Macht der Bilder #Fakescholz: Bundeskanzler ist keine Figur für Marketing-Gags
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- von Jost Listemann, Berlin
Beherrscht wie immer spricht Olaf Scholz seine Botschaft in die Kamera, Deutschlandfahne und Reichstagsgebäude im Hintergrund. Mit weicher Stimme wendet sich der Kanzler an die Nation, nur eine leichte Asynchronität der Lippen verrät den Fake: Das Video startet mit der animierten Wort-Bild-Marke des Bundeskanzlers, danach kündigt Scholz an, zum 5. Todestag von Walter Lübke das Verbot der AfD beim Bundesverfassungsgericht beantragen zu wollen…
Auf einer eingeblendeten Internetseite (https://afd-verbot.de/) könnten Bürgerinnen und Bürger das Verfahren unterstützen und helfen, Beweise für ein Verbot der AfD zu sammeln.
Mancher mag frohlocken, dass der AfD-Spuk bald vorbei sei, andere schmunzeln, Regierungssprecher Hebestreit zeigt sich empört. Aber das Fake-Video des „Zentrums für politische Schönheit“ (siehe auch "spiegel.de", paid) ist nicht die erste Vereinnahmung des Bundeskanzlers für die eigenen Zwecke: Vor Kurzem erst hatte die „Bild“-Zeitung mit einem KI-animierten Scholz für sich geworben – zur besten Sendezeit, kurz vor der Tagesschau. (Siehe dazu den Bericht auf „meedia.de“.)
Für die Gunst des Publikums – ob für Kunst oder Kommerz – wird Olaf Scholz zur digitalen Handpuppe degradiert. Er spricht als gewählter Bundeskanzler – also nicht nur als Person, sondern auch als mächtigster Repräsentant eines demokratischen Staates. Die Videos des „Zentrum für politische Schönheit“ und der „Bild“-Zeitung überschreiten eine sehr feine, aber wichtige Grenze: Die der Lächerlichmachung von gewählten Politikern und die darin eingewebte Geringschätzung von demokratischen Institutionen.
Wir erleben den Beginn einer Entwicklung, die KI erst möglich macht. Sollten animierte Fake-Videos prominenter Persönlichkeiten durch selbst lernende Maschinen immer weiter verfeinert werden, sind noch ganz andere Szenarien denkbar: Was würde passieren, wenn der CEO eines globalen Unternehmens eines Tages kurz vor Börsenöffnung in Tokio per Videobotschaft verkünden würde, die Firma aufspalten zu wollen? Den weltweiten Börsen-Tsunami einer solchen „Fake-News“ hält wahrscheinlich keine Krisenkommunikation auf. Was ist, wenn Joe Biden von der Treppe der Air Force One stürzt – im Video, nicht in echt?
Würde es nicht all die hinter vorgehaltener Hand geäußerten Zweifel an Bidens Amtsfähigkeit bestätigen und vielleicht die entscheidenden Stimmen in den Swing States kosten?
Die Schlacht um die KI
Seit einigen Wochen dringt der Machtkampf um die Zukunft von Open AI aus den verschlossenen Meetingrooms Kaliforniens an die Weltöffentlichkeit. Die Entlassung und Re-Inthronisierung von Sam Altman als CEO hat die wichtige Frage entschieden: Ist Open AI eine Wissens-Maschine oder eine Geld-Maschine? Wenig überraschend hat sich Hauptinvestor Microsoft in einem offenen Machtpoker erst klar positioniert (für Altman) und dann durchgesetzt (mit Altmans Rückkehr als CEO). Die Marktmacht Microsofts ist nun endgültig aufmunitioniert mit der disruptiven Kraft von Open AI.
Wenn „das Ding irgendwann Geld verdienen muss“, wie Sam Altman postuliert, kann man sich die Konsequenzen leicht ausmalen: All die, die jetzt ChatGPT oder andere KI-Funktionen in ihre internen Prozesse integrieren, sollten in Zukunft mit nicht unerheblichen Lizenzkosten rechnen. Es gilt nicht mehr wie einst bei Social Media: „If the service is free, you are the product!“ Nein, in Zukunft wird es heißen: „First the service is free, than you are the cashcow!“ Das ist keine technikfeindliche Schwarzmalerei, es sind die Regeln des Plattform-Kapitalismus.
Diese Regeln sucht man jetzt in Brüssel für Europa zu beeinflussen. Der „AI-Act“ der EU-Kommission soll den Einsatz von KI auf dem europäischen Markt regulieren. Die großen Player wie Google, Meta oder Microsoft schauen genau hin, was im riesigen Markt der EU zukünftig mit KI möglich ist und was nicht. Natürlich lobbyieren die Tech-Konzerne für eine freiwilligen Selbstregulation – auch Deutschland unterstützt dieses sogenannte „Foundation-Model“. Aber welche Erfahrungen haben demokratische Gesellschaften mit den hehren Selbstverpflichtungen der Plattformen in den letzten Jahren eigentlich gemacht? Der Brexit, die Wahlbeeinflussung in den USA durch Russland, der Capitol-Turm orchestriert via Twitter, Corona-Leugner und „alternative Medien“ auf den Facebook-Kanälen der AfD… alles initiiert mit Maschinen „die irgendwann Geld verdienen mussten“. Auch wenn digitale Technologien nicht Ursache dieser Entwicklungen sind, mag doch niemand bestreiten, dass sie sie verstärken.
Und damit sind wir wieder bei den KI-Videos mit Olaf Scholz: den Bundeskanzler zum sprechenden Papagei der eigenen Interessen zu machen, ist nur mit KI möglich – einfach, kostengünstig und schnell. Aber machen wir uns nichts vor: Wie auch immer man zu dieser Regierung steht – ein Bundeskanzler ist keine Figur für Marketing-Gags oder „Kunstaktionen“. Die Nachahmer solcher „Fake-Videos“ warten nur auf ihre Gelegenheit und immer bessere Technik, um Misstrauen und Missgunst zu säen, und damit unserer liberalen Demokratie zu schaden. Sie werden uns nicht nur zum Schmunzeln bringen wollen.
Über den Autor: Jost Listemann ist Inhaber der Videoproduktionsfirma Time:Code:Media GmbH in Berlin. Er berät globale Unternehmen und öffentliche Institutionen in ihrer visuellen Kommunikation. Gestartet als Politikwissenschaftler ist er seit 2000 in der PR-Branche als Filmproduzent tätig. An der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft leitet er die Ausbildung für visuelles Storytelling und Bewegtbild.
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