Macht der Bilder Social Media Warfare
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- von Jost Listemann, Berlin
Kein Zweifel: Gut zwei Wochen nach dem Terror-Angriff der Hamas auf Israel haben sich die Bilder bereits in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt – und werden dort bleiben wie einst die Bilder des World Trade Centers. Anders als 2001 sind es aber nicht die Fernsehbilder, die unsere Erinnerung prägen – es ist der Social-Media-Feed.
Es ist unübersehbar: Die Deutungshoheit der Journalisten als Gatekeeper schrumpft – verdrängt von der Schlagkraft Social-Media-getriebener Bilderfluten. Wir werden in einen propagandistischen Schlund von emotionsgeladenen Bildern hineingezogen, die nicht wenige von uns bis in den Schlaf verfolgen und Tausende weltweit auf die Straßen treiben. Dabei ist die Geschwindigkeit und Masse dieser Bilderflut noch einmal exponentiell angestiegen. Und der Terror der Bilder ist auch dieses Mal wieder eine Waffe, wie schon 2001: Die Menschenjagd auf dem Techno-Festival und die Behandlung der Geiseln sollte brutal sichtbar sein – in Echtzeit weltweit.
Man fragt sich, welches „Monster“ wir mit diesen „Sozialen Netzwerken“ immer weiter mästen: Plattformen, die für Werbung optimiert sind, werden zu Propagandaschleudern globalen Ausmaßes – mit den entsprechenden Konsequenzen bis auf die Straßen der deutschen Hauptstadt und anderer Städte!
„X“ mit seinem libertären Eigentümer Musk ist da nur die Speerspitze einer Entwicklung, die unser Zusammenleben gefährdet: Begegnen wir uns alle nur noch mit Affekt-getriebenen Bildern im Kopf? Kann man noch respektvoll debattieren, wenn ständig Berge von Leichen in den Köpfen kreisen?
Man wünscht sich ein „Recht der Toten am eigenen Bild“ – gerade und insbesondere auf Social Media, aber nicht nur dort. Die propagandistische Instrumentalisierung der Opfer überschreitet eine zivilisatorische Grenze: Wer einmal mit Kindern und Jugendlichen eine Nachrichten-Sendung geschaut hat, weiß, was Bilder von Tod, Leid und Verzweiflung in einem Menschen auslösen. Wir Erwachsenen haben Distanz erlernt – manche nennen das „Medienkompetenz“. Aber auch wir sind nicht teilnahmslos.
Ob wir wollen oder nicht: Die Brutalität und Masse der Bilder soll uns zwingen, Partei zu ergreifen. Und offensichtlich geschieht das auch. Wir werden zu Getriebenen. Das emotionale Urteil verdrängt jede Nachdenklichkeit.
Jetzt sehen wir die Konsequenz einer Entwicklung, die lange Zeit Begeisterung ausgelöst hat. Nämlich direkt mit den eigenen Stakeholdern und Kunden zu kommunizieren, ohne lästige Journalisten und teure Presseabteilungen. Aber die Regeln machen jetzt andere: die Plattformbetreiber, die all die Unsäglichkeiten auf ihren Kanälen erlauben, zulassen, weiterverbreiten. Und die Gatekeeper? Hecheln getrieben hinterher, wie der Hase dem Igel. Faktchecking vs. Social Media-Feed, das ist ein nie zu gewinnendes Rennen. Emotion schlägt Information, das ist „Social Media Warfare“.
Über den Autor: Jost Listemann ist Inhaber der Videoproduktionsfirma Time:Code:Media GmbH in Berlin. Er berät globale Unternehmen und öffentliche Institutionen in ihrer visuellen Kommunikation. Gestartet als Politikwissenschaftler ist er seit 2000 in der PR-Branche als Filmproduzent tätig. An der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft leitet er die Ausbildung für visuelles Storytelling und Bewegtbild.
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