Social Media Quo vadis X?

Twitter ist Geschichte. Elon Musk hat mit der Umbenennung in X Fakten geschaffen. Statt „Tweets“ setzen die Nutzerinnen und Nutzer nun „Posts“ ab. War es das an Veränderung? Keinesfalls! Elon Musk will aus dem Kurznachrichtendienst eine Art „Alles-App“ nach dem Vorbild von WeChat machen. Die Reaktionen auf den radikalen Schnitt fallen unterschiedlich aus. Die einen fürchten, dass eine der wichtigsten Plattformen zum Austausch zwischen Journalisten, politischen Entscheidungsträgern und PR-Leuten verloren geht, die anderen sehen Musks Move als einen genialen Schachzug.

Wird der Sinkflug des Twitter-Vogels zum Höhenflug von X? (Abbildung: Twitter / X)

Beginnen wir mit denen, die zumindest ein Fragezeichen hinter die These setzen, es handele sich um eine irrationale Ego-Entscheidung Musks und einen der historisch schnellsten Niedergänge einer Marke. Das „Manager Magazin“ hat dazu mit Jürgen Gietl, Managing Partner der Beratungsfirma Brand Trust, gesprochen. Der sagt, der Schritt Musks irritiere nur auf den ersten Blick. Gietl, der als Experte für Technologiemarken vorgestellt wird, hält den Abschied der bekannten Marke für durchaus nachvollziehbar: „Aus wirtschaftlicher Sicht verstehe ich die Entscheidung. Nur Bekanntheit reicht manchmal nicht aus, um auch wirtschaftlich erfolgreich zu sein."

Profitables Geschäftsmodell ist das Ziel

Bislang hätten nämlich Musk und auch das ehemalige Management kein profitables Geschäftsmodell mit der Marke Twitter und der Plattform für Kurznachrichten gefunden, argumentiert Gietl. Offensichtlich komme Musk unternehmerisch nicht weiter, so sei es nur konsequent einen Schlussstrich zu ziehen – auch wenn mehr als 15 Jahre lang viel in die Marke investiert wurde.

Der Wert der Marke, so erläutert Gietl im „Manager Magazin“, liege eigentlich im direkten Kontakt zu den Nutzern. Und diese Nutzerbeziehung sei sehr viel wert und werde auch fortbestehen. Twitter hatte im Januar 2023 etwas mehr als 550 Millionen aktive Nutzer. Bei Facebook sind es annährend drei Milliarden, bei Instagram zwei Milliarden.

„Eine Art App für alles“

Wie Musk bereits in der vergangenen Woche erklärt hat, will er aus Twitter „eine Art App für alles machen.“ Die neue Twitter-Chefin Linda Yaccarino erläuterte: „Basierend auf Audio, Video, Nachrichten, Banking erschaffen wir einen globalen Marktplatz für Ideen, Waren, Dienstleistungen und Möglichkeiten." Diese App solle alles vereinen, was im Westen über einzelne Dienste läuft: Uber, Booking.com, Lieferando, Paypal, etc.

Gietl schließt daraus, dass die Positionierung der Marke Twitter für diese Pläne zu eng sei. Es biete sich eine Marke mit mehr Wertschöpfungspotential an. Gietl weiter im „Manager Magazin“: „Jetzt eine Marke darauf zu setzten, die eben nicht auf Kurznachrichten beschränkt ist, sondern mit der das Unternehmen mehr vorhat, das ist aus meiner Sicht ein genialer Schachzug", sagt der Berater. Letztendlich entstehe ein modernes Imperium, das Medien, Handel, Raumfahrt, Mobilität in einem Markensystem verbinde.

Aufbruchstimmung verebbt

Doch laut „Handelsblatt“ will die von Musk und Yaccarino verbreitete Aufbruchstimmung nicht ganz zu den Schlagzeilen der vergangenen Tage passen. Verärgerte Nutzer, abspenstige Werbekunden, unsichere Zukunft. Schon bringt sich die Konkurrenz in Stellung, um die Schwäche von X auszunutzen. Noch ist aber nicht ausgemacht, wer die Herzen der Nutzer gewinnt.

Schaden für die Debattenkultur?

Bei allen ökonomischen und markenstrategischen Überlegungen ist damit aber noch nicht klar, welche Auswirkungen die Ausweitung der Geschäftsidee auf die Kommunikationsplattform haben wird. Schadet es der Debattenkultur in Deutschland und weltweit tatsächlich, wenn der Kurznachrichtendienst künftig nicht mehr ausschließlich nur der Kommunikation und dem Austausch dient, sondern auch Werbe- und Verkaufsplattform für die Produkte aus dem X-Universum sind?

Die Ursprungsidee war geradezu idealistisch: Einst wurden Twitter und Co. dafür gefeiert, endlich Meinungsfreiheit zu ermöglichen. Das urdemokratische Prinzip der Redefreiheit und Gleichbehandlung jeder Einzelnen und jedes Einzelnen, sich frei und unabhängig äußern zu können, wurde gepriesen. Die Gatekeeper-Funktion des Journalismus sei überwunden, jetzt existiere grenzenlose Meinungsfreiheit.

Die Nutzerinnen und Nutzer entscheiden

Mit dem Abflauen der Anfangseuphorie stellte sich schon bald Ernüchterung ein. Hate Speech, Fake News, Zuspitzungen und verzerrende Verkürzungen ließen den Ruf nach Community-Regeln und ihrer Durchsetzung lauter werden. In Zeiten einer zunehmenden Empörungskultur und wachsenden gesellschaftlichen Spannungen stieg die Gefahr des Missbrauchs. Account-Sperrungen wie vom ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump sollten Abhilfe schaffen, erzeugten aber endlose Diskussionen darüber, inwieweit Privatunternehmen über zulässige und unzulässige Beiträge befinden könnten.

Zumindest in Europa wurde der Ruf nach mehr Kontrolle und staatlicher Regulierung lauter. Gleichwohl lieferten Tweets bei Twitter oder Posts bei Facebook teilweise wichtige Debattenbeiträge, manchmal waren sie sogar Ausgangspunkt für gesellschaftliche Umwälzungen, man denke nur an den Hashtag #metoo. Schadet die Neuausrichtung von X also der Gesellschaft, mindestens der Kommunikation? Das Nutzerverhalten wird darüber entscheiden.