Macht der Bilder Erstmal muss der Hund raus
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- von Jost Listemann, Berlin
Das Bild ist perfekt aufgeteilt: am linken Bildrand sehen wir eine intakte Baumgruppe, umzäunt von einem weißen Gatter nordamerikanischer Bauart. Im Zentrum des Bildes hat der Fotograf zwei Frauen mit ihren Hunden positioniert. Sie stehen am Ufer eines Gewässers und schauen nach rechts aus dem Bild heraus, dorthin wo der schwefelgelbe Farbverlauf seinen Ursprung zu haben scheint. Eine scheinbar alltägliche Situation am Stand in Britisch Columbia/Kanada und doch ist da noch eine andere Botschaft: er ist da, der Klimawandel. Nicht in den Nachrichten sondern im Garten, in der Nachbarschaft, im Park. Man muss nicht mehr hinfahren.
Wir passen uns an
Der Sommer 2023 scheint eine Zeitenwende zu sein, zumindest, wenn man den Bildern glaubt, die uns aus allen möglichen Himmelsrichtungen erreichen: Paradiese wie Hawaii, Rhodos oder Kanada stehen in Flammen, Häuser verbrennen, Menschen fliehen, Tiere und Pflanzen werden großflächig ausgelöscht. In Slowenien spült es ganze Städte weg, auch am Frankfurter Flughafen ist Land unter. Und der Mensch tut das, was er am besten kann: reagieren und sich anpassen, denn der Mensch ist ein Anpassungskünstler. Kein anders Säugetier ist in so vielen Klimazonen überlebensfähig. Sein Überlebensprinzip ist die Fähigkeit zur Zusammenarbeit und die Adaption neuer Bedingungen - so hat er sich „die Erde Untertan gemacht.“ Das uns das als Menschen wirklich gelungen ist und damit die alleinige Verantwortung für unsere Existenzgrundlage verbunden ist, begreifen wir nur sehr langsam.
Hybrid, GEG, PV - Nachhaltig ist, was Bilder schafft
Klimapolitik in Deutschland kennt keine mitreißenden Bilder: Stockfootage von Windrädern auf Blumenwiesen und lächelnden Eigenheimbesitzern vor ihrer „PV-Anlage“ können nicht darüber hinweg täuschen, wo Klimapolitik in Deutschland meistens endet: im Genehmigungsverfahren und im Koalitionskrach. Gesichter ermüdeter Politiker und das visuelle Greenwashing von Parteien und vieler Unternehmen bebildern eine tiefer liegende Ratlosigkeit, die die Bevölkerung deutlich spürt: Wie soll man ein Land und eine Wirtschaft in eine klimaneutrale Zukunft führen, dessen Selbstverständnis mindestens genauso auf gefüllten Regalen basiert wie auf freien Wahlen? Wer soll das alles bezahlen? Und wo ist das Ende, wann haben wir Erfolg? Dahinter steht ein Dilemma, dass auch Greta Thunberg nicht weg zu streiken vermag: solange die zwei größten Volkswirtschaften der Welt - China und die USA - ihren CO2-Ausstoß nicht ernsthaft kurzfristig reduzieren, ist aller Klimaschutz in Europa zum ohnmächtigen Zuschauen verdammt. Es ist eben ein globales Problem…
„Deutschland auf der Flucht vor der Wirklichkeit“
Und dann passiert in unserer Gesellschaft das, was menschlich ist: die Menschen ziehen sich auf das überschaubare Umfeld zurück und versuchen eigene Strategien zu entwickeln. Nach einer aktuellen Umfrage des Rheingold Instituts beurteilt die Mehrheit in Deutschland die Zukunft des Landes negativ, die eigene private Zukunft aber durchaus positiv. (https://www.rheingold-marktforschung.de/gesellschaft/deutschland-auf-der-flucht-vor-der-wirklichkeit/) Ein Paradox, dem man mit Wärmepumpen, PV-Anlagen oder Elektro-Autos nicht beikommt. Derweil streitet die Regierung, die Wirtschaft verbreitet Horrorszenarien und will Geld vom Staat, Bürgerinnen und Bürger fühlen sich mit ihren Sorgen allein. Da wird's dann gefährlich für die Demokratie - offensichtlich. Auch das haben wir in diesem Sommer gelernt. Aber erstmal muss der Hund raus…
Über den Autor: Jost Listemann ist Inhaber der Videoproduktionsfirma Time:Code:Media GmbH in Berlin. Er berät globale Unternehmen und öffentliche Institutionen in ihrer visuellen Kommunikation. Gestartet als Politikwissenschaftler ist er seit 2000 in der PR-Branche als Filmproduzent tätig. An der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft leitet er die Ausbildung für visuelles Storytelling und Bewegtbild.
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