Piwinger Manfred quer grossDie Form und der Stil der jeweils gewählte Ansprache in persönlicher Kommunikation drücken Wertschätzung dem Angeredeten gegenüber aus und stützen, mehr als gemeinhin gedacht wird, den Ansehenswert von Personen und Institutionen. Fest machen lässt sich dies beispielhaft an den von den Unternehmen gewählten Formen der Anrede in den sogenannten Aktionärsbriefen – einer Art Vorwort in den Jahresberichten von kapitalmarktorientieren Unternehmen und namentlich verfasst von dem jeweiligen Vorstandsvorsitzenden. Schließlich sind das die Leute, um die es auf dem Finanzmarkt geht. Doch wie möchte man als Aktionär oder Investor mit Blick auf eine in der Regel rein geschäftliche Beziehung respektvoll angesprochen werden? Unser Autor Manfred Piwinger (Foto) hat sich unter diesem Gesichtspunkt die Aktionärsbriefe der 40 DAX-Unternehmen angesehen und ein ziemliches Durcheinander bemerkt.

Wie sieht es im Einzelnen aus? Beidbezeichnungen wie „Sehr geehrte Aktionärinnen und Aktionäre“ sind in der Auflistung am häufigsten zu finden und bilden sozusagen den Standard ab (siehe in den folgenden Tabellen z.B. Allianz, SAP, Mercedes-Benz, VW). BASF weicht leicht davon ab und verwendet den Singular „Sehr geehrte Aktionärin, sehr geehrter Aktionär“.

Piwinger DAX40 Anrede Tabelle 1

Tabelle: Anrede in den Geschäftsberichten der DAX-Unternehmen, Teil 1.

Drei Unternehmen (Siemens, Siemens Healthineers, Symrise) verzichten gänzlich auf einen Aktionärsbrief, was durchaus möglich ist. Fresenius Medical Care veröffentlicht stattdessen ein Interview mit dem Vorstandsvorsitzenden. Ähnlich Covestro, wo gleich alle vier Vorstandsmitglieder mit eigenen Aussagen zu Wort kommen. Puma ersetzt den Aktionärsbrief durch ein nicht namentlich gezeichnetes Vorwort. Etliche Unternehmen wie adidas, E.ON, Deutsche Bank ersetzen das „Sehr geehrte“ mit der vertrauenserheischenden Anrede „Liebe“, was an dieser Stelle keinen Platz haben sollte.

Piwinger DAX40 Anrede Tabelle 2

Tabelle: Anrede in den Geschäftsberichten der DAX-Unternehmen, Teil 2.

Deutsche Wohnen überrascht die Adressaten des Geschäftsberichts mit der verstörenden Anrede „Liebe Aktionär:innen“; Zalando verwendet den Genderstern: „Liebe Aktionär*innen“. Zwei von 40 Unternehmen. Andere hingegen vergessen gar, wer der eigentliche Adressat ist und wenden sich an die „Liebe Leserinnen und Leser“ (Infineon, Deutsche Post DHL). Traditionell behaftet das „Sehr geehrte Damen und Herren“, zu finden allein bei Munich Re und Porsche. In zahlreichen Fällen belassen es Unternehmen nicht bei der jeweils gewählten Anredeform, sondern ergänzen diese mit weiteren Ansprechgruppen und Zusätzen wie „ … liebe Freunde von Merck“, „…, liebe Freunde des Unternehmens“ (Deutsche Telekom) oder „…, liebe Hereos“ . Am umfänglichsten wird HeidelbergCement. Hier zum Nachlesen: „Sehr geehrte Aktionärinnen und Aktionäre, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, liebe Kunden und Freunde des Unternehmens.“

Piwinger DAX40 Anrede Tabelle 3

Tabelle: Anrede in den Geschäftsberichten der DAX-Unternehmen, Teil 3.

Was in der Auflistung gänzlich fehlt ist die (im Grunde korrekte) Anrede „Sehr geehrte Investoren“, wie sie im Jahr zuvor noch von Allianz verwendet wurde. Im Englischen ist die Varianz deutlich geringer. Fast alle Unternehmen haben sich für die Anrede „Dear Shareholders“ entschieden. Nur wenige weichen davon ab.

Ein weiterer Gesichtspunkt, der das Thema der Ansprache betrifft, ist bis hierher noch nicht angesprochen worden. Gemeint ist die Passung. Mit anderen Worten: Passt die Gebrauchsform der Personennomina zu dem jeweiligen Unternehmen, und welche Form wäre bezüglich des etablierten Unternehmensbilds angebracht? Hier sollte man nicht immer auf sich selbst schauen, sondern bedenken, welcher Eindruck beim Adressaten entsteht und inwieweit der individuelle Eindruck dem entspricht, was sich das Unternehmen davon verspricht. Hier geht es um Stilfragen, um Intention und Interpretation.


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