Heiter bis wolkig - der Medienfall Kachelmann

Gastbeitrag von Jens Nordlohne, Gesellschafter der Agentur "Victrix Causa Strategic Communications" und Verfasser des Litigation-PR-Blog 
Ginge es beim Fall Kachelmann nicht um ein so ernstes Thema wie den Vorwurf einer Vergewaltigung, man könnte als unbeteiligter Beobachter schmunzelnd am medialen Spielfeldrand stehen und den Akteuren beim aufgeregten Kommunikations-Kesseltreiben zusehen. Es scheint als beschäftigten sich Medien, Medienexperten, Verteidiger und Staatsanwälte mehr mit ihrer eigenen Rolle in diesem Fall als mit dem Fall selbst. Längst ist "Die PR-Schlacht um Kachelmann“ das eigentliche Thema.

Dabei ist die Geschichte simpel und schnell erzählt: Ein Mann wird von seiner ehemaligen Geliebten der Vergewaltigung bezichtigt, angeklagt und wegen Fluchtgefahr in Untersuchungshaft genommen. Nach vier Monaten wird er entlassen, da laut Oberlandesgericht "kein dringender Tatverdacht“ besteht. Der Mann beteuert seine Unschuld. Es steht Aussage gegen Aussage. Das Verfahren folgt. Punkt!

Warum wird aber aus einer juristischen Untersuchung ein publizistisches Spektakel? Warum stößt es bei Menschen und Medien (gern auch in umgekehrter Reihenfolge) auf das, was die Schweizer Psychologin und Frauenrechtlerin Julia Onken einen "Resonanzboden“ nennt? Die Antwort: Das Verfahren bietet alles, was eine schmackhafte Mediensuppe benötigt, die unseren Ur-Appetit nach Skandalgeschichten zu wecken vermag. Kachelmann ist nicht der erste Fall (siehe Nadja Benaissa, Jörg Tauss) und wird auch nicht der letzte sein. Man nehme Gewalt, ein wenig sexuelle Perversion, einen Schuss gesteigertes, promiskes Verhalten und als Highlight einen beliebten, prominenten TV-Meteorologen und Moderator, dem man all‘ das nie zugetraut hätte. Die spezielle Würze erhält die Brühe durch die Eitelkeit der Protagonisten: Da gibt es Staatsanwälte, die sich medienwirksam mit einer Vorverurteilung Kachelmanns aus dem Fenster lehnen, Verteidiger, die ihren Mandanten nutzen, um im Blitzlichtgewitter zu stehen und Journalisten auf der Suche nach dem nächsten Scoop. Gerade bei Letzteren kann sich der Beobachter des Verdachts nicht erwehren, dass sie die Causa Kachelmann mittlerweile persönlich nehmen: Eine neue Drehe nach der anderen wird aus dem Hut gezaubert, um – je nach Lager – seine eigenen Theorien zu untermauern. Während Hellmuth Karasek in der Talkshow von Markus Lanz gar von einer "Norddeutschen Schule“ pro-Kachelmannscher Berichterstattung und einer "Süddeutschen“ contra-Kachelmann spricht, geht es wohl eher darum, welche Redaktion kontinuierlich mit Insiderinformationen gefüttert wurde und welche nicht.

Die Gemengelage ist also sehr vielschichtig. Verschiedenste Parteien und Wahrnehmungslevel müssen berücksichtigt werden, um die – aus Kachelmanns Sicht – beste Kommunikationsstrategie zu wählen. Aber welches Ziel sollte die Strategie überhaupt verfolgen? Den Richter beeinflussen? Ein Image reparieren? Schmerzensgeldforderungen durchsetzen?

Eigentlich kann es Kachelmann nur um eines gehen: Im Falle eines Freispruchs wieder gesellschaftlich handlungsfähig zu sein – mit anderen Worten: In seinem Job vor der Kamera wieder akzeptiert zu werden. Und dafür muss er nicht die Sympathien der Rechtsgelehrten und PR-Fachleute gewinnen, sondern die von Frau und Mann auf der Straße. Dort gilt es zu punkten und eine positive Wahrnehmung zu schaffen. So kritisch Anwälte und Medienexperten das Verhalten Kachelmanns auch sehen, eine "Stern“-Umfrage zeigt, dass sich schon jetzt eine für ihn positive Meinung in der Öffentlichkeit gebildet hat: Das Magazin kam in einer repräsentativen Umfrage zu dem Ergebnis, dass nur jeder fünfte Befragte glaubt, Kachelmann sei schuldig. Fast die Hälfte ist der Meinung, der Wettermann sei unschuldig. Und dabei handelte es sich um eine Umfrage, die vor (!) seiner Entlassung aus der U-Haft veröffentlicht wurde. Und da das Oberlandesgericht bei der Haftprüfung bestätigt hat, dass "kein dringender Tatverdacht“ mehr besteht, ist das in den Augen vieler (fälschlicherweise) ohnehin schon ein Freispruch.

Wie aber erreicht Kachelmann die Sympathien der Menschen auf der Straße? Indem er jegliche Kommunikationsmaßnahmen damit abgleicht, ob sie auf die Werte Glaubwürdigkeit, Authentizität, auf Vertrauen und Sympathie einzahlen. Dabei geht es nicht darum, ob er diese Werte auch tatsächlich lebt, sondern, darum, dass er so wahrgenommen wird. Und da sind es genau die kleinen "menschelnden“ Gesten, wie die Umarmung eines JVA-Beamten oder der Dank an Mitgefangene, die größere Wirkung haben können, als reißerische Darstellungen seines Intimlebens. Auch wenn Krisenberater von 08/15 PR-Kitsch („Der Tagesspiegel“) sprechen. Es wirkt! Der TV-Konsument registriert, dass Kachelmann scheinbar gelitten hat, dass er im TV-Interview ohne Zögern und Augenklimpern (man denke an Barschel: "Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort...") seine Unschuld beteuert. Dass er sich persönlich dem Gericht stellen will und nicht mit Schaum vor dem Mund das vermeintliche Opfer angreift. Das passt alles sehr gut in das Bild, das er von sich zeichnen will – und muss – wenn er seine gesellschaftliche Akzeptanz zurückerobern möchte. Einige PR-Berater und viele Juristen sind der Meinung Kachelmann habe sich mit dem TV-Statement und dem "Spiegel“-Interview nach der Haftentlassung keinen Gefallen getan. Alles könne gegen ihn verwendet werden und seine Glaubwürdigkeit könne nur Schaden nehmen. Jetzt stellen wir uns aber mal vor, Kachelmann, der vier Monate in Haft saß, wäre grußlos aus dem Tor der Haftanstalt getreten, schweigend an der Reportermeute vorbei in den Wagen seines Abholers gestiegen - und seither abgetaucht?!

Nein, Kachelmann blieb keine andere Wahl, als sofort nach der Haftentlassung gezielt in ihm wohlgesonnenen Medien aufzutreten. Nur so hatte er die Chance, die Kommunikationshoheit nicht komplett aus der Hand zu geben und bei seiner Zielgruppe Sympathiepunkte zu holen. Und die Sympathie der Öffentlichkeit ist es, was er braucht, wenn er wieder erfolgreich (im Fernsehen) arbeiten möchte. Den Richter wird die PR-Schlacht nicht dahingehend beeinflussen, ob er Kachelmann schuldig oder freispricht. Sollte er tatsächlich schuldig gesprochen werden, wird ihm keine Kommunikationsstrategie mehr helfen können.

Kachelmann hat auf "100 Prozent nicht schuldig“ gesetzt (Nicht auf "Blackout“, "Missverständnis“, "Sucht“ in Verbindung mit einer emotionalen Entschuldigung). Lautet der Richterspruch also "schuldig“, hat er keine Chance. Bei einem sauberen Freispruch wird es wieder einen öffentlichen (Wetter-)Kachelmann geben – und das trotz der Verbreitung intimer Details seines Privatlebens. Das ist so voraussagbar wie das Wetter von morgen...

JNordlohneEin Gastbeitrag von Jens Nordlohne für PR-Journal, der frühere Unternehmenssprecher von AOL Deutschland ist seit 2001 Geschäftsführender Gesellschafter der auf Litigation-PR, Issues Management und Krisenkommunikation spezialisierten Agentur "Victrix Causa Strategic Communications" und Verfasser des Litigation-PR-Blog.

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