Das PR-Interview PR-Interview Nr. 107. Manfred Piwinger: Auch Finanzanalysten setzen auf das Bauchgefühl

„Das PR-Interview im PRJ“ wird realisiert von k1 gesellschaft für kommunikation, Köln

piwinger-manfredInterview mit Manfred Piwinger, Unternehmens- und Kommunikationsberater in Wuppertal sowie Buchautor über die Finanzkommunikation und ihre eigenen Regeln.

PR-Journal: Herr Piwinger, Investor Relations richten sich größtenteils an ein Fachpublikum aus (potenziellen) Aktionären, Analysten und Finanzjournalisten. Was macht die Kommunikation mit dieser Financial Community so besonders?

Manfred Piwinger: Investor Relations bestimmen in einem hohen Maße die gesamte externe Kommunikation eines Unternehmens. Sie stellen mehrmals im Jahr die wirtschaftliche und finanzielle Situation dar, genügen der Rechenschaftspflicht und geben im Idealfall eine zuverlässige Prognose ab. Chancen und Risiken sollen dabei ausgewogen berücksichtigt werden. Aufgrund dieser Datenbasis und Kriterien wie die Verlässlichkeit von Aussagen in der Vergangenheit, Zutrauen in die Fähigkeit des Managements u.Ä. wird ein Unternehmen – wie eine beliebige Handelsware – am Markt bewertet und entweder Kauf- oder Verkaufssignale gegeben. Vereinfacht lässt sich sagen: Investor Relations versorgen den Markt mit Informationen und schaffen damit die Voraussetzung, dass eine faire Bewertung an den internationalen Finanzmärkten funktionieren kann. Das ist schon besonders.

PR-Journal: Wie groß sind die Spielräume bei der Investor Relations?

Manfred Piwinger: Sie sind nicht sehr groß. Den Verantwortlichen für Investor Relations sind in vielerlei Hinsicht die Hände gebunden. Dafür sorgen die bekannten gesetzlichen Auflagen und weitere verbindliche Regulierungen. Den Unternehmen ist präzise vorgegeben, was, wann, in welchen Medien publizitätspflichtig ist. An der Reaktion der Aktienkurse lässt sich gut erkennen, wie die Nachrichten aufgenommen worden sind. Investor Relations sind sehr stark risikobehaftet. Manches Mal genügt schon ein falscher Zungenschlag, um Aktienkurs und Unternehmenswert absacken zu lassen. Zusammengefasst: Investor Relations verantworten eine Maklerrolle zwischen Unternehmen und den Finanzmärkten. Die Kollegen sind in vielen Fällen die ersten Ansprechpartner für Investoren und Analysten; sie müssen für Nachfragen von Journalisten zur Verfügung stehen und intern gut vernetzt sein.

PR-Journal: Wie gelingt es, eine Aktie oder ein Unternehmen vor dem Hintergrund börsenrechtlicher Verordnungen kommunikativ zu positionieren?

Manfred Piwinger: Von heute auf morgen wird das in keinem Fall gehen. Grundsätzlich geht es auf dem Kapitalmarkt darum, den Wert eines Unternehmens auf Basis der verfügbaren Unternehmensdaten und einer stabilen Prognose gegenüber Investoren zur Geltung zu bringen. Ziel ist eine angemessene Bewertung des Unternehmens an der Börse. Dazu gehören eine nachvollziehbare Strategie und Stabilität im obersten Führungskreis. Häufige Personalwechsel sind Gift für den Kapitalmarkt. An der Börse wird die Zukunft bewertet, aber auch auf weiter zurückliegende Geschehnisse geachtet. Keine Kommunikation beginnt bei Null, sondern immer auf Basis einer Kommunikationshistorie.

PR-Journal: Geht es in der Finanzkommunikation nur um Zahlen?

Manfred Piwinger: Keineswegs. Außerhalb der Financial Community ist wenig bekannt, dass im Durchschnitt 80 Prozent des Unternehmenswerts aus Positionen besteht, die nicht in der Bilanz vorkommen und erklärungsbedürftig sind. Gemeint sind die immateriellen Vermögenswerte, also beispielsweise Vertrauenswürdigkeit und Reputation, aber auch Kundenbindung, Mitarbeiter-Know-how, Innovationsfähigkeit und vieles andere mehr. Die Differenz zwischen dem bilanziellen Wert eines Unternehmens und dem Marktwert z.B. an der Börse bezeichnen wir als Bilanzlücke. Da immaterielle Werte nur eingeschränkt berichtspflichtig sind, eröffnen sich hier für Unternehmen die besten Möglichkeiten, sich am Markt Geltung und Aufmerksamkeit zu verschaffen. Berichtsfähig sind immaterielle Vermögenswerte auf jeden Fall. Vollumfänglich ist dies bisher wohl noch keinem Unternehmen so recht gelungen. Worauf es ankommt, will ich mit einer Anleihe bei dem Jesuitenpater Gracian (16. Jahrhundert) beantworten: „Wert haben und ihn zu zeigen verstehen, heißt doppelten Wert haben.“ Das ist die Kunst, und darin zeigt sich die Fähigkeit eines Unternehmens abseits finanzrechtlicher Verordnungen seinen wahren Wert zu zeigen. Ein hochkommunikativer Prozess!

PR-Journal: Die ständigen Analysteneinschätzungen können die Bewertung eines Kurses schnell zum Wanken bringen. Wie emotionsgeleitet sind Investor Relations?

Manfred Piwinger: Finanzanalysten gelten vielen als zahlenfixiert. Ich halte dies für einen grandiosen Irrtum. Für sie gilt ebenso wie für andere Akteure, dass sie sich ein Unternehmen ganz genau ansehen und auf Zahlen achten. Die eigentliche Bewertung folgt anderen Regeln. Und nicht selten spielt das Bauchgefühl dabei eine Rolle. Ob man das als emotionsgeleitet sehen will, da bin ich mir nicht ganz sicher. Aber sicher ist, dass qualitative Urteile – wie die Beurteilung des Managements - stets in die Bewertungsmodelle von Analysten mit einfließen. Es mag Ihnen vielleicht etwas plump erscheinen: Aber haben Unternehmen nicht auch so etwas wie eine Seele und einen Charakter? Darauf zu schauen und dafür sensibel zu sein, da bin ich mir ziemlich sicher, diese Fähigkeit haben erfahrene Analysten allemal.

PR-Journal: Inwiefern hat sich die Finanzkommunikation mit Eintritt der Finanzkrise verändert?

Manfred Piwinger: In vielerlei Hinsicht: Die Euphorie ist aus dem Markt verschwunden. Wir sehen jetzt alles viel nüchterner als zu Beginn des Börsenhypes Ende der 90 Jahre. Finanzkommunikation ist nun „business as usual“, und sie hat einen hohen Professionalisierungsgrad erreicht. Privatanleger spielen an der Börse kaum noch eine Rolle, was zu einem erheblichen Teil einer falschen Steuerpolitik geschuldet ist. Anlagen in Aktien werden nicht mehr gefördert. Weltweit dominieren Investmentfonds das Geschehen an den Kapitalmärkten. Das kann man bewerten wie man will. Die Umstände sind eben so. Im Zuge der Finanzkrise hat sich aber auch ein neues Risikobewusstsein den Weg gebahnt. Die Zuverlässigkeit der Aussagen des Managements, gemessen am Erreichen der kommunizierten Ziele, hat einen noch größeren Stellenwert als zuvor erlangt. Reputationsrisiken als Folge beispielsweise von Compliance-Verstößen haben überall in den Unternehmen zu einem verstärkten Ausbau des Risikomanagements geführt. In der Unternehmens- und Finanzkommunikation werden reaktive Techniken und Notfallpläne wichtiger. Und das in einer Branche, die es über Jahrzehnte hinweg gewohnt war, sich um den Aufbau von Images und Reputation zu kümmern. Nun gilt es nach beiden Seiten hin kommunikativ wach zu sein.

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