Autoren-Beiträge Offen, ehrlich, transparent? Gefährliche Mythen der Krisen-PR

Moehrle Hartwin A B OneKrisen PR Buchcover16Bei dem Beitrag von Hartwin Möhrle (Foto) handelt es sich um Auszüge aus dem 1. Kapitel des Buches „Krisen-PR“. Das Buch, dessen Herausgeber Möhrle ist, erscheint im März 2016 in 3. aktualisierter Auflage im Verlag Frankfurter Allgemeine Buch. Die Vorab-Veröffentlichung steht dem „PR-Journal“ exklusiv zur Verfügung.

Im Krisenmanual einer großen deutschen Organisation stehen folgende Sätze: „Seien Sie offen und ehrlich“ und „Teilen Sie auch schlechte Nachrichten umgehend mit“. Es gab Zeiten, da haben ordentliche Kommunikationsberater ihre Kunden nachgerade dazu aufgemuntert, immerzu offen und ehrlich zu sein. Die Zeiten haben sich geändert. Dennoch hält sich die Huldigung von Transparenz und Offenheit als Selbstheilungswaffen in der Krise eisern. Doch Offenheit ist kein Selbstzweck, und Transparenz kein moralischer Grundwert.

Das Recht der Öffentlichkeit auf Information ist unbestritten. Unternehmerisches und institutionelles Handeln verstehbar, Qualitäts- und Leistungsversprechen überprüfbar und Vorhaben und Aktivitäten nachvollziehbar zu machen, ist eine legitime Forderung der Gesellschaft. Und das dies in einer offenen und demokratischen Gesellschaft auch geschieht, ist ein legitimes und notwendiges Interesse unabhängiger und kritischer Medien. Die sind zwar nicht mehr der einzige, aber immer noch wichtiger Garant dafür, dass die Öffentlichkeit dieses Recht auch wahrnehmen kann.

Die gleiche Öffentlichkeit hat vor allem aber auch ein Recht auf glaubwürdige und belastbare Informationen. Dafür tragen jene Verantwortung, die für ihre Produkte, Dienstleistungen und Engagements die „Licence to operate“ benötigen. Diese Verantwortung verbietet es, immerzu und unverzüglich totale Transparenz zu wahren. Abgesehen davon, dass der Wunsch danach an sich wenig realistisch ist, würde er geradezu verhindern, dass verantwortungsvoll handelnde Menschen die jeweiligen Situationen so analysieren, bewerten und in ihren Folgewirkungen antizipieren, dass sie ihren Stake- und Shareholdern und der relevanten Öffentlichkeit präzise und verlässliche Informationen zum Sachverhalt und zum Umgang damit geben können.

Transparenz und Offenheit sind keine Werte an sich
„Corporate Transparency“ taugt nicht als ultimativer Wert an sich, schon gar nicht in der Krise. „Transparenz und Offenheit von Unternehmen sollen und können kein Selbstzweck sein“, sagt selbst der Gründer von Transparency International, Peter Eigen. Dennoch raten nicht nur besonders militante Gralshüter des Investigativjournalismus, sondern auch viele Kommunikationsberater immer noch dazu, Organisationen von gewisser gesellschaftlicher Relevanz, ob nun öffentlich-rechtlicher, politischer oder privatwirtschaftlicher Natur, respektive ihre Verantwortungsträger sollten vor allem und möglichst immerzu offen, ehrlich, transparent und noch dazu authentisch agieren. Korporatives Gutmenschentum in einer seltsamen Ideologiekoalition kritischer Journalisten und gutmeinender Berater? Das kann richtig gefährlich sein. Warum sonst treten immer noch ehrlichmeinende Unternehmenslenker vor die Kameras von Panorama bis Frontal 21 und lassen sich als Zitatstatisten zur medialen Hinrichtung führen, ohne den Hauch einer Chance, die eigene Botschaft auch nur einigermaßen glaubwürdig zu vermitteln zu können.

Je skandalbereiter und empörter sogenannte investigative Medien vermeintliche und tatsächliche „Sauereien“ immer wieder auf das gleiche ultimative Niveau hochzujazzen versuchen, desto normativer wird in der öffentlichen Wahrnehmung die Forderung nach Transparenz als finales Glaubensbekenntnis der Kommunikationsgesellschaft. Dabei ist der Glaube, die Welt sei eine bessere und das Böse besser sichtbar, wenn nur alles und jedes nahezu jederzeit ausreichend transparent sei, nichts anderes als ein moralingetränkter Schwarmnebel, der den Blick für das Wesentliche eher verschleiert denn klärt. Transparenz und Offenheit als ultimative Gutmenschen-, Gutunternehmer- und Gutpolitiker-Paradigmen sind semantische Betrugsversuche am aufgeklärten Zeitgenossen, ein Angriff auf dessen intellektuelle Unversehrtheit.

Der Transparenzbegriff wird geradezu als ideologisches und operatives Kampfmittel eingesetzt. Allein mit dem Vorwurf mangelnder Transparenz wird schon der Verdacht geäußert, da gebe es etwas zu verbergen. Dabei unterscheiden die Transparenzritter ideologisch sehr fein – oder auch grob, je nachdem wie man es sieht –, wer vom Transparenzgebot betroffen sein soll: die potenziell Bösen, also große Unternehmen, staatliche und halbstaatliche Organisationen, Militärs und Geheimdienste sowieso, wirtschaftsnahe Organisationen und Institute der Wissenschaft und so weiter. Wo das Recht des Individuums oder dem Allgemeinwohl selbstverpflichteter Gruppen und Organisationen auf informationelle Selbstbestimmtheit bedroht ist, wird hingegen jede Form der Durchsichtigkeit ganz schnell zum höchst verwerflichen Angriff dubioser Big Brother- oder Big Data-Kolonnen, angefangen von Amazon über Google bis hin zum Verfassungsschutz und Zalando.

Transparenz und Offenheit in der Krise sind strategische Parameter
In den meisten Krisenfällen geht es um eine andere, ganz spezifische Transparenz: die Transparenz des Umgangs mit dem jeweiligen Problem. Noch bevor man möglicherweise in der Lage ist, zum krisenauslösenden Sachverhalt selbst etwas Substanzielles zu vermitteln, geht es von der ersten Minute einer Krisenbewältigung darum, in Haltung, Verhalten und Vorgehen die Botschaft auszusenden: Wir wissen was wir tun, um das Problem in den Griff zu bekommen. Und das, was wir tun, tun wir in höchster Verantwortung für die Unversehrtheit von Menschen, Tieren und Umwelt. Und genau das machen wir auch transparent. Die Art und Weise wie man mit der Krise umgeht, daran arbeitet und wohin die Richtung geht, das sind Dinge, über die man sprechen kann und auch sollte – wenn man es denn kann.

In der vernetzen Kommunikationsgesellschaft ist die Erklärbarkeit des eigenen unternehmerischen oder institutionellen Handelns ein erfolgskritischer Faktor. Legalität und gesellschaftliche Legitimität sind mehr denn je zu Geschwistern öffentlichen Handelns geworden. Solange aber unheilige Allianzen aus skandalfokussierten Medienmachern, digitalen Schwärmern und politischen wie kommerziellen Meinungsopportunisten die Transparenz gleichsam zum Heilsbringer der digitalen Zivilgesellschaft machen, bleibt es eine besondere Herausforderung für die Kommunikation in Krisen, einen glaubwürdigen Weg zu beschreiten.

Hören wir also damit auf, Begriffe wie Offenheit, Transparenz oder auch Authentizität wie in einer Echternacher Springprozession durch die Branche zu tragen. Benennen wir lieber präzise, wann genau Offenheit Sinn macht und wo Transparenz geboten, hilfreich und notwendig ist. Und lassen wir ab vom Gebrauch, oder sollte man nicht ehrlicherweise sagen vom Missbrauch, der Ehrlichkeit als wohlfeiler PR-Chimäre. Setzen wir an ihre Stelle die Glaubwürdigkeit. Diesem Anspruch gerecht zu werden, ist schon schwer genug.

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