Branche Wir brauchen eine gesellschaftsweit geltende Kommunikationsethik

Interview mit Achim Baum zu Chancen und Risiken des Web 2.0.  Baum ist am Institut für Kommunikationsmanagement der Hochschule Osnabrück Professor für den Bereich Public Relations und Journalismus. Er betreut die Studierenden in den Praxisphasen und ist verantwortlich für die Deklaration Praktikum. Eine Vita und eine Liste seiner Publikationen finden Sie hier.
Das Intervie wurde dem PR-Journal zur Verfügung gestellt von Frank Muscheid, Presse- und Medienarbeit der Hochschule Osnabrück in Lingen.


Herr Professor Baum, reicht die Bedeutung der digitalen Medien an die des Buches heran?

Sie sind durchaus zur vergleichen mit der Erfindung des Buchdrucks. Er hat die Welt verändert, hat die Aufklärung herbeigeführt und erheblich zu unserer heutigen Zivilisation und Kultur beigetragen. Aber nicht alle Instrumente im Internet, die wir gerade sehen, fügen sich in diese Entwicklung ein. Derzeit boomen Twitter und Facebook. Man kann zum Beispiel beobachten, dass diese Medien bei den arabischen Revolutionen eine große Rolle gespielt haben, getragen von der so genannten Facebook-Generation.


Da kommt der Bürgerreporter ins Spiel, aber auch Kontrollverlust für etablierte Wirtschafts- und Staatsgrößen. Begrüßen Sie das?

Es treten jetzt und das ist im Grunde ja eine alte Forderung etwa von Bertolt Brecht die Bürger selbst als Journalisten in diesem Netz auf. Das ist zunächst mal begrüßenswert. Es stecken enorme Chancen darin und das geht soweit, dass ganze Systeme, die undemokratisch sind, gestürzt werden mithilfe dieser technischen Möglichkeiten. Auf der anderen Seite ist die Frage für uns wichtig, welche Qualität diese Kommunikation hat. Was nicht nur aus der kommunikationswissenschaftlichen Perspektive vor allem interessant ist und der aufmerksamen Beobachtung und kritischen Begleitung bedarf, ist die Frage: Was passiert denn mit der Öffentlichkeit, wie wir sie bisher kennen? Denn unser demokratisches Gesellschaftssystem beruht darauf, dass wir eine Pflicht zur Öffentlichkeit haben, dass das, was die Mächtigen tun, transparent gemacht wird.


Was macht Sie skeptisch?

Ich denke da an manche hochgepriesene Neuerung wie Second Life. Vor wenigen Jahren wurde sie gefeiert als die zweite Realität. Große Unternehmen DAX-Unternehmen sogar haben sich angestrengt, dort präsent zu sein. Heute ist Second Life bedeutungslos. Das heißt: Es ist zwar spannend, Augenzeuge von Veränderungen zu sein. Wenn man aber gewissermaßen mittendrin ist, kann man nicht über den Tellerrand blicken. Wir überschätzen manche Entwicklungen allzu oft.


Wie lässt sich das erklären?

Jede Form von Medien muss Information, Unterhaltung, Kritik und eine gewisse Bildung transportieren. Wenn nicht alle diese Funktionen erfüllt sind für den Nutzer früher haben wir gesagt für das Publikum dann haben diese neuen Medienformen es schwer. Und ich glaube, dass diese Informations- und Bildungsfunktion oft fehlt. Die Menschen amüsieren sich eine zeitlang köstlich damit, gehen aber dann wieder raus. Das belegen beispielsweise aktuelle empirische Studien von ARD und ZDF. Sie sagen übereinstimmend: Wenn die Funktion eines Mediums zu einseitig ist, hält sich eine Plattform nicht lange.


Stellt die neue Vielstimmigkeit eine Bedrohung für den etablierten, verlässlich recherchierten Journalismus dar?

Das, was den klassischen Journalismus in erster Linie bedroht, ist gar nicht der Publikumsmarkt, sondern der Anzeigen- und Werbemarkt. Auch die klassischen Medien haben ihr Publikum und konkurrieren mit dem, was da an Bürgerkommunikation im Web 2.0 stattfindet. Das ist gar nicht so schlecht für die Sorgfalt und die Anstrengungen, die der Journalist unternehmen muss. Das Problem ist aber, dass der Anzeigenmarkt zusammenbricht und speziell Verleger und andere wirtschaftlich Verantwortliche dem Journalismus ihre Existenzgrundlage entziehen. Der andere Punkt ist die Frage, wie sich Medien im Verhältnis zueinander verhalten. Aufgrund vieler Studien etwa des Kollegen Christoph Neuberger kann man sagen, dass etwa hinsichtlich der Informationsvermittlung, der Kritikfunktion und der Meinungsbildung die neuen Formen des Journalismus auch die Äußerungen von Bürgern im Web 2.0 den klassischen Journalismus durchaus sinnvoll ergänzen. Interessant ist, dass sich Journalismus im klassischen Sinn auch im Web 2.0 durchsetzt, wenn er die Qualitätskriterien ernst nimmt: Wenn wir etwas genau und verlässlich wissen wollen, schauen wir nach wie vor beim Spiegel, bei der Tagesschau und bei der Süddeutschen Zeitung online nach. Journalisten selbst tun das übrigens auch, genauso wie sie Wikipedia oder Google nutzen, um neue Themen zu finden. An der Stelle spielt auch die Bürgerkommunikation etwa über Twitter eine große Rolle für die traditionellen Medien.


Welche Chancen hat unabhängiger Journalismus neben kostenlosen Angeboten im Netz?

Am Engagement der klassischen Medien im Internet zeigt sich, dass das Internet eben vor allem eine kommerzielle Plattform ist. Verlagshäuser wie Burda oder Springer verdienen schon mit rein kommerziellen Angeboten wie der Online-Partnervermittlung oder mit der Volkskaffeemaschine mittlerweile ihr eigentliches Geld. Es werden im Augenblick viele verschiedene Modelle getestet. Gute Chancen haben aber auch diejenigen journalistischen Online-Angebote, wie die von ehemaligen Redakteuren von Le Monde gegründete Internet-Zeitung, die für einen festen Abonnentenstamm arbeitet sorgfältig, in die Tiefe und kritisch recherchierend aber die Kosten für Papier und Vertrieb spart. Das zeigt doch, dass die klassischen Tugenden des Journalismus auch im Internet funktionieren können.


Kann es Leser zurückholen, die der Papierzeitung verloren gegangen sind?

Es gibt auch da eine Teilung zwischen den Wenigen, die sich in exklusiven Netzwerken gut informieren und austauschen, die sich eine sehr fundierte Meinung bilden, und der großen Masse derjenigen, die einfach nur passiv konsumieren, die sich Videos runterladen, ziellos surfen und online shoppen. Das ist eine weitere Konstante in der Geschichte der Medien: Die Masse der Menschen konsumieren passiv etwas und finden es sehr aufregend, dass man im Internet plötzlich an Dinge herankommt, die man früher nur unter der Ladentheke bekam. Man kann das Angebot aber natürlich auch anders nutzen. Unser aktuelle Aufgabe lautet vor allem: Wir müssen die jungen Menschen fit machen, sinnvoll mit diesen Angeboten umzugehen.


Ist das Internet also auch eine Chance, jüngere Menschen stärker für Bildung und Information zu interessieren?

Wenn wir über das Internet und junge Menschen reden, dann reden wir immer zuerst über Aufmerksamkeitsdefizite und über die Kids, die sich nicht dreißig Minuten lang konzentrieren können, weil sie durch diese Techniken brutal gesagt versaut sind. Das ist ein allgemeines Phänomen, das mit der Digitalisierung einhergeht, die Fragmentierung unserer Aufmerksamkeit. Und das Problem ist, dass die so genannte Generation der Digital Natives dort hineingeboren wird und das Tempo der digitalen Medien als einen Wert an sich betrachtet. Die müssen das haben, wenn sie nicht isoliert sein wollen, müssen auf bestimmten Plattformen im angemessenen Tempo mitspielen. Das bedeutet unter anderem, dass die Kinder, die heute geboren werden, in zwanzig Jahren unsere heutige Vorstellung von Öffentlichkeit und Journalismus nicht mehr teilen. Das wird sich verändern. Insofern ist auch unser Einfluss heute nur begrenzt. Letzten Ende müssen die nächsten Generationen es selbst machen das war schon immer so ...


Was muss eine Ethik für Journalismus und PR angesichts dieser Umwälzungen leisten?

Wir sollten nicht mehr zwischen einer Ethik für Journalisten und einer für PR unterscheiden. Ich glaube, wir brauchen eine gesellschaftsweit geltende Kommunikationsethik. Denn wenn man das, was Kommunikation für die Gesellschaft leistet, ernst nimmt, müssen ihre Regeln für alle Kommunikationsexperten gelten. Das sind bestimmte Prinzipien, die, um einen wichtige Aspekt aufzugreifen, die Transparenz dessen betreffen, was man tut: seine Quellen offenzulegen, zu sagen, wer man ist, zu sagen, in welchem Interesse man etwas mitteilt. Es ist ja nicht illegitim, als PR-Mensch im Interesse zum Beispiel eines Kunden zu handeln man muss es nur sagen. Diese Spezialethiken, die wir noch pflegen, haben immer nur bedingt funktioniert.


Wo stoßen heute Spezialethiken an ihre Grenzen?

Vor allen bei den allgegenwärtigen kommerziellen Interessen. In Ziffer 15 des Pressekodex geht es zum Beispiel um die Annahme von Geschenken und Vorteilsnahme, die mit dem Ansehen, der Unabhängigkeit und den Aufgaben der unabhängigen Presse generell unvereinbar sind. Aber es gab so gut wie nie eine Beschwerde aufgrund von Ziffer 15. Wo soll sie auch herkommen, wenn alle Seiten davon profitieren? An der Stelle zwischen PR und Journalismus zu trennen, kann nicht funktionieren. Ob nun beim Journalismus, bei den Fernsehprogrammen oder der Produktion und dem Vertrieb von Videos: Es gibt gewisse Rechte, die universell gelten müssen wie der Jugendschutz oder der Schutz vor Gewalt und ihrer Verharmlosung oder gar Verherrlichung. Gerade an der Selbstkontrolle von multimedialen Angeboten kann man die Grenzen traditioneller Ethiken gut studieren, die eben nur für begrenzte Sprach- oder Kulturräume gelten. Multimediale Angebote sind eben gar nicht mehr an staatlichen Grenzen festzumachen. Man kann mit einem Internetangebot von überall her in den deutschsprachigen Markt eindringen. Darum muss es eine Kommunikationsethik geben, die universell verankert ist. Wenn jemand Kinderpornografie verbreitet, muss er weltweit geächtet und bestraft werden können damit wir aus diesen lächerlichen Diskussionen herauskommen, die wir hier um Stoppschilder führen, über die sich einzelne Politiker zu profilieren versuchen. Stattdessen muss es eine Verständigung über ethische Fragen auf globaler Ebene geben.


Herr Baum, vielen Dank für das Gespräch.

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