Das PR-Interview „Es mangelt der Branche an Weiterbildungsangeboten auf internationalem Niveau“
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- von Thomas Dillmann, Bad Honnef
Interview mit Professor Ansgar Zerfaß zum ECM 2023
Der neue European Communication Monitor (ECM) liegt seit dem 7. September vor (wir berichten ausführlich). Die Studie, die unter der Leitung von Professor Ansgar Zerfaß von einer internationalen Forschergruppe erstellt wurde, bietet einen Rückblick auf die wichtigsten strategischen Themen für das Kommunikationsmanagement in den vergangenen 15 Jahren. Grund genug, bei Professor Zerfaß nachzufragen und mit ihm über die „einzigartigen Einblicke“ und die fünf zentralen Handlungsfelder zu sprechen, die für Kommunikationsverantwortliche identifiziert wurden.
PR-Journal: Mit der Bitte um eine spontane Antwort: Was hat Sie als Studienleiter im Rückblick auf die 15 Jahre am meisten überrascht?
Professor Ansgar Zerfaß: Dass viele Entwicklungen, die wir vor einigen Jahren identifiziert haben, erst heute in der Breite der Branche angekommen sind. Die Debatten um Algorithmen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als interne Botschafter, die „Communicative Organisation“ und vieles mehr verkaufen einige Berater bis heute als neue Dinge, obwohl sie konzeptionell und auch empirisch schon seit langem diskutiert werden.
„Vertrauensarbeit ist eine zentrale Aufgabe, aber beileibe nicht die einzige“
PR-Journal: Als Dauerchallenge für die PR-Branche haben Sie den Vertrauensaufbau und die Verknüpfung der Kommunikationsziele mit denen des Unternehmens identifiziert. Wie ist das zu bewerten? Ist es eher ein gutes Zeichen, dass sich „die PR-Branche“ immer wieder neu mit diesen Themen beschäftigt oder ist das eher so zu einzuordnen, dass die PR-Expertinnen und -Experten seit Jahren nicht dazu in der Lage sind, überzeugende und nachhaltige Lösungen zu finden?
Zerfaß: Beides ist der Fall. Die Welt wandelt sich und deshalb bleibt es eine Daueraufgabe, die Kommunikation an immer neuen Organisationszielen auszurichten. Aber das bewegt nur deshalb so viele der befragten Kommunikationsprofis, weil sie dafür noch keine geeigneten Vorgehensweisen etabliert und eingeübt haben. Ähnliches gilt für die Vertrauensarbeit – sie ist eine zentrale Aufgabe der Kommunikation, aber beileibe nicht die einzige. Wenn die Mehrheit primär immer nur davon spricht, ist das ein Erfolg für diejenigen, die „Trust“ als Geschäftsmodell aufgebaut haben – wer strategisch denkt, sollte aber den Blick weiten und andere Aufgaben und Ziele einbeziehen.
PR-Journal: Wie schätzen Sie ein, dass die Themen Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung zwischen 2008 und 2022 kontinuierlich an Bedeutung verloren haben und erst seit kurzer Zeit wieder stärker priorisiert wird? „Gefühlt“ stand doch zumindest das Thema Nachhaltigkeit in den letzten Jahren weit oben auf der öffentlichen Agenda?
Zerfaß: Hier zeigt sich wie in der allgemeinen gesellschaftlichen Debatte auch der Unterschied zwischen der veröffentlichten Meinung, beispielsweise in Fachmedien, und dem, was Kommunikationsverantwortliche im Arbeitsalltag bewegt. Da ging und geht es durchaus um handfestere Themen, die vielleicht nicht immer neu und aufregend sind. Gerade in der Wirtschaft darf die Bedeutung von Produkt-PR, Public Affairs, Mitarbeiterkommunikation und anderen direkt auf den Erfolg einzahlenden Maßnahmen nicht unterschätzt werden.
Gute Basisqualifikationen, aber Weiterbildung muss internationaler werden
PR-Journal: Der ECM 2023 hat fünf weitere Handlungsfelder identifiziert, die die Zukunft der strategischen Kommunikation prägen werden und besonderer Aufmerksamkeit bedürfen. Das sind die Ausschöpfung der Potenziale von Technologien und Daten, die Weiterentwicklung der Kompetenzen und Rollen von Kommunikationsverantwortlichen, das Erreichen von Zielgruppen in einer hypervernetzten Welt, die Führung und Motivation von Kommunikationsteams und der Umgang mit Fehlinformationen und Misstrauen und Aufbau langfristiger Beziehungen. Bei zwei Themen geht es um die Rolle der Kommunikationsverantwortlichen, ihre Kompetenzen und ihr Führungsverhalten. Lässt das darauf schließen, dass Kommunikationsverantwortliche einen Nachholbedarf in Sachen Management-Skills haben?
Zerfaß: Mit neuen Rollen und Kompetenzen und damit verbunden auch mit neuen Führungsphilosophien müssen sich alle Professionen auseinandersetzen. Für Kommunikation und PR ist das aber besonders herausfordernd, weil sich die Rahmenbedingungen noch schneller wandeln als anderswo. Hinzu kommt, dass es in der Branche an Weiterbildungsangeboten auf internationalem Niveau mangelt. Wer in Marketing und Strategie arbeitet, kann neues Fachwissen problemlos an renommierten Business Schools erlangen. Wer sich nach neuem PR-Wissen umschaut, landet hierzulande bei Kursanbietern und Fachhochschulen, die gute Basisqualifikationen und handwerkliches Know-how vermitteln, aber naturgemäß nicht am Puls der internationalen Debatte sind. Hier sind mehr Anstrengungen notwendig, wenn man vorne mitspielen will.
PR-Journal: In Ihrer Pressemitteilung haben Sie die Einzigartigkeit des ECM im Hinblick auf die Dauerbeobachtung der wichtigen strategischen Themen betont. Auch wenn Stolz sicher keine wissenschaftliche Bewertungskategorie ist, wie stolz sind Sie auf den European Communication Monitor?
Zerfaß: Es ist schön zu sehen, wie sich dieses Projekt entwickelt hat. Ich erinnere mich noch an die erste Studie 2007 – wenn man das mit unseren heutigen Befragungen vergleicht, ist das ein himmelweiter Unterschied. Vor allem muss man betonen, dass es sich um ein akademisches Projekt handelt, für das niemand bezahlt wird und hinter dem kein Marketingbudget einer Agentur oder eines Unternehmens steckt. Möglich ist das alles nur durch das langjährige Engagement vieler Kolleginnen und Kollegen von Universitäten in ganz Europa. Und dadurch, dass die Sachkosten für Software, Website, Druck und Ähnliches von Partnern aus der Branche getragen werden.
Stärkere Fokussierung auf Kernfragen der strategischen Kommunikation
PR-Journal: Für das kommende Jahr haben Sie ein neues Forschungsdesign für den ECM angekündigt. Was können Sie unseren Leserinnen und Lesern bereits jetzt schon darüber verraten?
Zerfaß: Leider nein. Die Details diskutieren wir in Kürze bei einem Workshop an der Karls-Universität in Prag. Nur so viel: wir werden mit neuen Teammitgliedern an den Start gehen und uns noch stärker fokussieren auf Kernfragen der strategischen Kommunikation.
PR-Journal: Vielen Dank, Herr Zerfaß für Ihre Antworten.
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