Social Media Prof. Dr. Jonas Schützeneder „Die größte Chance ist die Schule.“

Die Debatte über Altersgrenzen für Social Media flammt regelmäßig auf – zuletzt mit Blick auf Jugendliche, die immer früher auf TikTok, Instagram oder YouTube unterwegs sind. Doch während Politik und Plattformbetreiber über Verbote und technische Hürden diskutieren, rät Prof. Dr. Jonas Schützeneder, Professor Digitaler Journalismus an der Universität der Bundeswehr München, zu einer breiteren Perspektive: „Altersgrenzen sind mehr symbolische Orientierung als echte Lösung.“ Im Gespräch mit dem PR-Journal macht er deutlich, dass es nicht nur um Jugendschutz geht, sondern um die Verantwortung einer ganzen Gesellschaft – und eben auch um die Rolle von PR und Unternehmenskommunikation. 

"Altersgrenze kann nie wirklich durchgesetzt werden", sagt Prof. Dr. Jonas Schützeneder. (Foto: Plank/unibw)

PR-Journal: Herr Schützeneder, Sie nennen Altersgrenzen „symbolische Orientierung“. Was bedeutet das speziell für die Kommunikationsbranche, die Social Media ja aktiv nutzt?

Prof. Dr. Jonas Schützeneder: Die Debatte rund um mögliche Altersgrenzen oder altersbedingte Verbote von Social Media übersieht aus meiner Sicht zwei wesentliche Punkte: Einerseits gibt es keine zufriedenstellende Lösung für die technische Umsetzung. Man kann Kinder und Jugendliche schlicht nicht komplett von digitalen Produkten oder Plattformen aussperren, daher kann eine Altersgrenze nie wirklich durchgesetzt werden. Ähnlich ist es auch bei den Hinweisen für Film- und Gaming-Angebote wie FSK 18. Und natürlich sind die Menschen in Sachen Bildung, Verantwortungsbewusstsein und Suchtgefahr anders. 14 Jahre ist daher nicht gleich 14 Jahre.

Und der zweite Punkt: Was sollte denn im Falle eines Verbotes alles eingeschlossen werden? Instagram und TikTok? Was wäre mit YouTube als Videoplattform, die nicht zwangsweise Accounts braucht? Was machen wir, wenn eine weitere erfolgreiche Mischplattform auf den Markt dringt und neue Zielgruppen erschließt? Ich halte einen Fokus auf Verbote und harte Altersgrenzen daher für wenig sinnvoll, gleichwohl ist jede Debatte zu diesem Thema erst einmal positiv, weil wir die Entwicklungen und Folgen für die ganze Gesellschaft viel zu lange vernachlässigt haben

PR-Journal: Inwiefern verschiebt Social Media denn die Grenze zwischen Schutzbedürfnis und Eigenverantwortung – gerade wenn Jugendliche gleichzeitig Konsument:innen und Absender:innen sind?

Schützeneder: Auch diese Grenzen sind nicht greifbar, sondern stark von der individuellen Mediennutzung geprägt. Die beiden Dimensionen gehen aber letztlich Hand in Hand: Die technischen Möglichkeiten zur Herstellung eigener digitaler Inhalte sind heute so groß wie nie. Das forciert letztlich auch kreative Fähigkeiten: Kinder und Jugendliche produzieren heute selbstverständlich und ohne große Verschulung multimediale Inhalte. Das ist toll und erfordert schrittweise mehr Eigenverantwortung für eigene Inhalte und eigenes Kommunizieren im digitalen Raum.

Und gleichzeitig steigt in diesem unendlichen Content-Kosmos die Gefahr: Desinformation, Radikalisierung und digitale Gewalt sind die Schattenseiten. Wir werden niemals alle dieser Gefahren beseitigen können. Stattdessen brauchen wir mehr Wissen und mehr Sensibilität für genau diese Probleme und natürlich helfende Anlaufstellen für die genannten Fälle.

PR-Journal: Sie fordern Medienbildung als Schulfach. Müsste Medienbildung nicht aber auch in Unternehmen verankert werden, um verantwortungsvolle Kommunikation gestalten zu können?

Schützeneder: Medienbildung ist eine Aufgabe für die ganze Gesellschaft. Wir müssen uns an dieser Schnittstelle immer und täglich weiterbilden. Das gilt für neue Inhalte und Formate im Schulunterricht und auch für Unternehmen. Ich sehe aber da schon viele positive Tendenzen: Nicht nur die Unternehmensberatung hat das längst als Geschäftsfeld erkannt; auch die Verbände der einzelnen Branchen bieten zunehmend mehr an Fortbildung und Material an. Da darf man auch mal lobend die Bemühungen erwähnen. Gleichzeitig ist jede Fortbildung und jedes Handout zeitlich nur begrenzt hilfreich. Die Entwicklungen sind rasant und oft schwer einschätzbar. Medienbildung ist daher nicht nur für alle, sondern auch dauerhaft eine zentrale Aufgabe.

PR-Journal: Welche Verantwortung tragen PR und Marketing, wenn sie Kampagnen auf Plattformen ausspielen, die gerade für Jugendliche besonders prägend sind?

Schützeneder: PR, Marketing und Werbung sehe ich im Vergleich zu anderen Teilen der Gesellschaft an dieser Stelle eigentlich eher positiv: Sie wissen seit Jahrzehnten, wie man medial agiert, wie man auch wissenschaftliche Impulse und Forschung einsetzt. Die Verantwortung für eigene Inhalte erhält in neuen digitalen Räumen aber eine wichtige Ergänzung: Man ist nicht nur für die Publikation verantwortlich, sondern mindestens teilweise auch für die folgende Anschlusskommunikation. Hier gilt es noch sensibler abzuschätzen: Was kann außerhalb meiner eigenen Kanäle mit bestimmten Inhalten passieren? Liefert meine Kampagne womöglich ungewollt Vorlagen für eine ungewollte Weiterentwicklung? Habe ich die von mir genutzten Personen, Inhalte und Aussagen korrekt genutzt, aber auch ausreichend abgesichert? 

Das Medienrecht bei uns gibt eigentlich ausreichende Leitlinien, kann leider manchmal aber nicht konsequent umgesetzt werden. Die darüber hinaus hilfreichen Leitlinien aus Pressekodex und der Kommunikationskodex vom DRPR werden immer wieder aktualisiert und haben auch entsprechende Passagen zur Dimension Kinder/Jugendliche.

PR-Journal: Stichwort Influencer Marketing: Wie transparent sollten Unternehmen eigentlich kommunizieren, wenn sie Jugendliche erreichen wollen – und wo liegen die ethischen Grenzen?

Schützeneder: Transparenz ist eine zentrale Umsetzung von medialer Qualität und mit die wichtigste Dimension von Vertrauen. Daher kann dieser Aspekt überhaupt nicht hoch genug eingeschätzt werden. Transparenz gilt übrigens auch im Negativ-Szenario: Warum ist welcher Fehler passiert? Wie genau wird das künftig vermieden? Das wollen nicht nur Jugendliche, sondern letztlich alle Stakeholder wissen.

Und zu den Grenzen: PR, Marketing und Werbung testen natürlich die Grenzen aus, genau wie es auch Einzelpersonen oder journalistische Marken immer wieder machen. Allein die Diskussion über entsprechende Fälle bringt uns aber weiter. Neben den klaren Aspekten aus dem Medienrecht ist die Grenze zwischen Zuspitzung und gezielter Manipulation sehr fließend und im Kontext Influencer-Marketing eigentlich der wichtigste ethische Bezugspunkt.

PR-Journal: Viele Plattformen verweisen auf technische Lösungen wie Altersverifikation oder Content-Moderation. Könnten solche Mechanismen die Verantwortung von Kommunikator:innen ersetzen?

Schützeneder: Ich bin sehr skeptisch. Bisher hat sich noch keine große Plattform mit medienökonomischen Interessen großartig für effektive und starke Verifikation und Umsetzung zentraler Medien- und Persönlichkeitsrechte interessiert. Unser Medienrecht und unsere Behörden laufen verzweifelt den Plattformen und Verantwortlichen hinterher. Das wird sich leider auch nicht ändern. Der Algorithmus ist gegenüber menschlicher Debattenkultur zumindest technisch und zeitlich immer einen Schritt voraus. 

Genau deshalb sind die so genannten Korrektive so entscheidend. Das können professionelle Marken sein, Initiativen, PR-Firmen oder eben auch wir selbst als Einzelpersonen, die offline oder online etwas klarstellen, den Diskurs auf sachliche Ebene holen oder im schlimmsten Fall eben auch Strafanzeige stellen.

PR-Journal: Wird Social Media in der aktuellen Debatte zu stark als Gefahr dargestellt – und unterschätzen wir dabei seine kommunikative Kraft für Teilhabe und Demokratie?

Schützeneder: Das kommt darauf an, welchen Teil der Debatte wir betrachten. Geht es um die psychischen Auswirkungen ausufernder Social-Media-Nutzung? Dann sind die Bedenken noch gar nicht groß genug. Das zeigen zahlreiche Studien von Krankenkassen und aus der Medienpsychologie. Die überdimensionierte Nutzung ist in höchstem Maße mental ungesund und auf Dauer schwer schädigend für junge Menschen.

Gleichzeitig finden gerade Jugendliche in schweren Phasen sehr spezifische Kleingruppen und damit Gemeinschaft, wo offline vielleicht eher Isolation wirken würde. Man muss an dieser Stelle ehrlich sein: Das Abwiegen dieser Vorzüge und Schattenseiten bringt uns letztlich nicht groß weiter. Beide Seiten existieren, sie sind präsent und am Ende muss man damit arbeiten und vor allem die kritischen Punkte immer wieder thematisieren. Die Plattformen wirken aktiv auf suchtähnliche Zustände hin. Trotzdem treffen wir alle individuell eine Entscheidung über die genaue Mediennutzung. Auch das ist Teil einer freien Gesellschaft.

PR-Journal: Was können PR-Profis konkret dazu beitragen, dass Jugendliche Social Media als positiven Raum erleben?

Schützeneder: Sie können Angebote und Austausch schaffen. Die Themenvielfalt und die Formatvielfalt sind so groß wie nie. Trotzdem entsteht auf diesem gigantischen Markt der Information und Unterhaltung für Jugendliche immer noch täglich Neues. Das ist fantastisch und schafft viel Potenzial. Gleichzeitig ist der Markt umkämpft und die Plattformen sind keine Kooperationspartner auf Augenhöhe. PR-Profis wissen das. Und idealerweise nutzen sie das Wissen, um Wissen und Austausch in der jungen Zielgruppe zu stärken. Wenn sie dadurch mit Blick auf die eigene Marke und das eigene Geschäft langfristig profitieren, ist das total in Ordnung und letztlich unverzichtbar in unserer kapitalistischen Wirtschaftsordnung.

PR-Journal: Aus kommunikativer Sicht: Wo sehen Sie die größten Chancen, Social Media selbst als Aufklärungs- und Bildungsplattform zu nutzen?

Schützeneder: Die große Chance ist für mich keine konkrete Plattform oder kein bestimmtes Thema. Die größte Chance ist die Schule. Wir kritisieren unser Bildungssystem immer sehr schnell und hart. Und bestimmt läuft es nicht perfekt. Trotzdem gibt es in den Schulen positive Tendenzen: Sie öffnen sich schrittweise für Impulse von außen. Und das müssen wir noch stärker nutzen: Alle sind gefragt, sich für eine gute Bildung, Ausbildung und Weiterbildung einzubringen. Die Wissenschaft kann mehr für Schulen anbieten, aber auch etablierte Medienmarken aus Journalismus und PR. Damit schaffen wir Orientierung für die Jüngsten und profitieren langfristig. Es ist doch klar: Die globalisierte Welt nimmt auch künftig keine Rücksicht auf Schwächen. Daher müssen wir digitale Bildung als Staatsaufgabe für alle sehen. Digitale Fähigkeiten sind das entscheidende.

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