Das PR-Interview PR-Interview Nr. 109. Andreas Stiene: „Die Unbefangenheit ist weg“ (zum Outing von Thomas Hitzlsperger)

„Das PR-Interview im PRJ“ wird realisiert von k1 gesellschaft für kommunikation, Köln
Stiene-Andreas FanFCInterview mit Andreas Stiene (Foto), Köln über das Coming-Out des ehemaligen Fußball-Nationalspielers Thomas Hitzlsperger

PR-Journal: Wie schätzen Sie das Coming-Out von Thomas Hitzlsperger ein?
Andreas Stiene: Ich finde das sehr mutig von Thomas Hitzlsperger. Das hätte er nicht tun müssen und könnte stattdessen sein Karriereende genießen. So wie andere schwule Profis vor ihm. Aber Hitzlsperger scheint das alles sehr bewusst gemacht zu haben.

PR-Journal: Also kein spontaner Impuls, sondern ein strategisches Vorgehen?

Andreas Stiene: Ja, denn Zeitpunkt, Ablauf und die Wahl des Mediums waren sehr klug gewählt. Auch dass er vorab Jogi Löw und Oliver Bierhoff informiert hat – ich glaube, Hitzlsperger war insgesamt sehr gut beraten und hat sehr vernetzt gedacht. Der Lohn dafür ist ein überwältigendes Positiv-Echo über alle Medien. Und natürlich enorm viel Rückenwind für die Sache.

PR-Journal: Wäre die Bundesliga auf weitere Coming-Outs vorbereitet?

Andreas Stiene: In den letzten vier bis fünf Jahren hat sich extrem viel getan. Überall sind schwul-lesbische Fanclubs entstanden, und die sind nicht nur im Stadion anwesend, die agieren auch. Außerdem könnten die meisten Bundesligaklubs ein Coming-Out mit medialer Kompetenz und Infrastruktur begleiten, wie sie jetzt im Fall Hitzlsperger greift. Auf der anderen Seite ist Homophobie in keiner Sportart immer noch so existent wie im Fußball. Und schwule Fußballer gibt es nicht nur in der Bundesliga, sondern auch im Amateurfußball ...

PR-Journal: Ist das Coming-Out unmittelbar nach dem Karriereende mit dem Coming-Out in der aktiven Zeit vergleichbar?

Andreas Stiene: Nein, eher nicht. Wer sich jetzt als aktiver Spieler outet, würde vermutlich angefeindet. Von gegnerischen Fans, in den sozialen Netzen und ggfs. auch innerhalb des eigenen Teams.

PR-Journal: Wieso im eigenen Team?

Andreas Stiene: Mit dem Coming-Out könnte auf einen Schlag ein Stück Unbefangenheit weg sein, die es aber braucht, um Fußball miteinander zu spielen. Der schwule Spieler betreibt ja einen enormen Aufwand, um „normal“ zu wirken. Dazu zählt bei manchen, dass sie übertrieben männlich auftreten und extra hart zur Sache gehen – siehe Thomas Hitzlsperger, den sie „Mr. Hammer“ nannten. Nach dem Coming-Out hat der schwule Spieler einfach die Angst davor, dass seine Mitspieler glauben könnten, er schaue ihnen nur auf den Hintern. Und mit dieser Angst lässt sich nicht unbeschwert Fußball spielen.

PR-Journal: Welche Auswirkungen wird Hitzlspergers Coming-Out auf andere – noch aktive – Profispieler haben?

Andreas Stiene: Schwer zu sagen. Auch wenn ich es mir sehr wünschen würde – ich glaube nicht, dass es zu einer Welle von Coming-Outs kommt. Dazu sind Risiken wie die Anfeindungen bei Auswärtsspielen oder negative Stimmung bei einem Vereinswechsel derzeit noch zu groß. Nicht zu vergessen: Thomas Hitzlsperger ist intelligent und eloquent, der weiß, wie er sich äußert und was er tut. Aber mancher Fußballer ist vielleicht weniger redegewandt – der macht sich durch ein Coming-Out unter Umständen extrem angreifbar. Dennoch ist das ein wichtiger Schritt dafür, dass man auch im Fußball als Schwuler irgendwann überhaupt kein Thema mehr ist.

Andreas Stiene kämpft seit vielen Jahren gegen Homophobie im Fußball. Er ist Initiator und Organisator des Come-Together-Cups in Köln (findet 2014 zum 20. Mal statt), Mitgründer des schwul-lesbischen Fanclubs “Andersrum rut-wiess” des 1. FC Köln, Ex-Landesligakicker, ehem. Kriminalkommissar und schwuler Fußball-Weltmeister von 1999 mit dem Cream-Team-Cologne (Fußballteam des SC Janus e.V.).

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