Medien Lasst die Listen - eine Polemik gegen den Aufzählungsjournalismus

Siegert Volker EcholotEin fulminanter Start: Eine der ersten uns heute noch bekannten Listen der Menschheit wurde gleich in Stein gemeißelt. Das war auch deswegen gut möglich, weil sie nur zehn Punkte umfasste, die auch noch recht prägnant formuliert waren, zum Beispiel: „Ich bin der Herr, Dein Gott. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.“ Klare Ansage, solide Kernbotschaft, fertig.
Seitdem hat sich die Listen-Qualität leider deutlich verschlechtert. Überall lauern Listen, die man nicht wirklich ernst nehmen kann. Vor einigen Wochen die 12 wichtigsten Tipps für das richtige Verhalten auf der Weihnachtsfeier, danach die 5 Regeln, wie man seine Neujahrsvorsätze durchhält. Und bald: 10 Regeln, wie man sich fit für das Frühjahr macht. Interessant: Immer sind es runde, magische Zahlen. 3, 5, 10, 12, 25 – die meisten Listen umfassen genau so viele Punkte. Eher seltener sind Listen mit 8, 14 oder 23 Punkten. Danke, Welt, dass Deine Komplexität sich am Ende immer in schöne Zahlen schmiegt.

Listicle – Reihenfolge essen Struktur auf
Die Liste als Darstellungsform war wirklich mal originell. Denn sie verspricht hohen Nutzwert und verlangt wenig intellektuelle Aufmerksamkeit. Leser bekommen das Wichtigste häppchenweise und leicht verdaulich serviert und müssen nicht komplizierten Argumentations-Strängen folgen. Für Autoren charmant: Es reicht, irgendwelches Zeug aneinander zu reihen, über Zusammenhänge muss man sich keine Gedanken machen. Die Nummerierung gaukelt Struktur vor, wo einfach nur Reihenfolge ist. Die Liste ist die Fortsetzung der Bullet Points mit anderen Mitteln. Dafür hat sie sogar einen feschen neuen Namen bekommen: Listicle, eine Mischung aus den Wörtern „List“ und „Article“.

Steigerungsfähig ist das Ganze nur noch durch die Rangliste, in der die Reihenfolge auch eine Wertung beinhaltet. Populär gemacht durch die Hitparade mit Dieter-Thomas Heck, vervollkommnet von Magazinen, die Jahr für Jahr mittels Liste schonungslos offenbaren, dass es sich am Starnberger See besser lebt als in Herne-West.

Immer neben den wichtigsten Kunden setzen!
Nun gebe ich zu: Auch ich habe gesündigt und in der Vergangenheit „Die drei wichtigsten Tipps für...“ verfasst. Zu groß ist die Versuchung, Klicks zu generieren, indem man leichtes Lesevergnügen mit hohem Nutzen verspricht. Aber: Ich kann sie nicht mehr sehen, diese Listen. Das liegt wohl daran, dass sie häufig dazu dienen, Plattitüden und mangelnden Tiefgang durch Plakativität zu kaschieren. Oder was halten Sie von Tipp Nr. 7 aus der oben genannten Weihnachtsfeier-Liste: „Setzen Sie sich neben den wichtigsten Kunden. Das könnte zu einem besseren Arbeitsverhältnis führen.“ So etwas veröffentlicht der britische Guardian, den ich bislang für ein seriöses Medium gehalten habe.

Auch die „25 besten Instrumente fürs Zeitmanagement“ habe ich nicht durchgearbeitet – ich bin einfach nicht dazu gekommen. Eine der skurrilsten Listen, die mir in der letzten Zeit untergekommen sind, zählt die 50 (!) Eigenschaften auf, die ein guter Schreiber haben muss. Unter Punkt 26 steht dann auch noch „…is a master of brevity“. Fast hätte ich jetzt „Hallo – geht’s noch?“ geschrieben, wenn das auf der Liste der ausgelutschten Redewendungen nicht ganz oben stünde. Online-Medien lieben Listen übrigens noch aus einem anderen Grund: Bildergalerien, wie die mit den 25 Styling-Sünden der Stars auf Huffington Post, generieren beim Durchklicken eben 25 neue Seitenaufrufe – das mag der Anzeigen(ver)käufer ganz besonders. Auch diese Liste ließe sich fortsetzen – wenn Sie besonders schlimme, lustige oder absonderliche Beispiele haben, schicken Sie sie mir einfach zu. Die besten 3, 5 oder 10 werden veröffentlicht.

Ab heute nur noch Einkaufszettel
Mein Vorsatz fürs neue Jahr: Ich werde 2015 keine Liste schreiben (außer meinen Einkaufszettel). Und, liebe Autoren: Wenn ihr mich als Leser haben wollt, dann lasst euch etwas Neues einfallen. Oder bleibt beim Bewährten – eine gute Story, einleuchtende Argumentation, originelle Zusammenhänge oder brillante Gedanken sind immer willkommen. Aber bitte nicht von eins bis zehn aneinander gereiht.

Über den Autor: Volker Siegert ist Vorstandsvorsitzender der Cortent Kommunikation AG, Frankfurt am Main, die 1999 als Tochter der equinet Bank unter dem Namen equinet Communications gegründet wurde. Das Unternehmen bietet Kommunikationsberatung für Unternehmen und Organisationen in den Bereichen Public Relations, Finanzkommunikation, Investor Relations und Mitarbeiter-Kommunikation.

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