Autoren-Beiträge Manfred Piwinger: VW – im Nachhinein

Piwinger Manfred querIm Nachhinein will man es gar nicht wahrhaben: Volkswagen im „Abgasskandal“? Oder heruntergespielt: in der „Abgasaffäre“? Der 14-seitige Risiko- und Chancenbericht (gemäß § 289 Abs. 5 HGB) des Jahres 2014 lässt uns nichts davon ahnen, sondern wiegt uns in der Gewissheit, alles sei gut und nichts könne passieren. Schließlich verfüge Volkswagen „über drei Verteidigungslinien, die das Unternehmen vor dem Eintritt wesentlicher Risiken schützen sollen.“

Hat wohl nicht so recht geklappt, obwohl „der verantwortungsvolle Umgang mit den Risiken im Volkswagen Konzern durch eine umfassendes Risikomanagement – und Internes Kontrollsystem unterstützt“ werde. In dem Risiko- und Chancenbericht von 2014 hebt Volkswagen „die Förderung einer offenen Risikokultur“ hervor.

Offene Risikokultur bei VW?

Im Nachhinein will man es angesichts einer so betont herausgestellten „offenen Risikokultur“ nicht so recht verstehen, wie die in aller Munde stehende „Abgasmanipulation“ den Kontrollorganen des Konzerns verborgen bleiben konnte. In dem Risiko- und Chancenbericht heißt es doch: „Jedes wesentliche systemische Risiko wird anhand der erwarteten Eintrittswahrscheinlichkeit und verschiedener Risikokriterien /finanziell und nicht finanziell/ einer Bewertung unterzogen.“ „Wettbewerbs- und Umfeldanalysen sowie Marktbeobachtungen“ seien im Volkswagen Konzern, so erfahren wir weiter, Bestandteil der Risikoerfassung. Im Bereich der Forschung und Entwicklung führe Volkswagen „umfangreiche Trendanalysen, Kundenbefragungen und Scouting-Aktivitäten durch“. Und dann, und trotz allem, rutschen den verantwortlichen Stellen die manipulierten Abgaswerte durch? Wie das denn? Im Nachhinein sieht eben Manches ganz anders aus.

Kein Ruhmesblatt für das Qualitätsmanagement

Im Originaltext lesen wir: „Eine übergreifende Projektorganisation unterstützt die Zusammenarbeit aller am Prozess beteiligten Bereiche; sie stellt sicher, dass spezifische Anforderungen zeitnah in den Entwicklungsprozess eingebracht werden und dass die Umsetzung dieser Anforderungen rechtzeitig eingeplant wird.“ Im Nachhinein scheint es ja so gewesen zu sein, dass der „übergreifenden Projektgruppe“ etliche „spezifische Anforderungen“ an die Hand gegeben worden sind oder, was ja auch nicht für deren redliche Aufgabenerfüllung spräche, sie hätte etwas übersehen und nichts gemerkt. Beides wäre schlimm genug für das Qualitätsmanagement bei Volkswagen. Eine gewisse Ahnung, was eintreten kann und nicht aus der Welt gegriffen ist, scheint im System nun doch vorhanden gewesen zu sein: Denn „... vor allem Versäumnisse oder Fehler zu Beginn eines Projekts lassen sich in der der Regel nur schwer aufholen oder korrigieren und sind oft mit erheblichen Mehraufwand verbunden.“ Eine frühe Einsicht, die im Nachhinein auch nicht mehr viel hilft.

Das „Reputationsrisiko“ fehlt als Risikokategorie

Und wie war das mit der CO2 Regulierung? Der Problematik schien man sich vor einem Jahr noch bewusst gewesen zu sein, wie sonst könnte es im Risiko- und Chancenbericht 2014 heißen: „Seit 2012 dürfen die durchschnittlichen CO2-Emissionen der europäischen Pkw-Neuwagenflotte 130gCo2 /km nicht überschreiten.“ Getreu diesem Wissen strömt Volkswagen noch 2014 Vertrauen aus. Der Konzern schien alles im Griff zu haben und regelkonform zu handeln: „Der Volkswagen Konzern“, heißt es „führt mit seinen Marken eine eng abgestimmte Technologie- und Produktplanung durch, um Zielverfehlungen bei den Emissionsgrenzwerten zu vermeiden, die mit erheblichen Sanktionen verbunden wären.“ Dieser Fall ist nun eingetreten – mit noch nicht absehbaren Folgen für den Vorzeigekonzern aus Wolfsburg.

Und was ist die Moral aus der ganzen Geschichte? Eine generelle Skepsis gegenüber Risikoberichten von Unternehmen? Das wäre fatal. Mit einem nachgelagerten Reputationsschaden rechnete der Volkswagen Konzern offensichtlich nicht. Fahrlässig? In dem 14-seitigen Bericht fehlt „Reputationsrisiko“ als eigenständige Risikokategorie, obwohl Rechnungslegungsstandard DRS 20 Unternehmen verpflichtet, über alle „wesentlichen Risiken“ zu berichten.

Jetzt ist die Luft raus – hoffentlich künftig eine sauberere.

Autor: Manfred Piwinger, Wuppertal

Seitennavigation