Aufklärung muss ehrlich sein, sonst bleibt sie entmündigend. Wir brauchen mehr Patientinnenperspektive – in der Kommunikation, in der Nachsorge, in den Leitlinien. Über Narbenpflege, Regeneration oder Physiotherapie wird kaum gesprochen. Das müssen wir ändern.

PR-Journal: Kommen wir zum Oktober selbst. Zwischen Aufmerksamkeit und Aktionismus: Wie blicken Sie auf den diesjährigen „Pinktober“ zurück?

Lisador: Wir nutzen ihn, um unsere Mission sichtbar zu machen. Aber wir sehen auch die Schattenseiten. Wenn Unternehmen 0,01 Cent pro Flasche spenden und den Rest als Marketing verbuchen, ist das kein Engagement, sondern Symbolpolitik. Wer Brustkrebs kommuniziert, sollte das verantwortungsvoll tun – transparent, mit echtem Beitrag. Jede ernst gemeinte Initiative ist willkommen. Aber Pink darf kein Feigenblatt sein.

PR-Journal: Sie bringen Ihre Themen inzwischen auch in Unternehmen – mit Workshops und Masterclasses. Warum dieser Ansatz?

Lisador: Weil Arbeit ein zentraler Lebensort ist. In unseren Masterclasses zeigen wir, wie man die eigene Brust richtig abtastet, worauf man achten sollte und warum Selbstwahrnehmung der erste Schritt zur Früherkennung ist. Wenn Unternehmen solche Formate in ihr Betriebliches Gesundheitsmanagement integrieren, wird Aufklärung Teil des Alltags. Und genau dahin gehört sie.

Wenn Unternehmen solche Formate in ihr Betriebliches Gesundheitsmanagement integrieren, wird Aufklärung Teil des Alltags.

PR-Journal: Was wünschen Sie sich für die Zukunft? Gesellschaftlich, aber auch für Ihre Arbeit?

Lisador: Mehr Offenheit. Mehr Ehrlichkeit. Und den Mut, über Brustkrebs zu sprechen, ohne zu beschönigen oder zu dramatisieren. Wenn durch unsere Arbeit eine Frau früher zur Vorsorge geht, haben wir schon etwas erreicht. Aber eigentlich geht es um mehr: darum, das Leben mit all seinen Spuren sichtbar zu machen. Nicht trotz, sondern mit Krebs.

dasBUUSENKOLLEKTIV e. V. ist ein gemeinnütziger Verein von Betroffenen für Betroffene, der sich für einen neuen, revolutionären Umgang mit Brustkrebs einsetzt. Der Verein bietet verschiedene Angebote und Projekte an, die zur Lebensqualität und zu mehr Selbstbewusstsein von Betroffenen beitragen sollen. Auch BGM Maßnahmen, wie Masterclasses in Unternehmen werden regelmäßig angeboten. Interessierte können sich dazu an den Vorstand des Vereins wenden. 

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