Das PR-Interview Unternehmenskommunikation: vom Sprachrohr zum Moderator

Thomas Voigt ist Direktor Wirtschaftspolitik und Kommunikation bei der Otto Group in Hamburg. Auf dem Kommunikationskongress 2010 in Berlin sprach er zur Rolle des Kommunikationschefs als Business-Partner. Voigt im "pressesprecher"-Interview: "Kommunikationschefs lügen sich in die Tasche".

pressesprecher: Herr Voigt, Sie haben am 23. September an der Diskussion „Die Rolle des Kommunikationschefs als Business-Partner“ teilgenommen. Welche Rolle nimmt er denn momentan in deutschen Unternehmen ein?

voigtThomas Voigt: In den vergangenen Jahren hat in den Kommunikationsetagen der Wirtschaft eine erhebliche Professionalisierung stattgefunden. Definierten sich Pressechefs früherer Prägung noch über ihre Rolle, das Management durch die Fährnisse einer vermeintlich geheimnisvollen Medienwelt zu steuern und ihnen die Kommunikation mit den Mitarbeitern am Besten ganz abzunehmen, werden sie heute sicherlich stärker als Business-Partner im Unternehmen erkannt und anerkannt. Reputation wird heute vielfach als Intangible Asset des Unternehmens betrachtet und das Reputationsmanagement als wichtige Funktion nach innen und außen wertgeschätzt. Allerdings müssen viele Kolleginnen und Kollegen sicherlich noch um dieses Selbstverständnis im Unternehmen kämpfen.

pressesprecher: Und welche Rolle wäre Ihrer Ansicht nach angebracht?

Thomas Voigt: Wenn man den Blick einmal nach außen wendet und die Frage stellt, welches Vertrauen die Wirtschaft, die verschiedenen Wirtschaftszweige und einzelne Unternehmen in der Öffentlichkeit genießen, stellt man durchweg einen erheblichen Reputationsverlust fest. Das hat sicherlich mit der erhöhten Komplexität und Intransparenz wirtschaftlicher Zusammenhänge zu tun und leider mit vielen Skandalen, darf aber getrost auch als ein Scheitern professioneller Unternehmenskommunikation gewertet werden. Plakativ gesagt: Die Kommunikationschefs lügen sich in die Tasche, wenn sie die aktuell geleistete Arbeit in toto als gelungen empfinden. Meine These dazu ist: Die Kommunikationschefs sind zwar als Business-Partner anerkannt, können aber in der Breite und im Vorfeld eines Krisenfalls nicht ausreichend auf die strategischen Prozesse im Unternehmen Einfluss nehmen.

pressesprecher: Woran liegt es, dass deutsche Kommunikationsexperten im Vergleich zu Ihren US-Kollegen kaum als Business-Partner wahrgenommen werden?

Thomas Voigt: Ist das tatsächlich so? Traditionell hat der Reputations- und der Markenwert eines Unternehmens in den USA sicherlich eine höhere Wahrnehmung. Ob der Wirkungsgrad amerikanischer Kommunikationskollegen ein höherer ist, bezweifele ich aber. Die Restriktionen, gerade durch Rechtsvorschriften, sind durchweg größer. In der Zusammenarbeit habe ich da schon abstruse Dinge erlebt.

pressesprecher: Der Kommunikationskongress hat in diesem Jahr einen Social-Media-Schwerpunkt. Wie beurteilen Sie deren Bedeutung und inwieweit sind Sie selbst aktiv?

Thomas Voigt: Zum einen finde ich das wichtig und gut, zum anderen kann ich den Begriff Social Media schon nicht mehr hören. Lassen sie uns alle lieber über die Demokratisierung der Kommunikation reden. Denn womit wir es zu tun haben, ist nicht die Frage, ob und wie man Twitter nutzen kann und sollte, sondern welche Umbrüche in der Kommunikation gerade stattfinden. Nach meiner Einschätzung stehen wir vor einem fundmentalen Paradigmenwechsel in der Un¬ternehmens- und Kundenkommunikation. Wenn sich jeder Stakeholder – vom Mitarbeiter über den Kunden bis hin zur NGO – über die Netze Gehör verschaffen kann und dies mittlerweile auch heftig tut, bedeutet das mittelfristig das Ende der fein gehegten One- Voice-Policies, der Einbahnstraßenkommunikation und der Wagenburg zwischen Innen- und Außenwelt eines Unternehmens. Für die Unternehmenskommunikation heißt das, vom Sprachrohr zum Moderator von Kommunikation zu werden. Bei dem von der Branche zuweilen zelebrierten Eitelkeitsniveau glaube ich nicht, dass wir auf so ein Wechsel des Selbstverständnisses vorbereitet sind. Meine Empfehlung: Wir sollten den anstehenden Kontrollverlust lustvoll managen.

pressesprecher: Soziale Netzwerke bieten für die Kommunikation von Unternehmen sowohl Chancen als auch Risiken. Welche sind für Sie die prägnantesten?

Die Risiken bestehen darin, Social Media als Kanäle aufzufassen, die man tumb, absenderorientiert und wahlweise mit werblichen, vertrieblichen oder PR-Botschaften befüllt. Die Chancen bestehen im Dialog, in den man mit den Stakeholdern eintreten sollte und muss. Das einmal richtig ernst genommen, entstehen riesige Chancen für alle Unternehmensbereiche – von der Marktforschung über die Unternehmenskommunikation bis hin zu CSR. Wir haben damit sehr gute Erfahrungen machen können.

Das Interview haben wir mit freundlicher Genehmigung der "pressesprecher"-Redaktion übernommen aus der Online-Ausgabe zum Kommunikationskongress 2010 in Berlin.

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