Macht der Bilder Warum Twitter? Der Zauberlehrling baut seine Macht aus

Mit 44 Milliarden Dollar kann man viele schöne Dinge tun: Ganze Inseln oder Staaten kaufen und herrliche Kunstschätze erwerben. Warum kauft Elon Musk dann Twitter? Weil es für ihn Sinn macht, denn es geht um die ganz große Erzählung. – In den letzten Jahren hat Twitter zwei Stärken gezeigt, die das Netzwerk allen anderen sozialen Medien voraus hat: die Fähigkeit, Börsenwerte und Präsidentschaften zu beeinflussen. Wo andere nur Apps und Werbung verkaufen, dealt Twitter mit der Macht des 21. Jahrhunderts: der Beeinflussung der Finanzmärkte und der Weltpolitik durch Kommunikation in Echtzeit. In der kriegerischen Welt des Jahres 2022 ist Geschwindigkeit in digitalen Netzwerken zum entscheidenden Faktor geworden. Der ukrainische Präsident macht es täglich vor, Elon Musk hat es verstanden.

Elon Musk als Wächter der Rede- und Meinungsfreiheit? Das kauft ihm niemand ab. (Quelle: Twitter)

Mit seinen Tweets changiert Musk ständig zwischen Genie und Wahnsinn und zieht damit globale Aufmerksamkeit auf sich – der Zauberlehrling, dem scheinbar alles gelingt. PayPal, SpaceX, Tesla, nichts scheint Elton Musk aufhalten zu können. Er ist der letzte Oligarch des Silicon Valley, der eine bessere Welt durch digitale Technik verspricht – und das Versprechen auch einzulösen scheint. Musk kryptische Tweets werden nicht nur weltweit gelesen, sie strahlen auch eine Authentizität aus, die in dieser Liga einzigartig ist. „Ich bringe die Menschheit zum Mars, ich rette die Welt mit Elektro-Autos, ich habe noch Träume! Und ich werde sie erfüllen“, lauten seine Botschaften. Nicht Reels und Stories, Marketplace oder Appstore – nein, die Rettung der Welt ist das Ziel. Damit räumt er alle Widerstände aus dem Weg… Cowboy-Mentalität nannte das Robert Habeck.

Kombination aus Rücksichtslosigkeit und gelebtem Mythos

Musk schaffte, was selbst dem mächtigsten Unternehmen Deutschlands nicht gelang: In zwei Jahren eine Autofabrik zu bauen, in Brandenburg, 250 Kilometer vom Stammwerk des Volkswagen-Konzerns entfernt. Dazu bedurfte es einer Kombination aus Rücksichtslosigkeit und gelebtem Mythos, dem Mythos des Zauberlehrlings. Alle wollten in seinem Licht strahlen und machten deshalb alles möglich. Und dieses Licht leuchtet am hellsten auf Twitter! Ein Auto ist ein Auto, und Raketen sind nur etwas für Auserwählte. Aber im Lichte des Zauberlehrlings zu strahlen, ist nicht nur für gewählte Politiker unwiderstehlich… Für das gemeine Publikum ist Musk vor allem der exzentrische Mega-Reiche, seine Tweets sind eine digitale Realtime-Soap, unterhaltend und einzigartig. Und so ist es nur konsequent, dass Musk Putin zum Kampf „Mann gegen Mann“ herausforderte – via Twitter.

Aber warum die Bühne gleich kaufen, die man so virtuos bespielt? Weil es Donald Trump gab, und weil es Donald Trump auf Twitter eben nicht mehr gibt. Die Entscheidung von Jack Dorsey, Trumps Twitter Account zu schließen, vernichtete viel von dessen digitalem Kapital und schadete seinen Ambitionen auf eine zweite Präsidentschaft massiv. Diese Entscheidung zeigte, dass die Macht des Zauberlehrlings endlich sein könnte: Dass Andere über den Twitter-Account Musks entscheiden sollen, ist für Musk bedrohlich.

Musk Elon Zuckerberg Mark Bezos Jeff Grafik Pressrelations CEO Barometer 2022

Seine Pole-Position unter den Top CEOs vor Jeff Bezos und Mark Zuckerberg in puncto Medienpräsenz und Reichweite in den USA wird Elon Musk mit dem Kauf von Twitter wohl ausbauen. (Quelle: CEO Barometer 2022 von pressrelations)

„Es geht um die Kontrolle des Bildes in unsere n Köpfen“

Der reichste Mann der Welt ist er nämlich nur mit Aktien. Die Einbrüche der Börsenkurse von Facebook und Netflix haben in der letzten Zeit gezeigt, wie fragil große Tech-Unternehmen sind, deren wichtigstes Kapital die große Erzählung von immer neuen Profiten durch digitale Marktmacht ist. Das diese Erzählung nicht mehr funktionieren könnte, kann auch zur Gefahr für Tesla, SpaceX & Co. werden. Schwere Brände von Batteriezellen oder abstürzende Raketen würden dem Mythos Musk massiv schaden. Es geht beim Kauf von Twitter also nicht (nur) um den Profit, es geht um die Kontrolle des Bildes in unseren Köpfen: das Bild vom Zauberlehrling, dem alles gelingt, will geschützt und gepflegt werden. Das ist über 40 Milliarden Wert.

Und was bedeutet das für Twitter? Musk begründete die Übernahme mit der Behauptung, Twitter werde in „seiner aktuellen Form weder gedeihen noch seinem sozialen Imperativ (der freien Rede) nachkommen.“ Die Übernahme von Twitter ist ein digital-politisches Experiment ohne Beispiel, das die gesamte Netzwerk-Macht einer weltweit relevanten Plattform bei einer Person bündelt.

Greift Musk in den nächsten US-Wahlkampf ein?

Anders als bei Berlusconi oder Murdoch kann Musk nicht nur kontrollieren, was die Nutzerinnen und Nutzer kommunizieren. Die Daten des sozialen Netzwerks erlauben auch deren Interaktion und Vernetzung untereinander auszuwerten. Als Ingenieur und Designer, als der sich Musk sieht, wird er diese Möglichkeiten nicht ungenutzt lassen und wird die Spielregeln auf Twitter neu bestimmen und Zugänge regulieren. Damit steht eine Frage im Raum, die die Dimension des Vorgangs deutlich macht: Wird Donald Trump auf Twitter zurückkehren dürfen? Welchen Preis muss Trump dafür bieten und was bieten seine Gegner, um das zu verhindern? Greift Elon Musk also in den nächsten US-Wahlkampf ein?

Wie auch immer Musk die Frage nach Donald Trump beantworten wird, die Macht von sozialen Netzwerken wird durch den Twitter-Kauf neu definiert. Vielleicht befinden wir uns am Anfang einer digitalen Autokratie, in der selbst ernannte Zauberlehrlinge über den Bannstrahl einer globalen Echtzeit-Kommunikation verfügen und gleichzeitig die Spielregeln in sozialen Netzwerken bestimmen. Vernetzte Kommunikation der User, kritischer Journalismus und eine demokratische Öffentlichkeit sind dann nur noch der Resonanzraum für die eigenen Botschaften. The show must go on!

Über den Autor: Jost Listemann ist Inhaber des Unternehmens Time:Code:Media GmbH in Berlin. Er berät große Unternehmen wie die Bayer AG und die Autobahn GmbH des Bundes und produziert für sie Bewegtbild-Kommunikation. Gestartet ist er als Politikwissenschaftler, seit dem Jahr 2000 ist er in der PR-Branche mit Schwerpunkt visuelle Kommunikation und Film tätig. An der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft unterrichtet er Storytelling und Bewegtbild.

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