Autoren-Beiträge Politikberatung: Experten oder Sandflöhe?

Die politischen Stimmen in der derzeitigen Finanzkrise versuchen zu beweisen, wie sehr sie in der Vorbereitung auf deine mögliche Krise von den meisten "Experten" im Stich gelassen wurden. In gebotener Eile haben sie dann "Rettungspakete" geschnürt, bei denen sich erst in Zukunft herausstellen wird, ob die Inhalte essbar sind: Wundertüte, Einsatzpaket für Soldaten, eine Gepäckversteigerung im Fundbüro oder ein Fischkopfparfum à la Bush jr. Das Ganze wird geziert mit einer Kommunikations- und Logistik-Strategie. Die Politik versorgt die Bürger mit Vertrauensbildung durch Slogans wie und "Die Spareinlagen sind sicher" nach dem Rentenversprechen eines früheren Ministers. Transparenz wird verwechselt mit "Wir reden 'mal darüber", bis die nächste Krisensau durchs globale Dorf getrieben wird.

Theodor Eschenburg hat einmal gesagt: Die politische Lösung ist das Gegenteil von der sachlich richtigen Lösung." Andere weisen darauf hin, daß Politikberatung über Jahrhunderte zu einem Gutteil aus Überhöhung von Herrschaftsansprüchen bestand. Die Herrschenden hielten sich Berater. Die klassischen Politikberater waren die Geistlichen. Dabei war Politikberatung oft ein heikles Geschäft. Dies zeigen die traurigen Schicksale antiker Priester, alttestamentarischer Propheten und mittelalterlicher Hofnarren.

Eine grundsätzliche Einsicht zur Rolle des Experten in unserer Gesellschaft hat der Philosoph Hans Georg Gadamer gegeben. "Natürlich ist der Experte in der hochtechnisierten Industriegesellschaft, in der wir leben, eine gar nicht mehr wegzudenkende Erscheinung. Er ist in den verschiedensten Bereichen unentbehrlich, um die Beherrschung komplexer und technischer Prozesse zu sichern. Es ist aber ein Irrtum, zu meinen, die Experten, die Wirtschaftsexperten oder Umweltexperten oder Militärexperten, könnten uns die gesellschaftliche Praxis abnehmen und uns von den Entscheidungen entlasten, die wir alle miteinander als politische Bürger zu treffen und zu vertreten haben.

Dem hektischen Tagesgeschäft von kurzfristigen Entscheidungen und der Sucht nach als notwendig empfundener Selbstdarstellung ausgeliefert ziehen viele Politiker Entscheidungsschnelligkeit für Kampagnen und rasche Kommunikationserfolge einer nachhaltigen wissenschaftlich abgesicherten Beratung vor.

Sie frönen der sprunghaften Mitfahrt auf aktuellen Themen in der Medienlandschaft. Und wenn dann etwas nicht wie gehofft oder geglaubt eintritt, zeigt sich der amateurhafte Umgang mit seriöser Politikberatung als Alibi- oder Sündenbockkommunikation. Was immer noch zu nachhaltigen politischen Erfolgen fehlt, ist eine gelebte Umsetzung des wissenschaftlichen Expertenwissens in nachhaltig erfolgreichen Entscheidungen aus "Verfügungswissen und Orientierungswissen" (Hans Mohr) Verfügungswissen ist ein Sachwissen der Machtausübung "Wie kann ich etwas, das ich tun will", tun. Orientierungswissen zügelt die Macht unter Beantwortung der Frage "Was soll oder darf ich (nicht) tun?" Sittlichkeit, Ethik und Moral sind Orientierungspunkte bei der Bewertung früherer und zukünftiger Handlungsbeispiele. "Aus der Möglichkeit eines Verfahrens folgt niemals von selbst die Rechtfertigung seiner Anwendung."

Der Prozeß der innovativen Umbesinnung ist in der gegenwärtigen Krisensituation sichtbar geworden. Auch für die Schlagworte Corporate Governance und Compliance haben sich riesige Beratungsfelder ergeben. Der Mangel an Orientierungswissen, vor allem bei den Banken, wurde manifest. Der Prozeß der Gesundung durch Anwendung des Orientierungswissens kann nur mit Hilfe langfristig denkender Berater erfolgen, die in Jahren und nicht in Tagen denken. Und er muß leise erfolgen. Das wird nicht leicht sein. Denn z. B. in den Medien überschwemmen zur Zeit Hunderte von selbsternannten oder dazu hochstilisierten "Moderatoren" und "Fachleuten" heute die Zuschauer und Zuhörer, teilweise auch die Leser, mit sehr subjektiven kurzlebigen "gesicherten" Meinungen. Simple "Ex und Hopp" sowie Quick-Umfragen mit fragwürdiger Basis und Bekenntnisse prominenter Sprechmedien nehmen zu. Gründlich recherchierte Analysen werden von "Ich denk mir"-Modellen abgelöst. Universitäten und Fachhochschulen beteiligen sich auch an dieser Show. Einzelne Intellektuelle umgeben sich mit dem "Mantel" von Pseudo-Institutionen. Es bleibt sehr schwierig, in dem Massenangebot von Experten die Spreu vom Weizen zu trennen. Eine bekannte Fernsehmoderatorin faßte ihre Erfahrungen so zusammen: "Es gibt Experten, die wissen von nichts und reden über alles. Und es gibt Experten, die wissen sehr viel. Aber die reden nicht darüber."

Wolfgang Reineke, Heidelberg

Seitennavigation